Seit dem 11. August streiken die Lokführer. Die Folge: Fast nichts geht mehr auf deutschen Schienen. Drei Viertel etwa aller Fernverbindungen musste die Deutsche Bahn streichen, nachdem die kleine, aber einflussreiche Gewerkschaft der Lokführer (GdL) mit großer Mehrheit für diesen Streik gestimmt hatte.
Doch geht es bei dem Streik tatsächlich nur ums Geld oder spielen auch Machtfragen zwischen den beiden Gewerkschaften GdL und der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in diesem Tarifkonflikt eine Rolle? GdL-Chef Claus Weselsky hatte diesen Vorwurf im Dlf zurückgewiesen.
Der EVG-Vorsitzender Klaus-Dieter Hommel bezeichnet den Streik der konkurrierenden Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer im Dlf hingegen als politischen Arbeitskampf. GdL-Chef Weselsky, habe erklärt, er werde die EVG aus dem Unternehmen verdrängen. Damit habe er sich verzockt und müsse jetzt mit den Konsequenzen leben, sagte Hommel.
"So kann man keine Tarifpolitik betreiben"
"Jetzt tritt eine andere Gewerkschaft auf den Plan und möchte alles besser machen. Sie war aber nicht bereit, sich im vergangenen Jahr an den Verhandlungstisch zu setzen. So kann man keine Tarifpolitik betreiben, so übernimmt man als Gewerkschaft keine Verantwortung", kritisierte Hommel.
Hintergrund des Streits zwischen der EVG und der GDL ist das sogenannte Tarifeinheitsgesetz. Es schreibt vor, dass in einem Betrieb der Tarifvertrag mit jener Gewerkschaft gilt, die dort die meisten Mitglieder hat. Die EVG vertritt rund 190.000 Mitglieder, bei der GDL sind etwa 37.000 Bahn-Mitarbeiter organisiert.
Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Hommel, ist die Konkurrenz, die GdL die bessere, weil kämpferischere Gewerkschaft?
Klaus-Dieter Hommel: Die EVG hat in den vergangenen Jahren, um nur mal eine Zahl zu nennen, seit dem Jahr 2000 die Löhne und Gehälter bei der Bahn um 80 Prozent erhöht. 80 Prozent in dieser Zeit, glaube ich, können sich sehen lassen. Wir haben umfangreiche Tarifabschlüsse gemacht, die die Beschäftigten der Bahnen absichern und die dazu führen, dass wir seit Jahrzehnten Arbeitsplatzsicherheit haben, dass Menschen sich auch innerhalb des Unternehmens keine Sorgen machen müssen um ihren Arbeitsplatz. Deshalb muss ich darüber nicht nachdenken, wer die bessere Gewerkschaft ist. Die EVG weiß was sie tut und nicht umsonst hat die EVG 180.000 Mitglieder und stellt über 80 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmervertreter im Unternehmen.
"So übernimmt man als Gewerkschaft keine Verantwortung"
Münchenberg: Trotzdem, Herr Hommel. Lassen Sie mich da mal kurz einhaken. Die EVG hat sich im letzten Jahr auf eine Nullrunde für dieses Jahr eingelassen. Die Lokführer fordern dagegen 3,2 Prozent. Das ist ja schon ein eklatanter Unterschied und da fragen sich vielleicht auch die unterschiedlichen Gewerkschaftsmitglieder, wie passt das zusammen.
Hommel: Diese Frage ist ja berechtigt. Die haben wir nur vorher diskutiert in einer Zeit, als wir im vorigen Jahr Verantwortung übernommen haben, wo noch niemand in diesem Lande wusste, wie wird sich das Thema Corona weiterentwickeln, wir aber sicher waren, dass es, wenn wir nichts tun, zu eklatanten Nachteilen für die Beschäftigten in den Verkehrsunternehmen kommen wird. In dieser Zeit haben wir ein Bündnis geschlossen, was heute wirkt, was heute absichert, dass nicht nur bei der Bahn AG, sondern auch bei den Wettbewerbsbahnen Löhne und Gehälter, aber auch Arbeitsplätze sicher sind, und haben im Herbst vorigen Jahres einen Tarifvertrag ausgehandelt nach zugegebenermaßen schwierigen Verhandlungen - auch innerhalb unserer Organisation ist darüber diskutiert worden -, der uns genau diese Sicherheit für die nächsten zwei Jahre bringt, und unsere Kolleginnen und Kollegen sagen, der ist verantwortbar, wie das im Übrigen in anderen Bereichen auch ist.
