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EVP schließt Fidesz-Abgeordneten nicht aus
"Wir müssen Europa zusammenhalten"

In der EVP bestehe die Sorge, dass ein Fraktionsausschluss der Fidesz zum Ausscheiden Ungarns aus der EU führen könnte, sagte der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary im Dlf. Auch deshalb sei der Fidesz-Abgeordnete Tamas Deutsch nach seinen umstrittenen Gestapo-Äußerungen nicht ausgeschlossen worden.

Daniel Caspary im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Daniel Caspary, Europaabgeordneter der CDU
Daniel Caspary wirbt dafür, Gesprächskanäle auch mit schwierigen Partnern so lange wie möglich offen zu halten (dpa/Patrick Seeger)
Seit Jahren hadert die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament mit ihrem ungarischen Mitglied, der Fidesz-Partei, die in Ungarn die umstrittene Rechtsstaats- und Bildungspolitik von Ministerpräsident Viktor Orbán stützt und vorantreibt. Hinzu kommen andere Vorfälle, wie zuletzt die Aussagen des Fidesz-Abgeordneten Tamas Deutsch, der EVP-Fraktionschef Manfred Weber mit Gestapo-Methoden in Verbindung gebracht hatte. Auf einen Ausschluss von Deutsch konnte sich die Fraktion aber trotzdem nicht verständigen.
Der Plenarsaal des Europäischen Parlaments in Brüssel
Gestapo-Vergleich - Ungarischer EU-Abgeordneter steht in der Kritik
Tamas Deutsch von der Fidesz-Partei habe der EVP "großen politischen Schaden zugefügt", sagte EU-Parlamentarier Dennis Radtke (CDU) im Dlf und forderte dessen Ausschluss.
Daniel Caspary, Chef der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, verteidigte im Dlf die Entscheidung der EVP-Fraktion, Deutsch nicht rauszuwerfen. Nachdem sich der Fidesz-Angeordnete entschuldigt und seine Äußerungen zurückgenommen habe, sei die Fraktion übereingekommen, ihm eine zweite Chance zu geben. "Aber mit klaren Einschränkungen und Sanktionen."
Auch wenn die EVP mit der Fidesz einen "sehr, sehr schweren Partner" habe, sei es für den Zusammenhalt der EU wichtig, zu versuchen, diese einzubinden, betonte Caspary - um Gesprächskanäle aufrechtzuerhalten und zu versuchen, die Situation zum Besseren zu wenden. Das gelte für alle Parteifamilien im Europaparlament, in deren Reihen sich ebenfalls schwarze Schafe befänden.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Warum hat die Fraktion auf den Rauswurf von Deutsch trotz der Gestapo-Vergleiche verzichtet?
Daniel Caspary: Ja, der Vergleich war inakzeptabel, untragbar und hat mit unseren Werten der Europäischen Volkspartei nichts zu tun. Tamas Deutsch hat sich entschuldigt, wenn auch sehr, sehr spät. Er hat seine Aussagen zurückgenommen und deswegen haben wir ihn nicht aus der Fraktion ausgeschlossen. Aber wir haben ihn klar sanktioniert. Er wird erst mal kein Rederecht im Plenum mehr bekommen. Er darf bestimmte Aufgaben in der Fraktion nicht übernehmen. Wir haben damit ein klares Zeichen gesetzt, dass dieses Verhalten einfach inakzeptabel ist und hier eine rote Linie überschritten wurde.
Münchenberg: Auf der anderen Seite muss man vielleicht auch den Zusammenhang sehen. Diese Gestapo-Vorwürfe kamen ja bei der ganzen Debatte um den Rechtsstaatsmechanismus, für den sich auch die EVP sehr stark gemacht hat. Da wiegen diese unsäglichen Nazi-Vergleiche doch viel schwerer, oder etwa nicht?
Caspary: Wir sollten generell immer überlegen, wie kommen Dinge, die jemand sagt, dann in anderen Ländern mit anderen geschichtlichen Hintergründen an, gerade auch bei Tamas Deutsch, der ja selbst auch einen Hintergrund hat, familiär, der sehr unter der Nazi-Diktatur gelitten hat.

Fidesz ist "sehr, sehr schwerer Partner"

Münchenberg: Wir reden aber trotzdem, Herr Caspary, um den Rechtsstaatsmechanismus. Das muss man klar sehen.
Caspary: Genau, und deswegen war die Rhetorik auch vollkommen unangepasst. Und Sie sehen an diesem Beispiel wieder, welch enge Gratwanderung wir als Europäische Volkspartei immer wieder haben, weil wir mit der Fidesz bestimmt einen sehr, sehr schweren Partner haben. Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, genau dass sie noch bei uns dabei sind. Dass wir die Gesprächskanäle haben, hat mit auch den Weg jetzt zum Kompromiss, den Angela Merkel ausgehandelt hat, geführt.
Und auch die Diskussion bei uns in der Fraktion gestern Abend über drei Stunden in der Fraktionssitzung. Die Diskussion hätten wir nicht gehabt, wenn wir Fidesz schon rausgeschmissen hätten, und ich habe schon den Eindruck gehabt, dass die Diskussionen der letzten Tage auch bei vielen Fidesz-Abgeordneten zu einem Nachdenken geführt haben, und wir haben die Fidesz-Abgeordneten auch in die Pflicht genommen. Sie müssen auch in Ungarn und auch bei Viktor Orbán sich deutlicher aufstellen und für unsere Vorstellungen kämpfen.

