Archiv

EVP-Spitzenkandidat zum Fidesz-Kompromiss
"Es geht um die Einhaltung unserer Prinzipien"

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sei ein "ganz schwieriger Partner", sagte der EVP-Vorsitzende Manfred Weber im Dlf. Mit der vorläufigen Suspendierung verliere die ungarische rechtspopulistische Fidesz-Partei alle Mitwirkungsrechte in der EVP. Orbán entscheide damit nicht mehr über ihren Kurs.

Manfred Weber im Gespräch mit Philipp May |
Die Europäische Volkspartei (EVP) hat den CSU-Politiker Manfred Weber auf ihrem Kongress in Helsinki zum Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 und die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gewählt.
"Wenn wir uns alle gegenseitig ausschließen, führt das am Ende der Tage nur zur Spaltung der EU", und das sei nicht der klügste Weg, so EVP-Spitzenkandidat Weber (CSU). (Lehtikuva/ Markku Ulander/ap/dpa-Bildfunk)
Philipp May: Es sieht so aus, als wäre Viktor Orbán, der illiberale ungarische Ministerpräsident, wieder mit einem blauen Auge davongekommen. Die Europäische Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören, sieht von einem Rausschmiss ab und belässt es bei einer Erziehungsmaßnahme. Nach seinen neuerlichen Ausfällen in den letzten Monaten lässt Orbáns Fidesz die EVP-Mitgliedschaft ruhen - in beiderseitigem Einvernehmen, wie es heißt.
Am Telefon in Brüssel ist jetzt der EVP-Spitzenkandidat für die Europawahl, Manfred Weber. Schönen guten Morgen, Herr Weber!
Manfred Weber: Guten Morgen, Herr May.
"Die Fidesz verliert alle Mitwirkungsrechte"
May: Ist Viktor Orbán für Sie ein guter Christdemokrat?
Weber: Er ist ein ganz schwieriger Partner und wir haben gestern mit unserer Entscheidung klargemacht, dass es bei uns in der EVP nicht zunächst um die Größe der Fraktion geht, nicht um Stimmen geht, sondern es geht um die Frage der Einhaltung unserer Prinzipien. Die Christdemokratie ist die Gründungspartei Europas, mit Adenauer, Schumann, de Gasperi. Europaweit sind die Christdemokraten nach dem Zweiten Weltkrieg voranmarschiert und wir wollen ein starkes Europa. Wir wollen ein ambitioniertes Europa für die Zukunft und das werden wir uns nicht ausreden lassen.
Deswegen war gestern die Entscheidung sehr klar, und konkret bedeutet das, dass die Fidesz alle Mitwirkungsrechte in der EVP verliert. Das heißt, der Grundkurs von der EVP wird nicht mehr von Orbán mitgestaltet. Er wird von Leuten geprägt wie von mir als Spitzenkandidat. Ich habe ein Mandat für die EVP bekommen und das werden wir auch den Menschen im Wahlkampf jetzt vermitteln.
"Leichte Anzeichen einer Veränderung" in Ungarn
May: Aber um die Frage zu beantworten, ob Viktor Orbán noch die christdemokratischen Prinzipien vertritt, braucht es da wirklich noch eine Expertenkommission?
Weber: Die Alternativen muss man sich mal aufzeigen. Wenn wir heute über die konkreten drei Forderungen reden, die ich definiert habe, beispielsweise die Anti-Brüssel-Kampagne einzustellen, oder auch die Universität in Budapest, dann haben wir jetzt in den letzten Tagen leichte Anzeichen von einer Veränderung des Kurses in Ungarn erlebt. Ich bin da sehr vorsichtig in der Bewertung, aber die Tatsache, dass die Poster, die Plakate verschwunden sind, und dass die Universität eine Perspektive hat, dass wir die Universität dort sichern können, gibt mir Hoffnung.
Ich denke zum Beispiel in allererster Linie an die Studenten, die ich am letzten Dienstag, als ich in Budapest war, getroffen habe, die Sorge haben um ihre Universität. Deswegen möchte ich dieser Überlegung, die Universität zu sichern, eine Chance geben. Wenn es nicht klappt, dann klappt es nicht. Deswegen war gestern auch die Botschaft von mir klar. Es ist auch der Ausschluss weiter am Tisch. Unsere Fachleute, unser Evaluationskomitee wird das dann schließlich und endlich entscheiden. Aber ich möchte dem eine Chance geben und ich möchte auch Europa zusammenhalten, weil uns alle gegenseitig auszuschließen am Ende der Tage nur zur Spaltung der EU führt, was wir am Brexit spüren, dass das nicht der klügste Weg ist.