Jetzt tritt eine andere Gewerkschaft auf den Plan und möchte alles besser machen, die nicht bereit war, sich im vorigen Jahr an den Verhandlungstisch zu setzen, und ich glaube, so kann man Tarifpolitik nicht betreiben beziehungsweise so übernimmt man als Gewerkschaft keine Verantwortung.
Münchenberg: Nun sagt aber die GdL, Chef Weselsky, dass sich Ihre Gewerkschaft auf einen Schmusekurs mit der Bahn eingelassen habe. Die Bahn wird ja wie ein privater Konzern geführt. Löhne sind da reguläre Kosten. Warum sollen da die Lokführer auf Lohnerhöhung verzichten, zumal ja auch gilt, dass in diesen Verkehrsträger in den nächsten Jahren sehr viel investiert werden soll, und er will ja auch selber sehr viel investieren?
Hommel: Ich glaube, es macht wenig Sinn – das können wir gerne tun, dann würde das Interview sehr lange dauern -, uns mit allen unsinnigen Aussagen eines GdL-Vorsitzenden hier zu befassen. Eins steht doch fest: Es geht um die Existenz der GdL. Im vorigen Jahr hat Weselsky im November erklärt, er werde die EVG aus dem Unternehmen verdrängen, und hat damit selber das Tarifeinheitsgesetz eingeläutet und muss jetzt mit den Konsequenzen leben, hat sich verzockt, steht in der Ecke, führt de facto jetzt einen politischen Arbeitskampf und weiß nicht, wie er da wieder rauskommt. Deshalb ganz klar: Wir haben mit diesen Aussagen überhaupt kein Problem. Wir haben einen ganz klaren Kurs. Dieser Kurs ist durch unsere Mitglieder legitimiert. Für uns heißt es auch als Gewerkschaft, Verantwortung zu übernehmen.
"Wir sind in der Lage, wiederum zu verhandeln"
Münchenberg: Aber, Herr Hommel, ist Ihre Lage wirklich so bequem, wie Sie das gerade darstellen? Die Frage ist ja schon: Wenn sich die GdL jetzt durchsetzen sollte – und sie lässt es ja darauf ankommen durch die Streiks -, müssen Sie dann nicht befürchten, dass Ihre Gewerkschaft doch mehr Mitglieder in Richtung GdL verlieren wird, die dann schließlich 3,2 Prozent und vielleicht sogar eine Corona-Prämie rausholt?
Hommel: Nein, das müssen wir nicht, denn die ganze Mitgliederaktion der GdL – deshalb ja auch diese sogenannte harte Arbeitskampf-Maßnahme – hat seit vorigem Jahr für die GdL keine Ergebnisse gebracht. – Punkt Nummer eins.
Punkt Nummer zwei haben wir einen Tarifvertrag abgeschlossen, der sicherstellt, wenn die Bahn mit einer anderen Organisation – und das wäre natürlich die GdL – eine andere tarifliche Regelung abschließt, sind wir in der Lage, wiederum zu verhandeln, an den Verhandlungstisch zu gehen und darüber zu verhandeln, wie wir mit diesen Dingen umgehen. Es wäre ja fahrlässig, wenn wir unter diesen Bedingungen, als wir wussten, was hier passieren wird, einen Tarifvertrag abgeschlossen hätten und eine solche Revisionsklausel nicht vereinbart hätten. Das heißt, kein Kollege oder keine Kollegin wird dann ein schlechteres Tarifergebnis haben.
