Die Geschichte von Lee Berger war lange Zeit die vieler Paläoanthropologen. 17 Jahre lang hatte der Forscher von der Universität von Witwatersrand in Johannesburg vergeblich nach frühmenschlichen Fossilien gesucht. Dann gelang ihm etwas Einzigartiges: 2008 entdeckte er mit seinem Team in Südafrika die versteinerten Überreste einer bis dahin unbekannten Menschenart, die vor zwei Millionen Jahren lebte. Sie erhielt den wissenschaftlichen Namen Australopithecus sediba. Erstaunlich an der Entdeckung war auch, dass es nicht bei einem Fund blieb.
Ein unglaublich reicher Fundus an Knochen
"Wir haben mindestens sechs Individuen entdeckt, wobei das eine konservative Schätzung ist, weil es teils isolierte Fossilien sind. Aus der Fundstätte Malapa sprudeln noch immer versteinerte Knochen; bei jeder Ausgrabung dort finden wir mehr. Da werden also noch viele sediba-Fossilien zutage kommen."
Lee Berger war das Glück jedoch nicht nur einmal hold. 2013 gab es die nächste, noch größere Überraschung. In dem unterirdischen Rising-Star-Höhlensystem, nur wenige hunderte Meter vom Australopithecus sediba Fundort entfernt, war sein Team geradezu auf Fossilienmassen gestoßen. Binnen kurzer Zeit stellte der Paläoanthropologe eine Ausgrabungskampagne auf die Beine. Das Team förderte innerhalb von wenigen Wochen mehr als 1.700 menschliche Überreste zutage. Die Knochen stammen von mindestens 15 Individuen, alle rund 250.000 Jahre alt. Sie gehörten erneut zu einer bis dato unbekannten Menschenart und wurden 2015 als Homo naledi beschrieben.
Die zweite große Fundstätte nur einen Steinwurf entfernt
"Allein in dieser Kammer liegen noch mehr Fossilien. Und als wir die Umgebung auskundschafteten, entdeckten wir noch mehr Kammern mit Homo naledi Fossilien. Die zweite große Fundstätte war gerade einmal 110 Meter entfernt, dort stießen wir auf Überreste derselben Menschenart, das war überraschend! Mittlerweile kennen wir rund sieben solcher Kammern, alle enthalten Homo naledi Fossilien und es wird sicher noch mehr geben."
Mittlerweile sind es mindestens 26 Individuen, die definitiv alle zur selben Art gehören. Wie die Knochen einst in die Höhlen kamen, teilweise 30 Meter unter der Erdoberfläche, ist weiter unklar. Klar ist nur, dass die Bearbeitung tausender Knochen ein Forschungsauftrag für Generationen sein wird. Die bisherige Menge an Frühmenschenfossilien in Afrika haben Lee Berger und sein Team in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Bisher sind 157 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt bei der Bearbeitung der Funde involviert, Studierende nicht mit eingerechnet. Es gibt aber nicht nur viele Fossilien, sondern auch weiter viele Fragen.
"Haben wir Fossilien von Homo naledi schon außerhalb des Rising Star Höhlensystems entdeckt? Nun, da gibt es das Problem, dass wir nicht wissen, wie diese Knochen dort aufgrund anderer Umweltbedingungen aussehen. Ist es daher möglich, dass es sich bei Fossilienfunden von Frühmenschen mit kleinen Gehirnen in Südafrika oder Ostafrika, die als Homo erectus angesehen wurden, weil es zeitlich passte, vielleicht doch um Vertreter von Homo naledi handeln könnte?"
Homo erectus oder Homo naledi?
Früher haben Paläoanthropologen etwa Zahnfunde reflexhaft einer bestimmten Menschenart zugeordnet, weil es damals noch nicht vorstellbar war, dass mehrere Arten gleichzeitig gelebt haben. Solche Ansichten sind heute passé. Längst ist klar, dass die Geschichte der Menschheit weitaus vielfältiger war als es in den Lehrbüchern geschrieben steht. Und nicht nur Ostafrika spielte eine Rolle in der Menschheitsgeschichte, sondern offenbar auch Südafrika. Wie groß die einzelnen Rollen waren, können nur künftige Funde und bessere Analysen klären. Zu den vielen Funden dort gesellen sich zunehmend neue Untersuchungsmethoden, vor allem bildgebende Verfahren und künstliche Intelligenz, mit denen sich mit großer Sicherheit eine Spezieszugehörigkeit feststellen lässt – harte Wissenschaft und weniger Interpretationsspielraum, so Lee Berger. Er setzt daher nicht nur auf weitere Funde aus Südafrika, von denen einige kurz vor der Veröffentlichung stehen, sondern auch auf die neuen Techniken.
"Wir haben einige Knochen von Homo naledi genetisch untersucht, aber bisher keine DNA gefunden. Die vielversprechendste Methode, auf die wir setzen ist die Proteomik, also die Idee, dass wir noch vorhandene, alte Proteine an den Knochen untersuchen können, sowohl bei Australopithecus sediba als auch bei Homo naledi."
Die Geschichte der Menschheit in Südafrika dürfte in den kommenden Jahren noch um einige Kapitel erweitert werden.