"Habe viel zu kritisieren, aber er ist ein gewählter Regierungschef"
May: Wo Sie jetzt noch mal die Universität ansprechen – gibt es denn bisher irgendwelche Zusagen von Orbán, was den Bestand und die uneingeschränkte Arbeit dieser Central European University angeht, die ja von George Soros gefördert wird?
Weber: Die CEU kann aktuell in Budapest keine amerikanischen Diplome vergeben, und das ist für die Universität eine zentrale Frage, um zukünftig weiter in Budapest tätig sein zu können. Ich habe jetzt gemeinsam mit der TU München und einer amerikanischen Universität einen Vorschlag auf den Tisch gelegt, wie wir das zukünftig gewährleisten können. Dieser Vorschlag wurde von Viktor Orbán angenommen. Er hat einen Brief dazu formuliert an den Freistaat Bayern, an den bayerischen Ministerpräsidenten, wo er die Zusage gegeben hat, dieses Konzept jetzt umsetzen zu wollen, und dabei sind wir jetzt im Gespräch.
Der Präsident der Universität in Budapest, Herr Ignatieff, wird sich in wenigen Tagen in München mit dem Präsident der Technischen Universität München treffen. Sie werden weiter über dieses akademische Konzept reden und ich möchte dem eine Chance geben. Wenn es umgesetzt wird, dann wird es die CEU dauerhaft in Budapest stabilisieren, und wir können den Studenten dort eine Zukunft geben.
Und wenn ich das sagen darf: Mir ist wichtig, wir müssen jetzt lösungsorientiert arbeiten. Wir haben zu viele Politiker auf dem Kontinent, bei denen spürt man, wie schön es ist, gegen den Orbán zu argumentieren, gegen die Ungarn zu argumentieren. Ich habe viel zu kritisieren, aber er ist ein gewählter Regierungschef und ich möchte Lösungen erarbeiten, auf Basis der gemeinsamen Grundlage. Deswegen sind zwei Botschaften wichtig: Lösungsorientiert und Viktor Orbán verliert die Rechte der Mitwirkung in der EVP. Er entscheidet nicht mehr über den Kurs meiner Partei.
May: Darüber, dass Orbán gewählter Regierungschef ist, können wir gleich noch reden. Ich möchte noch einmal bei der TU München bleiben. Das ist ja eine ziemlich goldene Brücke, die Sie Viktor Orbán gebaut haben. Es geht ja konkret um die Finanzierung von mindestens zwei Professorenstellen an dieser Universität über die TU München. Ist das okay, bayerische Steuergelder, um einen parteiinternen Konflikt zu befrieden?
Weber: Wir kriegen doch keinen parteiinternen Konflikt.
May: Na was denn sonst?
Weber: Ich wundere mich, dass wir das immer unter Parteiaspekten sehen. Wir reden über die Frage, ob eine Universität weiter arbeiten kann. Und dass die TU München Auslandsprofessuren finanziert, ist Stand der akademischen Arbeit. Das machen wir an vielen Standorten auf der Welt. Selbst in Asien finanziert der Freistaat Bayern Professorenstellen. Das ist ganz normale akademische Praxis.
Streitfrage der liberalen CEU-Universität in Budapest
Der entscheidende Punkt ist, dass zum ersten Mal jetzt eine Universität bereit ist, selbst Mittel bereitzustellen, um diese Schritte zu gehen. Viele haben in den letzten Wochen diskutiert über die Frage, wie man die CEU retten kann. Jetzt liegt zum ersten Mal ein konkreter Vorschlag auf dem Tisch, wie man es machen kann, und das wird jetzt versucht. Der Freistaat Bayern hat beispielsweise auch eine enge Partnerschaft mit Professorenstellen mit der Andrássy-Universität, der zweiten Universität in Budapest. Das ist geübte akademische Praxis und wenn die CEU damit eine Perspektive bekommt und Viktor Orbán politisch das unterstützt, dann ist es im Interesse der Studenten und der Professoren, die vor Ort eine gute Arbeit machen. Ich möchte mich um die kümmern und das ist auch mein Ansatz, wie ich als Kommissionspräsident arbeiten will. Ich will die Themen lösen, mit den Partnern, die wir haben.
May: Herr Weber, das glaube ich Ihnen alles. Aber dennoch: Einen Zusammenhang zwischen dem drohenden Rausschmiss von Viktor Orbán aus der EVP kurz vor der Europawahl und jetzt dieser Finanzierung der zwei Professorenstellen, den können Sie jetzt nicht bestreiten, oder?