"Wir haben die GdL-Tarifverträge nie angegriffen"
Münchenberg: Ich will trotzdem noch mal eine andere Zahl sagen. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat ausgerechnet, dass die Löhne der GdL seit dem ersten Tarifvertrag um 46 Prozent gestiegen sind; im Bereich EVG waren es aber nur 40 Prozent. Das heißt, das spricht ja schon für die kleine Konkurrenz.
Hommel: Nein, es spricht überhaupt nicht für irgendjemanden, weil ich erst mal die Zahlen anzweifele. Dann müsste das Institut erklären, wie sie sie berechnet haben. Tarifverträge zu vergleichen, ist nicht so leicht. Wenn nur jemand zwei Tabellen nebeneinanderlegt, dann hat er noch lange keinen Tarifvergleich gemacht. Wenn sich heute ein Vorsitzender der GdL hinstellt und jetzt in der Videobotschaft seinen Mitgliedern erzählt, ihr braucht keinen Kündigungsschutz, dann wissen wir ja, was dafür geopfert wurde, möglicherweise geopfert wurde. Aber das ist die Frage, wie jede Organisation Tarifpolitik macht. Im Übrigen haben wir die GdL-Tarifverträge nie angegriffen. Wir diskutieren auch nicht über die Notwendigkeit von Arbeitskampf-Maßnahmen in einer Auseinandersetzung, sondern wir machen unsere Tarifpolitik und die Beschäftigten entscheiden, welcher Gewerkschaft sie sich zuwenden.
Münchenberg: Herr Hommel, Sie haben jetzt auch schon den Machtkampf der beiden Gewerkschaften um Einfluss und Macht im Bahnkonzern angesprochen. Die GdL bestreitet ja, dass es so was gibt. Wie könnte denn jetzt, auch in die Zukunft gerichtet, eine Koexistenz sichergestellt werden, denn das ist ja ein Grundsatzkonflikt, der irgendwie gelöst werden muss?
Hommel: Auf jeden Fall: Gewerkschaften sollten zusammenarbeiten. Gewerkschaften sollten sich dort, wo es sinnvoll ist, auch zusammenschließen. Das hat die GDBA mit der Transnet vor gut zehn Jahren getan. Deshalb existiert die EVG. Jede Form von Spaltung nützt nur der anderen Seite.
"Eine Zusammenarbeit ist in den verschiedensten Formen sinnvoll"
Münchenberg: Würden Sie denn eine Bestandsgarantie abgeben für die GdL?
Hommel: Was heißt Bestandsgarantie? – Na selbstverständlich! Es ist ja ein Märchen, was von der GdL bei jeder Tarifauseinandersetzung erklärt wird, dass man sie angreifen oder vernichten will. Das ist völliger Unsinn! Darüber denkt bei uns niemand auch nur im entferntesten nach, sondern es hat viele Versuche gegeben und die EVG ist ein Ergebnis solcher Versuche, sich gemeinsam entsprechend zu bewegen. Es muss nicht sofort zu einem Zusammenschluss kommen. Eine Zusammenarbeit ist in den verschiedensten Formen sinnvoll. Nur das bedeutet, dass man Vertrauen zueinander haben muss und dass nicht, wie seit vielen Jahren, ein ständiger Konfrontationskurs gefahren wird. Wenn die EVG einen Abschluss macht und in eine Richtung marschiert, kann man darauf warten, dass die GdL in eine andere Richtung geht. Deshalb ist das schwierig. Hier muss Vertrauen her und die Dinge, die jetzt im Augenblick im Unternehmen laufen, sind eine Katastrophe. Da werden Mitglieder massiv bedrängt. Der Betriebsfrieden ist nicht nur gefährdet; der ist im Augenblick in vielen Bereichen wirklich zerstört. Wenn das alles abgestellt wird, sind wir sofort bereit, uns an den Tisch zu setzen und darüber zu reden, wie man vernünftig miteinander umgehen kann.
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