"Es geht darum, Europa zusammenzuhalten"

Münchenberg: Aber, Herr Caspary, das war ja nicht der erste Konflikt. Das ist ein Konflikt, der sich seit Jahren durchzieht, und die EVP hadert mit der Fidesz, hat aber noch nie den Mut gehabt, endlich die Konsequenzen zu ziehen. Es gab ja auch aus der eigenen Fraktion Stimmen. 40 Abgeordnete haben gesagt, wir müssen uns endlich von der Fidesz trennen. Da stellt sich schon die Frage: Wo liegt eigentlich die Schwelle, ab der jemand politisch nicht mehr tragbar ist?
Caspary: Wir sind an der Schwelle nah dran und wenn Tamas Deutsch diese Aussage nicht zurückgenommen hätte, wäre das für ihn persönlich auch das Ende der Fraktionsmitgliedschaft gewesen. Das ist ganz klar. Aber, Herr Münchenberg, ich meine, es gehört manchmal auch vielleicht mehr Mut dazu, eine Entscheidung zu treffen, dass man eine Partei nicht ausschließt, auch wenn die wie bei uns in Deutschland uns ja regelmäßig, wie auch in dem Interview, vor kritische Fragen stellt. Ich bin immer noch der Meinung – Sie haben es gemerkt, ich wäre bereit gewesen, Tamas Deutsch rauszuschmeißen, wenn er sich hier nicht entschuldigt hätte und seine Wortmeldung zurückgezogen hätte.
Aber die Lage ist die: Wir haben in allen Parteifamilien diese grauen und schwarzen Schafe und ich werbe immer dafür, solange es geht, müssen wir wie bei den Sozialisten in Malta, wie bei den Liberalen in Tschechien Gesprächskanäle aufrechterhalten, versuchen, die Situation zum Besseren zu wenden. Und genau deshalb: Wenn es um unser persönliches Befinden in Deutschland ging, dann hätten wir als Union uns schon längst dieses Problems entledigt. Aber es geht irgendwie auch darum, dass wir Europa gerade mit diesen auseinanderstrebenden Situationen in vielen zentral- und osteuropäischen Ländern irgendwie zusammenhalten. Und deshalb: Ich glaube, es ist fast nötiger, dass wir sie bisher noch nicht rausgeschmissen haben, als wenn wir uns das Leben leichter gemacht hätten.

Grundsätzliche Entscheidung zur Fidesz ist notwendig

Münchenberg: Aber, Herr Caspary, noch mal. Die Fidesz ist tatsächlich auch eine Partei, die Anti-Rechtsstaats-Politik – ich formuliere es mal etwas schärfer – in Ungarn mithilft umzusetzen. Erst heute gab es wieder einen Beschluss vom EuGH, wo man gesagt hat, die Migrationspolitik Ungarns verstößt klar gegen europäisches Recht. Die Frage ist ja schon, Gespräche ja. Aber es wird doch irgendwann auch eine Schwelle erreicht, wo man einfach sehen muss, die Werte, die man teilt, sind nicht mehr die gleichen.
Caspary: Deswegen müssen wir zwei Dinge tun. Das eine, ich schaue da sehr interessiert: Wird jetzt dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Ungarn umgesetzt? Denn für mich war immer meine persönliche rote Linie: Werden Urteile des Europäischen Gerichtshofs in Ungarn umgesetzt oder nicht, und da ist genau dieses Urteil von heute ein Lackmustest. Und das zweite: Wir müssen dieses Thema klären mit Viktor Orbán. Aber hier ist nicht nur unsere Fraktion gefordert, sondern hier ist vor allem auch die gesamte Europäische Volkspartei mit all ihren nationalen Vorsitzenden gefordert.
Wir wollten ja eigentlich schon im Laufe diesen Jahres eine Entscheidung über die endgültige Mitgliedschaft oder den Ausschluss der Fidesz treffen. Da ist uns leider Corona dazwischen gekommen. Wir brauchen in der Partei aus rechtlichen Gründen eine Präsenzsitzung, die im Moment nicht möglich ist, um eine solche Entscheidung zu treffen. Aber mir ist ganz wichtig: So schnell wie möglich müssen unsere Parteivorsitzenden gemeinsam mit der Fraktion hier eine Entscheidung treffen, und genau das haben wir gestern auch in der Fraktion beschlossen und die Partei gebeten, diesen Schwebezustand, den wir jetzt ja seit anderthalb Jahren haben, endlich zu beenden. Entweder finden wir eine Basis für eine gemeinsame Zusammenarbeit, oder die Wege werden sich trennen.
Münchenberg: Aber man fragt sich schon, wo liegen eigentlich die roten Linien, wo dann die EVP tatsächlich die Konsequenzen zieht.
Caspary: Eine rote Linie war dieser Nazi-Vergleich. Das war zu viel.