Weber: Dass wir ein politisches Problem haben, ist offensichtlich. Aber mich wundert, dass wir bei den politischen Themen immer zunächst mal parteipolitisch argumentieren. Ich sage, es gibt eine Lösung, die am Tisch ist, und diese Lösung möchte ich mit Leben erfüllen. Diese Lösung möchte ich gestalten. Die akademische Ausgestaltung, was diese Professoren machen – übrigens ist auch das Angebot am Tisch, dass privates Kapital von Unternehmen mit einfließt.
"Ich möchte lösungsorientiert arbeiten"
Insofern: Wenn wir da Bereitschaft haben von verschiedenen Verantwortungsträgern, jetzt die akademische Arbeit in Budapest zu stärken, vor allem im Bereich der politischen Wissenschaften, wo wir ja Defizite offensichtlich haben, dass wir die modernisieren, dass wir sie europäisieren in Mittel- und Osteuropa, dann ist das ein tolles Angebot, dass da am Tisch liegt.
Wie gesagt, es gibt bisher kein Alternativangebot, das die Probleme lösen könnte. Insofern glaube ich, dass es gut ist, und ich freue mich, dass auch der Präsident Ignatieff die Gespräche jetzt aufnimmt und die Überlegungen mit anpackt. Lösungsorientiert arbeiten, das würde ich mir wünschen.
May: Okay! – Dennoch: Es ist ja ganz offensichtlich Parteipolitik, wenn die EVP einen Ausschluss von Orbán prüft. Nichtsdestotrotz: Man kann sich des Eindrucks ja nicht erwehren, da wird jetzt für alle eine gesichtswahrende Distanzierung vorgenommen, und nach den Wahlen wählen Orbáns Leute Sie dann zum Kommissionschef und die Suspendierung wird wieder aufgehoben. Haben Sie da einen Kuhhandel vereinbart?
Weber: Herman Van Rompuy, der jetzt dieses Verfahren leitet, hat öffentlich bereits sich dafür ausgesprochen, dass Fidesz die EVP verlassen muss. Er hat öffentlich klargemacht, dass aus seiner Sicht der Geduldsfaden gerissen ist, und deswegen bin ich dankbar, dass er die Verantwortung übernimmt, jetzt die Bewertung durchzuführen, ob die Kriterien weiter eingehalten werden. Er ist ein glaubwürdiger Vertreter. Er ist anerkannt und auch respektiert als früherer Ratspräsident der Europäischen Union und wir werden seinem Urteil folgen. Er hat das Mandat, das jetzt zu prüfen mit den anderen beiden Kollegen, und er hat das Mandat, dann auch uns einen Vorschlag vorzulegen.
Gemeinsames Wahlprogramm von CDU und CSU
May: Dann schauen wir auf die Europawahl. Wir schauen auf Ihr Wahlprogramm. Erstmals übrigens ein gemeinsames Wahlprogramm der CDU und CSU. Nächste Woche soll es endgültig beschlossen werden. Wenn man auf die Eckpunkte schaut, dann ist es dezidiert europafreundlich: Mehr Zusammenarbeit, Garant für Frieden und Freiheit, für Wohlstand, für die Achtung der Menschenrechte steht da, für Sicherheit und Stabilität. Wo gibt es denn da überhaupt noch Gemeinsamkeiten zwischen Fidesz und der Union?
Weber: Die Union tritt in Deutschland an und wir haben jetzt für nächsten Montag, für den gemeinsamen Parteivorstand in Berlin ein Wahlprogramm erarbeitet, das wir dann den Gremien vorlegen werden, das in die Zeit passt. Wir wissen ob der Herausforderungen von außen, mit Russland, mit Donald Trump in Wirtschaftsfragen, mit dem chinesischen Anspruch, Dominanz zu entwickeln. In dem Rahmen bewegen wir uns und da gibt es für uns als Deutsche, für uns als Union nur eine Richtung, nämlich ein gestärktes, ambitioniertes, nahe an den Bürgern positioniertes Europa. Das ist das, wofür wir stehen, und das wird mit konkretem Leben erfüllt.
Grenzsicherung als "die große Aufgabe"
Die großen Aufgaben, die ich jetzt erlebe, wenn ich in Deutschland unterwegs bin, was die Leute und Menschen uns zurufen, ist die Grenzsicherung, die Frage, dass wir die Außengrenzen im Griff haben, dass wir wissen, wer sich auf europäischem Boden befindet, verbunden mit einem Marshall-Plan für Afrika, um auch Hilfsbereitschaft deutlich zu machen, dass wir ein humanitärer Kontinent sind.
