Stefan Heinlein: Über das Ergebnis und die Folgen möchte ich jetzt sprechen mit dem langjährigen CDU-Wahlkampf-Manager Peter Radunski, ehemals auch Senator in Berlin. Guten Abend, Herr Radunski.
Peter Radunski: Guten Abend!
Heinlein: Die CDU auf Platz drei im hohen Norden, noch hinter der AfD, ist das der Anfang vom Ende der Ära Merkel?
Radunski: Nein, das glaube ich nicht. Aber es ist natürlich ein Schreckschuss sondergleichen, denn diese Höhe der AfD und wir dahinter, das hätten wir natürlich nicht erwartet, und das klingt ja auch aus all den Stellungnahmen meiner Kollegen von der CDU aus diesem Tag heraus.
"Ich hätte erwartet, dass die CDU vor der AfD ankommt"
Heinlein: Was hätten Sie denn erwartet?
Radunski: Ich hätte erwartet, dass die CDU vor der AfD ankommt und dass die AfD nicht wesentlich über 20 kommt, obwohl wir ja durch die Prognosen mehr und mehr vorgewarnt waren.
Heinlein: Was ist denn Ihre Erklärung, dass es jetzt anders gekommen ist als Ihre Erwartungen?
Radunski: Na ja. Ich glaube, dass die AfD jetzt den Lauf hat, von dem wir nun alle gespannt sind, ob er für die Bundestagswahl anhalten kann. Es kommt ja noch NRW. Jetzt kommt erst mal Berlin, dann NRW vor allen Dingen, und dann die Bundestagswahl. Und dann wird es natürlich eine Riesenauseinandersetzung mit der AfD geben müssen im Wahlkampf. Ich habe fast den Eindruck, es wird dann fast die Auseinandersetzung Nummer eins für die CDU sein. Wir können vor allen Dingen nicht davon ausgehen, dass die Sache von selber läuft und wir wieder in die Regierung kommen. Wir müssen massiv Kanzlerwahlen führen, wir müssen massiv die AfD anfassen, hätte ich beinahe gesagt, mit ihr diskutieren. Vor allen Dingen dürfen wir auch nicht das Thema Flüchtlinge scheuen, alle anderen Themen einbegriffen, und wir müssen mobilisieren, so dass die CDU wirklich mit den Menschen spricht, auf der Straße zu sehen ist, also erheblich stärker herangeht als in diesem zauberhaften Wahlkampf, den Frau Merkel wie mit einem Zauberstab 2013 geführt hat.
Heinlein: Hat die CDU dies bisher versäumt, mit den Menschen zu sprechen über das heikle Thema Flüchtlinge? Hat sie die Sorgen und Nöte der Menschen einfach missachtet und damit den Weg frei gemacht für diesen Erfolg der AfD?
Radunski: Ich glaube nicht so sehr, dass sie sie missachtet hat, aber sie hat im Grunde genommen nicht das Instrumentarium geschaffen, um mit diesen Menschen zu sprechen. Sie dürfen nicht vergessen: Die Parteien - das gilt ja nicht nur für die CDU - sind kleiner geworden, sie sind älter geworden, und Mobilisierung heißt ja, dass es sehr viel Aktivisten in einer Partei gibt, die mit anderen sprechen. Und nun gibt es Gott sei Dank auch das Internet. Wir haben in unserem Generalsekretär Peter Tauber einen Spezialisten sondergleichen für dieses Feld. Ich denke, da wird man einiges gut machen können und wirklich die Leute ansprechen.
Heinlein: Haben Sie den Eindruck, dass auch Angela Merkel jetzt beginnt nachzudenken? Denn sie war ja heute ungewohnt selbstkritisch und hat angekündigt, darüber nachzudenken, wie ihre Partei, wie die CDU das verloren gegangene Vertrauen wiedergewinnen kann. Geht das in die Richtung, die Ihnen gefällt?
Angela Merkel "muss für ihre Politik einstehen"
Radunski: Sie wird nicht sagen, wir haben verstanden, wie das Schröder mal gemacht hat oder jetzt die CSU fordert, aber sie wird, ich glaube, schon eine andere Einstellung, eine sehr viel dialogreichere zu ihrer Flüchtlingspolitik auch gerade mit den Gegnern und Verächtern zu führen haben.
