Es hat für Aufmerksamkeit gesorgt: Eine Konferenz zum Nahost-Konflikt, die Mitte Mai stattfinden sollte, wurde in der Evangelischen Akademie Tutzing abgesagt. Es sei nicht gelungen "alle für das Thema maßgeblichen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zu gewinnen", hieß es. So etwas werde es aber in Berlin nicht geben, sagt Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
"Der Kirchentag hat mit dem Fall Tutzing überhaupt nichts zu tun. Kirchentage werden vorbereitet durch die Kirchentagsbewegung, die Präsidialversammlung und das Präsidium. Und das Israel-Palästina-Thema ist seit vielen Jahren ein Teil des Thementableaus, das von diesen Gremien erstellt wird."
Es gibt ein großes Podium zum Nahost-Konflikt. Unter der Überschrift "70 Jahre Teilungsplan, 50 Jahre Besatzung" diskutieren die Soziologin Eva Illouz, der ARD-Journalist Richard C. Schneider und der evangelisch-lutherische Bischof in Jordanien und dem Heiligen Land Munib A. Younan.
Darüberhinaus präsentieren sich auf dem Markt der Möglichkeiten fast ein Dutzend Vereine und Initiativen. Ellen Überschär erklärt: "Wir versuchen immer ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der israelischen Perspektive und der palästinensischen Perspektive."
Das American Jewish Committee (AJC) zweifelt an diesem Gleichgewicht. Die Organisation wurde 1906 in New York von amerikanischen Juden vorwiegend deutscher Herkunft gegründet, um Demokratie, Menschenrechte und Völkerverständigung weltweit zu fördern. Die Liste der Aussteller auf dem Markt der Möglichkeiten liest Deidre Berger vom Berliner Büro des AJC mit gemischten Gefühlen. Vertreten ist etwa die Aktion Sühnezeichen Friedensdienst, die seit Jahrzehnten deutsch-israelische Jugendbegegnungen im Heiligen Land organisiert. Deren Arbeit lobt Deidre Berger ausdrücklich. Andere Gruppen, die auf dem Evangelischen Kirchentag vertreten sind, sieht die Leiterin des Berliner AJC-Büros dagegen kritisch. Etwa den "Verein Flüchtlingskinder im Libanon" aus Pfullingen.
Berger sagt: "Dieser Verein hat eine Ausstellung über die sogenannte Nakba vorbereitet, die zum Teil Vertreibung und zum Teil Flucht von Palästinensern nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 in Israel (thematisiert). Da gibt es kaum eine ausgeglichene Aussage in dieser Ausstellung. Es ist sehr verhetzend und außerordentlich einseitig und gefährlich in der Manipulation von Information."
Die Vorsitzendes des Vereins "Flüchtlingskinder im Libanon" Ingrid Rumpf weist diese Vorwürfe zurück. "Nakba" meint die arabische Katastrophe der Vertreibung aus Palästina während der Staatsgründung Israels. Darüber wolle man aufklären, sagt sie. Auch die Aggression der Araber gegen die Juden komme dabei zur Sprache.
"Die Ausstellung besteht aus 13 Texttafeln und eine Tafel befasst sich genau mit diesem israelisch-arabischen Krieg", so Rumpf. "Da steht auch, dass die arabischen Staaten den Krieg erklärt haben. Das wird auch ausgeführt, dass sie das gemacht haben. Es sind die Stärken der verschiedenen Armeen aufgeführt. Mehr kann man wirklich nicht machen. Die Ausstellung ist gefördert worden vom evangelischen Entwicklungsdienst und der Stiftung Entwicklungszusammenarbeit des Landes Baden Württemberg. Wenn die so einseitig wäre im Sinne Verfälschung der Geschichte, hätten beide Einrichtungen sie niemals gefördert."
Die Nakba-Ausstellung, auf dem Kirchentag zu sehen, ist seit Jahren hoch umstritten. Deidre Berger sieht darin eine zu einseitige Darstellung der damaligen Ereignisse: einerseits die unterdrückten vertriebenen Palästinenser, andererseits die militärisch überlegenen aggressiven Israelis. Die Wahrheit aber sei komplizierter.
