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Ewig markiert

Dass die Verantwortlichen in Bayreuth so empfindlich auf die reagieren, hat einen einfachen Grund: Auch die Richard-Wagner-Festspiele sind tätowiert. Sie stecken in einer Hülle, die von Hitler geküsst wurde – die Erinnerung daran lässt sich nicht weglasern.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 23.07.2012
    Wer in diesen Tagen das Glück hat, an irgendeinem Meeresstrand oder in irgendeinem Schwimmbad in der Sonne zu liegen, der sieht: Tattoos. Die Menge tätowierter Leiber im öffentlichen Raum hat ungeheuer zugenommen, bekanntlich führte schon die Frau eines Bundespräsidenten ein solches Hautzeichen spazieren.

    Was früher nur unter Eingeborenen exotischer Kulturen, im kriminellen Milieu oder bei den Nazis üblich war: die untilgbare Bemalung und Beschriftung des Körpers ist jetzt in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

    Männer motzen ihre Muskeln mit Seefahrts-, Kriegs- und Todessymbolen auf; Frauen bevorzugen Fruchtbarkeits- und Fantasy-Ikonen auf Brust, Hintern oder Schultern, aber auch Tierisches und Teuflisches oder ganz einfach den Namen ihres Besitzers. Der kann allerdings im Lauf der Jahre wechseln, dann bleibt dummerweise trotzdem das Schild an der Fassade. Deswegen arbeiten inzwischen ganze Heerscharen von Hautärzten an der Spurenbeseitigung einer nicht mehr geliebten Vergangenheit.

    Aber so einfach ist es nicht. Eine gut gestochene Tätowierung lässt sich nicht restlos entfernen. Und gerade darin besteht ja ihre Attraktivität. Es ist ein anmaßendes Statement, das der Mensch über die Zukunft abgibt. Gerade in einer schnelllebigen Zeit, in der sich vieles als befristet, vorläufig und leicht überholbar erweist, hat die Behauptung von Beständigkeit einen unabweisbaren Reiz. Ein Tattoo erhebt sogar die arrogante Behauptung lebenslanger Beständigkeit.

    Das kann zu einer ungeheuren Bürde werden. Nicht nur, wenn sich Herzensdinge anders entwickeln als es ihr grafischer Niederschlag auf der Haut verheißt, sondern erst recht wenn es um politische Überzeugungen geht. Von letzteren kann man leicht Abstand nehmen, da genügt eine Bewegung des Kopfes, der tätowierte Körper erzählt dagegen weiter von früher. So schleppt der russische Sänger Evgeny Nikitin seine Jugendsünden, wie er es nennt, als lebendes Plakat auf der Epidermis herum.

    Dass die Verantwortlichen in Bayreuth da so empfindlich reagieren, hat einen einfachen Grund: Auch die Richard-Wagner-Festspiele sind tätowiert. Sie stecken in einer Hülle, die von Hitler geküsst wurde – das bleibt länger haften als jede Tätowiertinte.

    Und was war die Behauptung eines tausendjährigen Reichs anderes als jene Ewigkeitsarroganz, die der unwiderruflichen Hautbeschriftung zugrunde liegt? Natürlich, das waren Jugendsünden des Festspielhauses auf dem Grünen Hügel, aber die Erinnerung daran lässt sich nicht weglasern. Sie wird nur durch die Nazibilder aus dem früheren Leben eines russischen Sängers unerträglich stark.