Archiv


Ewiges Eis, ewiges Öl?

Durch den Klimawandel schmilzt der vormals ewige Eispanzer Grönlands und die Bodenschätze werden besser erreichbar. Doch eine Ölpest in arktischen Gewässern wäre noch katastrophaler als in warmen. Doch vor der Westküste Grönlands beginnen schon die Probebohrungen.

    Der Klimawandel bringt die Dinge in Fluss. Vor der berühmten Diskobucht im Westen Grönlands sucht das britische Unternehmen Cairn Energy nach Öl und Gas. 300 bis 500 Meter ist das Meer hier tief, die Bohrmeißel der Förderplattform "Stena Don" bohren sich in ein Reservoir in rund 4000 Metern Tiefe. Die Briten sind nicht die einzigen Investoren, sagt Jørn Skov Nielsen, Leiter des Rohstoffdirektorats der grönländischen Selbstverwaltung in der Inselhauptstadt Nuuk.

    "Grönland hat eine überaus spannende Geologie, viele Milliarden Jahre alt. Hier gibt es Mineralien und Metalle, aber auch Lagerstätten von Öl und Gas. In den letzten beiden Jahren waren alle großen Spieler der Branche hier bei uns in Grönland engagiert: Konzerne wie Exxon und Chevron, Hoskie in Kanada und Dong aus Dänemark."

    Ein Fünftel der noch unentdeckten Vorkommen an fossilen Energieträgern könnten sich nördlich des Polarkreises verbergen, schätzt der Geologische Dienst der USA.
    Im August will man in Nuuk weitere Lizenzen vergeben, mit geschätzten sieben Milliarden Tonnen Öl, Gas und Kondensat kalkulieren die Konzerne.
    Die 56.000 Bewohner der Polarinsel erhoffen sich vom Petroboom die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom einstigen Mutterland Dänemark. Doch das Bildungsniveau vieler Grönländer ist gering, Fachkräfte werden händeringend gesucht. Den Sprung in die Moderne werden Inuit nicht alleine schaffen, sagt Regierungschef Kuupik Kleist.

    Der Sozialist verdankt seinen überwältigenden Wahlsieg im Vorjahr auch der Verbitterung der Grönländer über die immer gleichen Skandale um Korruption, Selbstbedienung und Mauscheleien der Altvorderen mit ausländischen Investoren.

    "Wir können nicht all unsere Hoffnungen auf das Öl gründen. Aber wir haben die berechtigte Hoffnung, dass wir die Gelder in Zukunft gerechter verteilen, gleiche Lebensbedingungen für alle Grönländer erreichen können. Denn heute gibt es enorme Unterschiede in der Gesellschaft. Das ist fast so wie in Indien."

    Cairn Energy versichert, auf alle nur denkbaren Zwischenfälle vorbereitet zu sein. Mit einem zweiten Förderschiff und Schleppern in Bereitschaft sowie Krisenplänen für Entlastungsbohrungen beim gefürchteten Blow out. Was solche Zusicherungen im schlimmsten Fall wert sind, zeigten die apokalyptischen Bilder aus dem Golf von Mexiko, halten Umweltschützer wie Neil Hamilton dagegen. Er leitet das Arktisprogramm der Umweltorganisation WWF.

    "Das Gebiet ist im Winterhalbjahr kaum zugänglich. Eis, Sturm und widrige Wetterverhältnisse würden die Bekämpfung eines Ölteppichs unmöglich machen. In der Kälte funktionieren die Maschinen nicht und die Bindemittel bleiben wirkungslos. Das Öl setzt sich in den Poren unter dem Eis fest. Es tötet Larven und Plankton, die wichtigste Nahrungsgrundlage für viele Fischarten der Arktis."

    Eine Ölpest in den abgelegenen und sensiblen Lebensräumen der Arktis hätte weit schlimmere Ausmaße als die Katastrophe im Golf von Mexiko, da sind sich Forscher und Umweltschützer einig.
    Der WWF fordert daher ein Moratorium für weitere Offshore-Aktivitäten in arktischen Gewässern, solange es weder Notfallpläne noch die nötige Technik für den Krisenfall gibt. Doch der weltweite Energiehunger gepaart mit nationalem Prestige lässt die Sorge um das filigrane Gleichgewicht der Polargebiete verblassen. Einen Schutzvertrag nach Vorbild der Antarktis lehnen die Anrainer entschieden ab. Die Schätze des ewigen Eises sollen unter allen Umständen geborgen werden, dem Menetekel der "Deepwater Horizon" zum Trotz.

    "Die Haltung der Staaten ist glasklar: Sie beanspruchen die Arktis als ihr Hoheitsgebiet. Auch die Ölindustrie will uns einreden, dass die Würfel schon gefallen sind. Aber es gibt auch viele andere Stimmen, die sagen: Lasst uns die Chance nutzen, die letzte große Wildnis unseres Planeten zu bewahren. 30 Millionen Quadratkilometer zu Lande und zu Wasser, ein Lebensraum von unschätzbarem Wert. Und ein Ort, der Millionen Menschen überall auf der Welt am Herzen liegt. Rohstoffe sind wichtig, aber die Politik entscheidet."