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Ewiges Eis auf Wanderschaft

Umwelt.- Auf der Berner Konferenz INQUA 2011 diskutieren Archäologen, Geologen, Physiker, Atmosphärenforscher und Paläontologen über das Zeitalter des Quartärs - jener Zeitspanne von vor 11.500 Jahren bis heute, die auf die letzte Eiszeit folgte. Auch neue Methoden, mit denen der Klimawandel messbar gemacht werden kann, sollen vorgestellt werden.

Von Sabine Goldhahn |
    Fast immer reichen ein paar Pflanzenfasern, ein Knochenstückchen, ein Zahn, wenige Holzreste. Das genügt, um mittels der C14-Datierung das Alter von organischen Materialien bestimmen zu können. Sogar Gletscher und Steine lassen sich so datieren – vorausgesetzt, sie haben einen Baum oder eine Pflanze umgeknickt und unter sich begraben. Denn ohne organisches Material funktioniert die C14-Methode nicht.

    "Aber es hat gewisse Limitierungen, vor allem, wenn man in die jungen Bereiche geht, weil im Holozän die Gletscherstände, die sind nicht im Vorland, die sind relativ weit oben, die sind typischerweise oberhalb der Baumgrenze, und es ist nicht immer trivial, organisches Material in diesen Gletschersedimenten zu finden",

    erklärt Jörg Schäfer, Klimaphysiker an der Columbia University in New York. Er und seine Kollegen haben eine Methode entwickelt, bei der man Gesteine – ganz ohne organisches Material – bis auf einhundert Jahre genau datieren kann. Wenn beispielsweise ein Gletscher vorstößt, wird das darunterliegende Felsbett stark erodiert. Zieht sich der Gletscher anschliessend zurück, liegt das frisch erodierte Felsbett erstmals an der Erdoberfläche. Dort ist es der Atmosphäre ausgesetzt und wird von hochenergetischer Strahlung aus dem Weltall, sogenannter kosmogener Strahlung getroffen.

    "Wir werden alle von dieser kosmogenen Strahlung getroffen, das ist auch schon lang bekannt. Was neu ist, dass wir jetzt wissen, dass die kosmogene Strahlung auch noch an der Erdoberfläche so stark ist, dass sie Kernreaktionen im Gestein direkt auslöst, neue Nuklide kreiert im Gestein, im Kristallgitter der Minerale, und das als Funktion der Zeit."

    Dadurch entsteht eine kosmogene "Nuklid-Uhr", eine neue Isotopen-Datierungsmethode. Bevor man die neuen Nuklide im Gestein nachweisen kann, muss dieses aufwendig vorbereitet werden. Der Geologe Christian Schlüchter von der Universität Bern erklärt das an einem dicken Gesteinsbrocken.

    "Also das ist eine typische Probe, wie wir sie entnehmen im Gelände, um sie dann im Labor vorzubereiten für diese Isotopenmessungen. Diese Probe wird markiert, so dass man weiß, was oben ist, während dann wird sie runtergesägt bis auf 2 Zentimeter Mächtigkeit, und diese zwei Zentimeter, die werden dann gemahlen und dann kommen sie in das ganze chemische Labor, bis dann eben die Isotope gewissermassen gewünscht gebunden sind und dann so gemessen werden können."

    Zwei Isotope waren für die Forscher besonders interessant: Beryllium 10 und Kohlenstoff 14. Die kosmogene Strahlung erzeugt beide in den Quarzkristallen des Rhonegletschers. Je länger der Gletscher kleiner war als heute und je länger sein Gestein kosmogene Strahlung abbekommen hat, umso mehr Isotope sind dabei entstanden. Jörg Schäfer:

    "Es war jetzt natürlich aber so, dass der Rhonegletscher nicht immer kleiner war als heute, sondern er ging vor und zurück und während den Zeiten als er grösser war als heute, deckte der Rhonegletscher dieses Felsbett ab und die Produktion der kosmogenen Nuklide stoppt. Da das C14 aber nur eine Halbwertszeit von 5730, also sehr kurz im Verhältnis zum Beryllium hat, zerfällt es während dieser Zeit, und das können wir dann wieder im Labor nachmessen."

    Anhand der Menge von Beryllium 10 weiß man also, wie lange der Gletscher eisfrei war. Jedoch erst aus dem Verhältnis von Beryllium 10 zu C14 erfährt man, wie lange er grösser war als heute. So haben die Forscher mit ihrer neuen Methode jetzt herausgefunden, dass der Rhonegletscher in über der Hälfte des gesamten Holozäns, also während der letzten 11.500 Jahre kleiner war als heute. Heisst das nun Entwarnung für die Klimaerwärmung? Jörg Schäfer:

    "Es gibt im Holozän keine natürliche Klimaschwankung, die dem gleichkommt, was wir momentan mit der Atmosphäre anrichten."

    Wenn sich kleine Veränderungen schon so stark auswirken, wie die Gletschergeschichte aus dem Holozän zeigt, dann haben die heutigen großen Klimaschwankungen einen noch viel gravierenderen Einfluss auf die Gletscher.