Seit mehr als 160 Jahren erforschen Wissenschaftler die Neandertaler. Zwar wurden von unseren ausgestorben Vettern hunderte Skelette gefunden, jedoch gibt es weiter viele offene Fragen - etwa, wie und warum die Vertreter von Homo neanderthalensis vor rund 30.000 Jahren ausgestorben sind. Diesen Fragen geht auch Tanya Smith vom Australischen Forschungszentrum für Humanevolution an der Griffith University nach. Ihr Studienobjekt: Zähne. Genauer gesagt, Zähne von zwei Neandertalerkindern, die vor rund 250.000 Jahren gelebt haben.
"Bei dieser Studie haben wir erstmals die verschiedenen chemischen Informationen aus den Zähnen kombiniert. Dadurch konnten wir auf die unterschiedlichen damaligen Umweltbedingungen schließen. Diese Daten ergeben ein umfangreiches Bild der Biologie der Neandertaler."
Barium verrät die Länge der Stillzeit
Tanya Smith hat die Milchzähne, die im Südosten Frankreichs ausgegraben wurden, zunächst in hauchdünne Scheiben geschnitten. Die nur einen Zehntel Millimeter dünnen und durchsichtigen Schnitte analysierte sie mithilfe eines Mikro-Computertomografen. Anschließend verdampfte sie mithilfe eines Lasers einige Stellen, um die im Zahn enthaltenen chemischen Elemente zu ermitteln. Dabei sah sie etwa anhand der Bariummenge, wie lange das jüngere Kind gestillt wurde - nämlich zweieinhalb Jahre lang.
Zudem wurde klar, dass das Kind im Frühjahr geboren wurde. Dies sei sinnvoll, so konnte der Neandertalersäugling im Sommer und Herbst genügend wachsen, um den ersten harten Winter zu überstehen. Dann entdeckte die Forscherin plötzlich ungewöhnliche Spuren.
"Beide Neandertaler waren früh dem Schwermetall Blei ausgesetzt. Offenbar sind sie im Winter in eine Region gezogen, wo es natürliche Bleivorkommen gab, oder sie haben etwas gegessen, das mit Blei verunreinigt war."
Beide Kinder waren insgesamt zwei Winter lang diesem Schwermetall ausgesetzt, jeweils für einige Monate.
Blei und Kälte setzten den Kindern zu
"Blei ist ein Nervengift, das sich auf die kognitive Entwicklung auswirkt. Einige Forscher gehen davon aus, dass das Schwermetall Autismus auslösen kann. Dinge wie Verhaltensstörungen können wir an den Zähnen nicht nachweisen. Wir sehen nur, dass die Bleibelastung nicht so hoch war, dass es deswegen zu Entwicklungsverzögerungen im Skelett gekommen ist."
Woran die Kinder vor 250.000 Jahren gestorben sind, könne sie nicht sagen. Klar sei nur, so Tanya Smith, dass die harten Winter den kleinen Neandertalern erheblich zugesetzt hatten.
"Die Winter damals waren viel kälter als heute, zudem war der Wechsel von warm auf kalt und zurück viel extremer. Die Zähne zeigen deutliche Wachstumsstörungen. Legt man die Klimadaten daneben, dann wird klar, dass diese Unterbrechungen immer dann auftraten, wenn es kalt war. Der Winter war damals ein großer Stressfaktor. "