Berger: "Sehr strittig sind die Umstände, unter denen die Palästinenser damals das heutige Israel verlassen haben. Darüber gibt es einen großen Historikerstreit, der nicht in dieser Ausstellung präsentiert ist. Sehr viele sind weggegangen, weil die arabischen Länder dazu gerufen haben. Und irgendeine Selbstverantwortung ist (in der Ausstellung) überhaupt nicht dabei."
Auch die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde von München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sagte 2014, dass Vereinigungen wie "Flüchtlingskinder im Libanon" den Frieden im Nahen Osten behinderten. Die Deutsch-Israelische-Gesellschaft protestierte bereits vor Jahren gegen die Wanderausstellung. Denn die Shoah und die Vorgeschichte des Staates Israel, aber auch die arabischen Massaker an Juden bleiben so gut wie ausgeblendet. Doch Ingrid Rumpf wirft ihren Kritikern vor, die Ausstellung nicht richtig angeschaut zu haben. Auf keinen Fall solle es darum gehen, dem jüdischen Staat sein Existenzrecht abzusprechen.
Sie erklärt: "Es gibt das Völkerrecht und wir bewegen uns auf der Grundlage des Völkerrechts. Das Völkerrecht hat die Teilungsresolution 1947 verabschiedet. Insofern besteht überhaupt kein Zweifel an der Existenz Israels."
Auch vertreten auf dem Markt der Möglichkeiten ist das Ecumenical Accompaniment Programme in Palestine and Israel, kurz EAPPI, eine Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf. EAPPI soll zum Frieden beitragen, indem Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern beobachtet und dokumentiert werden. Nur sei EAPPI dabei kein objektiver Sachwalter, kritisiert Deidre Berger vom AJC: "Wenn man schaut in ihren eigenen Angaben, was sie machen, wenn sie in Israel sind, ist es sehr klar, dass diese EAPPI eine sehr einseitige extrem pro-palästinensische Sichtweise hat. Es ist bestimmt kein ausgeglichener Versuch, Israel heute zu verstehen."
Präsenz möglichst vieler Gruppen
Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, erklärt das mit Pluralität. Auf dem großen Treffen der evangelischen Christen sollen sich möglichst viele Gruppen präsentieren können: "Für den Markt der Möglichkeiten kann sich grundsätzlich jede und jeder bewerben. Und die Idee des Marktes ist ja, den Austausch und den Dialog zu ermöglichen und mit den Teilnehmenden in individuelle Gespräche zu kommen. Wir machen keine Gesichtskontrollen und auch keine Kontrollen darüber, wer sich da geschäftlich in welchen Dingen engagiert. Und ansonsten ist der Markt eine natürlich mit Risiken behaftete Vorstellung von Gruppen, die ihre eigene Arbeit vorstellen. Es gibt keine Gesinnungskontrolle beim Markt der Möglichkeiten."
Mit der ökumenischen EAPPI tritt eine Gruppe auf, denen Kritiker zumindest eine geistige Nähe zu der BDS-Bewegung unterstellen. 2005 wurde diese palästinensische Aktion gegründet. BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel. Dazu die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages Ellen Ueberschär:
"Wir haben keine Position zum Thema Boykott gegen Israel. Es gibt keine Position des Kirchentages zum Thema BDS. Der Kirchentag selber nimmt keine Positionen ein, sondern er ist ein offenes Forum."
Ein offenes Forum also für Israel-Kritiker, die dem Boykott Israels keine klare Absage erteilen? Für Deidre Berger vom American Jewish Committee eine Art Albtraum: "Es ist sehr gefährlich ein Forum für BDS anzubieten. Weil BDS hat letztendlich den Wunsch nach dem Ende des Existenzrecht des Staates Israel in seiner jetzigen Form. Und die Kirche soll sich nicht beteiligen an dieser Art von Überlegungen."
Allerdings ruft kein offizieller Kirchenvertreter zum Boykott Israels auf. Aber bedenklich sei es doch, meint Deidre Berger vom AJC: "Was für einen Eindruck werden Besucher von dem Kirchentag bekommen über das heutige Israel? Ich würde mir wünschen, dass das Thema Demokratie und Sicherheit mehr Platz einnehmen würde in der kirchlichen Agenda."