Das zweite große Thema ist die Wirtschaft. Jetzt kommen die Gewitterwolken auch in Deutschland langsam näher. Die Wirtschaftsdaten trüben sich ein. Deswegen müssen wir uns um Innovation kümmern. Wir müssen offen sein für Handelspolitik, weitere Handelsverträge abschließen.
Das dritte große Thema ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Deswegen: Die Ambitionen bei den Streitkräften, die Ambitionen bei der europäischen Verteidigungsgemeinschaft sind für uns zentrale Anliegen.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
"Brexit-Chaos darf nicht auf EU übergreifen"
May: Herr Weber, jetzt haben wir heute neben Orbán und Ihrem Wahlprogramm noch ein ganz großes Thema auf der Agenda: der EU-Gipfel in Brüssel. Es sollte eigentlich – Sie haben es gerade angedeutet – um China gehen. De facto dreht sich wieder alles um den Brexit. Theresa May möchte eine Verlängerung des Austritts bis Ende Juni, also bis nach den EU-Wahlen. Kann sich die EU darauf einlassen?
Weber: Die Europäische Union muss Acht geben, dass die Unsicherheit, das politische Chaos, muss man sagen, was wir in London erleben, dass das nicht jetzt auch das Potenzial hat, die Europäische Union zu infizieren.
Im Moment sind die 27 Mitgliedsstaaten sehr stabil, sehr geschlossen, sehr geeint in diesem Prozess aufgetreten, aber wenn jetzt für die Europawahlen am 26. Mai rechtliche Unsicherheit entsteht, weil wir nicht wissen, ob die Briten teilnehmen sollen oder nicht, dann kann jetzt auch das Risiko bestehen, dass wir infiziert werden, dass auch Instabilität für Europa entsteht, und das werde ich nicht dulden.
Deswegen fordere ich, dass die Sachen bis zum Europawahltermin geklärt werden müssen. Dann gehen 440 Millionen Europäer an die Wahlurnen und entscheiden über die Zukunft ihres Kontinents, und das muss auf rechtlich sicherem Boden vollzogen werden. Deswegen: Jetzt eine Verlängerung bis Ende Juni kann ich mir nicht vorstellen. Die Kommission hat mehrfach klargestellt, dass dann die Briten bei den Wahlen teilnehmen müssten, und das würde zu großer Unsicherheit führen.
"Keine Brexit-Verlängerung ohne Klärung"
May: Jetzt hat die EU zumindest hier in Europa ja die öffentliche Meinung relativ klar auf ihrer Seite. Großbritannien muss liefern, muss Vorschläge machen, bevor sich die EU bewegen kann. Nur was ist, wenn Großbritannien am Ende nicht liefert, weil das Parlament so blockiert ist? Muss die EU dann am Ende nicht doch irgendwo über ihren Schatten springen, allein um einen harten Brexit zu verhindern?
Weber: Was machen Sie in Ihrem persönlichen Verhältnis, wenn Sie jemand die Hand ausstrecken und die Hand nicht angenommen wird? Was machen Sie, wenn Sie eine Brücke bauen und von der anderen Seite niemand hilft und die Brücke mit aufbaut? Das ist die Lage, die wir haben. Europa hat mehrfach die Hand ausgestreckt. Der Deal, der am Tisch liegt, ist der gute Deal. Wir verhindern die harte Grenze in Nordirland. Wir erzeugen Rechtssicherheit für die Betriebe und für die Bürger auf diesem Kontinent. Und wir sorgen dafür, dass wir langfristig partnerschaftlich miteinander arbeiten. Das ist ein guter Deal.
Und wenn jetzt, wie Theresa May heute Nacht in ihrer Fernsehansprache auch sagte, das britische Parlament versagt in dieser schwierigen Lage fürs Land, in dieser historischen Lage fürs Land, dann wissen wir auf der europäischen Seite, dann können wir die Probleme Großbritanniens nicht lösen. Sie müssen sie selbst klären. Deswegen muss die Botschaft sein, keine Verlängerung der Verhandlungen ohne Klärung, was Großbritannien jetzt eigentlich erreichen will, was das britische Unterhaus eigentlich erreichen will.
May: Hier müssen wir einen Punkt machen. Vielen Dank, Manfred Weber, CSU-Politiker und Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl. Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.