Der Kirchentag ist eröffnet. An diesem Donnerstag geht es los mit dem Programm mit mehr als 2.000 Veranstaltungen. Auch Unpolitisches ist dabei.
Aber der Kirchentag versteht sich auch immer als Seismograph für politische und gesellschaftliche Debatten. Was steht in diesem Jahr an? Der Soziologe Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität München, der auf einem wichtigen Podium zusammen mit dem Kanzlerkandidaten der SPD, mit Martin Schulz auftreten wird, sagte im DLF:
"Man muss sich ja die Frage stellen, ob gerade der Evangelische Kirchentag eine religiöse Veranstaltung ist. Ich würde jetzt als Soziologe sagen: Vor allem ist es eine Veranstaltung, in der gebildete Mittelschichten die Möglichkeit haben, sozusagen eine Welt zu entwerfen, die sehr stark über so etwas wie Konsensansprüche und starke moralische Beschreibungen der Gesellschaft funktioniert."
Seismograph für kirchliche Debatten
Und kirchlich? Bildet der Kirchentag jene Fragen ab, denen sich die Kirche als Kirche stellen müsste? Und: Kirchentag im Reformationsjahr – was heißt das? Peter Dabrock ist evangelischer Theologe und Vorsitzender des Deutschen Ethikrates:
"Es ist eine Aufgabe, ehrlich mit sich zu sein: Evangelische Theologie und Kirche liefern nicht die eine richtige Position. Aber wenn Kirche und Ethiker zu ethischen Fragen gar nichts sagen, dann ist das auch Schwanz einziehen. Das geht nicht. Aber wir sollten uns hüten, den Eindruck zu erwecken, dass wir quasi lehramtlich sprechen wären."
Seismograph für gesellschaftliche Debatten
Gesellschaftlich relevante Fragen haben einen hohen Stellenwert auf Kirchentagen. Eine womöglich immer wichtiger werdende Frage: die Frage nach dem Älterwerden. Stichwort: Pflegenotstand, Demenz, Sterbehilfe, oder: Wie kommen jung und alt miteinander klar? Dazu sagte der Gießener Soziologe und Theologe Professor Reimer Gronemeyer:
"Wir sind in einer Gesellschaft, die ein Löschtasten-Feeling hat. Das, was war, scheint überhaupt nichts für unsere Zukunft zu bringen. Aber alle Philosophie, alle Religion hat ja aus der Erinnerung gelebt und lebt aus der Erinnerung. Wenn wir das alles durchschneiden, und den Blick zurück immer nur als romantische Verklärung des Vergangenen diskriminieren, dann schneiden wir uns von der Geschichte, aus der wir kommen, ab."
Politik, Kirche, Gesellschaft – welche Debatten sich in diesen Themenfelder abzeichnen beobachtet unser Reporter-Team in den kommenden Tagen in Berlin und Wittenberg.