Die MacKenzie-Mountains im Nordwesten Kanadas sind wirklich abgelegen. Dorthin komme man nur mit dem Hubschrauber, sagt Elizabeth Turner: "Es ist nass, kalt und schmutzig und Du versuchst während der meisten Zeit, warm und satt zu bleiben. Im Rest der Zeit krabble ich Berghänge hinauf, um dorthin zu gelangen, wo ich Gesteinsproben nehme. Dann kommst Du mit einem schweren Rucksack wieder herunter."
Seltsame Strukturen in Bakterienriffen entdeckt
Elizabeth Turner erzählt das augenzwinkernd. Denn die Professorin an der Laurentian University in Sudbury, Ontario, ist begeistert von den hunderte Meter hohen Riffen, die vor 890 Millionen Jahre in einem tropischen Meer gewachsen sind: "Es gab damals Riffe, die genauso groß waren wie das Great Barrier Reef heute, nur dass sie nicht von Korallen, Algen und Muscheln aufgebaut wurden, sondern von Cyanobakterien, also Bakterien, die Photosynthese betreiben."
In einigen Proben, die sie zurück ins Labor brachte, fielen Elizabeth Turner merkwürdige Strukturen auf: verzweigte Netze aus wurmartigen, röhrenförmigen Gebilden, die von Kalzitmineralen umhüllt sind. Jahrzehntelang rätselte die Forscherin, was das sein könnte. Bis in den vergangenen Monaten mehrere Aufsätze darüber veröffentlicht wurden, wie Schwämme zu Fossilien werden.
"Schwämme werden durch ihre eigene Verwesung zu Fossilien, denn während sie verrotten, bilden sich Kalkkristalle. Das ist ein komplizierter Prozess. Erst durch Forschungen von Kollegen an fossilen Schwämmen in sehr viel jüngeren Gesteinen konnte ich sehen: Die Strukturen, die sie finden, sind praktisch identisch mit meinen uralten. Also lehne ich mich aus dem Fenster und behaupte, dass es sich bei diesen wurmartigen Strukturen um fossile Schwämme handelt." Genauer: Um die fossilen Überreste von Tieren, die modernen Hornschwämmen gleichen, den Badeschwämmen also.
Muss die Geschichte der Tiere umgeschrieben werden?
Schwämme sind vielzellige Tiere, wenn auch die primitivsten überhaupt. Stimmt die Interpretation von Elizabeth Turner, wären sie rund 350 Millionen Jahre älter als das älteste zweifelsfreie Schwammfossil. Und sie hätten in einer Welt gelebt, in der es noch kaum Sauerstoff im Wasser gab. Doch Tiere brauchen Sauerstoff. Wie also konnten sie überleben? Die kanadische Forscherin hat eine Theorie.
"Diese potentiellen Schwämme lebten in den Rissen und Spalten direkt unter der Zone der Cyanobakterien. Die Cyanobakterien könnten den Sauerstoff für die Schwämme produziert haben, auch Nahrung in Form des Schleims, den sie immer wieder abstoßen. Das wäre ein Paradies für frühe Schwämme. Sie hätten alles gehabt, was sie brauchten."
Und die Schwämme hätten auch die schweren Eiszeiten überlebt, die zwischen 720 und 635 Millionen Jahren vor unserer Zeit die Erde zu einem ungemütlichen Ort gemacht haben.
Weitere Analysen sind nötig, um die Theorie zu bestätigen
Rachel Wood von der University of Edinburgh, die nicht an der Arbeit beteiligt war, ist angetan davon: "Es ist großartig, dass der Artikel die Debatte darüber anstößt, ob es vor 890 Millionen Jahren wirklich schon Tiere gegeben hat." Die Behauptung sei allerdings so gewagt, dass tiefgehende Analysen notwendig seien: "Wir müssen auch andere Erklärungen verfolgen, etwa, ob die Strukturen durch mikrobielle Prozesse entstehen könnten. So etwas muss sorgfältig erforscht und ausgeschlossen werden, bevor wir wirklich mit Sicherheit sagen können, dass es sich um Schwämme handelt."
Die Daten molekularer Uhren, mit denen sich durch die DNA-Sequenzierung die Geschichte der Schwämme abschätzen lässt, helfen jedenfalls nicht weiter: Je nach Methode kommt man auf Zeiträume zwischen 541 und 950 Millionen Jahre vor heute.