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Ewald Arenz: "Der große Sommer"
Wochen, die alles veränderten

In seinem neuen Roman erzählt Bestsellerautor Ewald Arenz von der ersten großen Liebe eines Jugendlichen und vom Aufwachsen in einer süddeutschen Stadt in den 1980er-Jahren. Der Krieg und der Nationalsozialismus haben auch in seiner Familie Spuren hinterlassen.

Von Christoph Schröder |
Das Cover von Ewald Arenz: „Der grosse Sommer“ vor einer Wasserfläche mit Schwimmer
Das Cover von Ewald Arenz: „Der große Sommer“ vor einer Wasserfläche mit Schwimmer (Cover DuMont Buchverlag / Hintergrund Canva)
Ein Mann läuft am frühen Morgen eines Herbsttages über den Friedhof seiner Heimatstadt. Er ist auf der Suche nach einem bestimmten Grab. Währenddessen setzt seine Erinnerung ein. Er denkt über jenen Sommer nach, der sein Leben, wie er im Nachhinein festgestellt hat, für immer verändert hat.
Die Nacherzählung dieser wenigen Monate bildet den Hauptteil von Ewald Arenz‘ Roman. Der Ich-Erzähler Friedrich, genannt Frieder Büchner, ist zu diesem Zeitpunkt etwa 15 Jahre alt. Wir befinden uns im Jahr 1981. Frieder, seine ihm eng verbundene Schwester Agnes und sein bester Freund Johann pflegen einen zeittypischen Guerillero-Jargon, entrollen bei den Bundesjugendspielen provokante Plakate und trinken Bier auf der Stadtmauer. Ihre süddeutsche Heimatstadt, die in ihrer Anlage Nürnberg gleicht, liegt in Trägheit da.
Für Frieder allerdings fallen die Sommerferien aus. Einmal ist er bereits sitzen geblieben; nun ist seine Versetzung gefährdet. Während die Eltern mit den jüngeren Geschwistern in den Urlaub fahren, wird Frieder in die Obhut des Großvaters geschickt, um sich auf die Nachprüfungen vorzubereiten. Dieser harte, disziplinierte Mann, vor dem Frieder höchsten Respekt hat, lebt nach strengen Regeln:
"Jeden Morgen ein kaltes Bad. Das Wasser wurde nur jede Woche gewechselt. Ich glaube, er wusch sich gar nicht darin, sondern tauchte nur unter."

Ein Buch der kleinen Epiphanien

"Der große Sommer" ist ein Buch der profanen Epiphanien. Ewald Arenz erzählt von einem Jugendlichen, der binnen weniger Wochen Glückserfahrungen, Enttäuschungen und Erkenntnisprozesse durchläuft. Dazu gehört auch, man möchte fast sagen: selbstverständlich, die Liebe. Im Freibad lernt Frieder die gleichaltrige Beate kennen.
Gemeinsam mit Johann und Alma wird er mit ihr den Sommer verbringen, wird Dummheiten machen, einen Bagger zerstören, den ersten Sex seines Lebens haben und bei einem gemeinsamen nächtlichen Einbruch in das Freibad vom Bademeister erwischt werden. Der jedoch ruft wider Erwarten nicht die Polizei, sondern scheucht die beiden auf den Sprungturm:
"Wir beugten uns beide vor, die Arme über den Kopf. Einfach auf die Zehenspitzen, dachte ich, aber mein Körper tat es nicht. Dann sah ich, wie sich Beate hob und nach vorne kippte; ich spannte sofort alles an und ließ mich ebenfalls nach vorne fallen."
So simpel an bekannten Bildern entlang erzählt, wie es auf den ersten Blick klingt, ist "Der große Sommer" nicht. Ewald Arenz hat ein gutes Gespür für die sommerlich aufgeheizte Stadtatmosphäre, für die Stimmung der trägen bundesrepublikanischen 1980er-Jahre.

Die Gestimmtheit der alten Bundesrepublik

Zu dieser Epoche gehört auch das noch immer spürbare Nachbeben des Nationalsozialismus, das im Roman Niederschlag in der Familiengeschichte findet. In den Tagebüchern seiner noch jungen Großmutter entdeckt Frieder Hinweise auf die Geschichte ihrer Vertreibung aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Der Großvater wiederum, der tatsächlich nur der Stiefgroßvater ist, ist die interessanteste Figur des Romans: Ein Professor für Virologie und Bakteriologie und einer jener harten, undurchdringlichen Männer, die der Krieg hervorgebracht hat und von denen die Gestimmtheit des Landes zu dieser Zeit nach wie vor geprägt wurde.
Er hat nach dem Krieg Frieders von ihrem Mann verlassene Großmutter aufgenommen – und sie vor der Eheschließung einen umfangreichen Vertrag unterzeichnen lassen. Darin sichert sie ihm unter anderem zu, dass er von ihren Kindern nicht behelligt werden würde. Das Haus, das der Großvater dann für sich und seine Familie gebaut hat, ist in seiner Konstruktion so angelegt, dass er darin quasi eine Wohnung für sich alleine hat. Ein hoch interessanter, etwas unheimlicher Charakter also.
Allerdings kratzt Arenz nur oberflächlich an der Ambivalenz dieses Mannes und löst sie am Ende in Wohlgefallen auf. So ist es mit diesem Roman im Ganzen. In den Schilderungen stark, verfällt Arenz in Banalität, wenn er allgemeine Reflexionen einstreut:
"Was bedeutete es denn eigentlich, wenn man sich verliebte? Vielleicht war Verliebtheit ein wenig wie der Tod. Danach war nichts mehr, wie es vorher gewesen war."
Auch die zunächst als Spannungsmoment inszenierte Situation am Friedhof in der Gegenwart wird am Ende eine etwas süßliche Auflösung in einem dramaturgisch simplen Ringschluss finden. Vielleicht ist auch das ein Sinnbild dafür, dass "Der große Sommer" doch nicht mehr ist als eine in wohlige Nostalgie gepackte Harmlosigkeit.
Ewald Arenz: "Der große Sommer"
Dumont, Köln, 318 Seiten, 20 Euro.