Fraktionsausschluss könnte EU-Austritt zur Folge haben

Münchenberg: Aber die rote Linie wurde überschritten, das sagen Sie jetzt selber, und trotzdem hat man gesagt, er kriegt ein Redeverbot, aber darf in der Fraktion bleiben.
Caspary: Zu unserem christlichen Menschenbild gehört auch dazu, dass erstens wir Vergebung haben, wenn sich jemand aufrichtig entschuldigt. Diesen Entschuldigungsversuch von letzter Woche haben wir auch nicht akzeptiert. Die Entschuldigung diese Woche und die Rücknahme der Äußerungen war der Schritt, der uns veranlasst hat, ihm eine zweite Chance zu geben, aber mit klaren Einschränkungen und Sanktionen. Wir waren ja nicht untätig.
Wie gesagt, die Situation für uns ist schwierig, weil wir immer in der Abwägung stehen. Wir erleben gerade die letzten Wochen und Monate des Brexit-Dramas. Die britischen Konservativen waren früher mal in unserer Fraktion. Bei uns sind viele überzeugt und ich auch, dass der Auszug der britischen Konservativen aus unserer Fraktion der Beginn des Brexit war. Und die Sorge, die wir haben, ist, dass ein Ausschluss der Fidesz bei uns oder ein Ausschluss der maltesischen Sozialisten bei denen oder ein Ausschluss der tschechischen Liberalen in der Liberalen-Fraktion vielleicht auch der Beginn dann eines Ausscheidens anderer zentraleuropäischer Länder aus der Europäischen Union sein sollte.
Deswegen: Die Abwägung ist für uns immer schwierig, Herr Münchenberg, und wir haben bisher den Weg gewählt, lasst uns im Gespräch bleiben. Und wenn Sie sehen, wie Angela Merkel diese Gesprächsfäden jetzt auch wieder genutzt hat, um den Rechtsstaatsmechanismus zu implementieren – wir sind ja Ungarn keinen Millimeter entgegengekommen -, dann …

Gesprächsfäden in Europa aufrechterhalten

Münchenberg: Wobei das sehen natürlich Kritiker anders. Sie sagen, von diesem Rechtsstaatsmechanismus ist nur bedingt etwas übrig geblieben. – Ich will noch mal einen anderen Punkt ansprechen. Es gibt ja auch den Vorwurf, dass am Ende doch auch politisches Kalkül dahinter steht, dass die EVP nicht die Konsequenzen zieht – zum Beispiel, weil das ungarische Parlament ja noch den Corona-Hilfen auch zustimmen muss, und da will man nichts anbrennen lassen.
Caspary: Nein, darum geht es wirklich nicht, sondern worum es uns geht ist genau dieses Aufrechterhalten von Gesprächsfäden, und wir lassen uns auch nicht erpressen, wie wir jetzt festgestellt haben. Und deswegen auch beim Rechtsstaatsmechanismus, wenn hier jetzt einige Kritik auspacken, es wurde genau das beschlossen am letzten Wochenende beim europäischen Gipfel, auf das sich Parlament, Rat und Kommission vor mehreren Wochen geeinigt haben. Da wurde kein einziger Buchstabe geändert, kein Satzzeichen verschoben, und genauso muss das funktionieren. Wir lassen uns nicht erpressen und genau das haben wir auch in diesen Tagen wieder deutlich gemacht.

Fisdesz hat CDU Stimmen bei Europawahl gekostet

Münchenberg: Bei dem Mechanismus gibt es verschiedene Verfahren, die das Ganze ja unglaublich in die Länge ziehen werden. Noch mal die abschließende Frage zum Schluss, Herr Caspary. Haben Sie nicht vielleicht auch die Sorge, dass die CDU am Ende durch den Verbleib der Fidesz in der EVP nicht ein Stück weit beschädigt wird – Stichwort Glaubwürdigkeit?
Caspary: Ich habe da nicht die Sorge, sondern ich bin davon überzeugt, dass wir auch wegen der Mitgliedschaft der Fidesz in der europäischen Parteienfamilie als CDU bei der letzten Europawahl Stimmen verloren haben. Und noch mal: Wenn wir uns als Union in Deutschland das Leben leichtmachen wollten, dann hätten wir Fidesz schon längst rausgeschmissen. Aber es geht nicht um unser persönliches Wohlbefinden und es geht auch nicht darum, dass wir wie heute für uns schwierige Interviews vermeiden, sondern wir haben alle gemeinsam den Auftrag, im Jahr des Brexits irgendwie Europa zusammenzuhalten und auch die divergierende Situation in Zentral- und Osteuropa in allen Parteienfamilien zu beantworten, und deshalb tun wir uns schwer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.