Heinlein: Also nicht die Marschroute, die ja jetzt die CSU, die Horst Seehofer vorschlägt, indem man manche Argumente der Rechtspopulisten, manche Argumente der AfD einfach übernimmt?
Radunski: Ich glaube, das wäre sehr falsch, würde auch im Grunde genommen das ganze Bild Merkel verzerren, und ich glaube auch nicht ihre Wahlchancen bessern, sondern sie muss die Politik, für die sie steht, für die einstehen, für sie sprechen, sehr stark unterstützt von unserer Partei, möglichst viele Anhänger noch dafür gewinnen. Ich meine, nicht anders haben wir es in der Ära Kohl auch gemacht. Es sah immer am Anfang so aus, als würden sie nicht durchkommen. Wenn man aber für seine Sache steht, aber wirklich durchsteht mit allen Argumenten, die auch andere aufbringen, zu beantworten, dann, glaube ich, haben wir eine gute Chance.
Heinlein: Glauben Sie tatsächlich, dass man mit Argumenten viele AfD-Wähler zum Nachdenken bringen kann? Denn viele wählen ja die AfD - das haben ja jetzt die Nachwahlbefragungen ergeben -, um den etablierten Parteien vor allem einen Denkzettel zu geben.
Radunski: Da haben Sie völlig Recht. Argument heißt natürlich nicht jetzt rationale Politik, erstens, zweitens, drittens, viertens, fünftens, aber dass wir mal über Humanität, über die Werte unseres Grundgesetzes, über den Umgang mit Menschen, die bei uns sind, jetzt zu sprechen haben. Denn es läuft ja alles hinaus auch auf die Frage, wie wollen wir zusammenleben, was ist Deutschland, was bedeutet es, wie sind wir in unserer Heimat zufrieden. Ich habe mal eine Kampagne gemacht, "Aus Liebe zu Deutschland". Ich glaube, wir können mindestens so liebevoll und freundlich und positiv über Deutschland reden wie beispielsweise die AfD, und wir werden auch deutlich machen müssen und können, dass sie im Grunde genommen ja bisher nur das politische Geschehen kommentiert und mit Gehässigkeit versieht und gar nicht so konstruktiv sagt, was eigentlich geschehen soll und was wir machen können.
"In guten Zeiten haben wir immer ein Heimatgefühl geboten"
Heinlein: Mehr Heimat statt Globalisierung, eine Art bundesweite CSU, so ein Heimatgefühl, das die CDU bieten soll, an Stelle der AfD?
Radunski: In guten Zeiten haben wir immer Heimatgefühl geboten. Und ich glaube, wenn Sie sich die Weltlage wirklich ansehen: Der Gegensatz Globalisierung und Heimat darf eigentlich nicht entstehen. Wenn er entsteht, wird die Globalisierung zum großen Angstfaktor in den Nationen. Wir haben das jetzt in Amerika. Trump hätte nicht annähernd so viele Mitläufer, wenn nicht viele glauben, dass die Globalisierung sie eigentlich kaputt macht und ihnen die Chancen nimmt in Amerika. Sie haben das in vielen, vielen anderen Ländern, ich muss das jetzt nicht alles aufzählen. Es ist jedenfalls so: Man darf nicht das Nationale so sehr betonen, sondern muss an die Heimat denken. Die Leute haben das Gefühl, dass ihre Kultur durch Globalisierung ausgehöhlt und ihre Chancen verkleinert werden.
Heinlein: Sie haben ein Buch geschrieben jetzt ganz aktuell mit dem Titel "AfD bekämpfen oder ignorieren". Sie appellieren darin auch für mögliche Koalitionen zumindest auf Landesebene mit der AfD. Wollen Sie die Rechtspopulisten auf diesem Weg hoffähig machen?
Auf Landesebene mit der AfD koalieren
Radunski: Ich will sie nicht hoffähig machen, sondern ich will sie testen und würde das erst natürlich in den Landtagswahl-Serien nach der Bundestagswahl machen. Das muss sich alles entwickeln. Man muss sehen, ob es Möglichkeiten gibt. Die AfD kann drei Entwicklungen machen. Die erste Entwicklung ist die, dass sie, was ja viele klammheimlich immer noch hoffen, verschwindet. Die zweite Entwicklung ist die, die wahrscheinlich die gefährlichste für unsere Demokratie ist, dass sie tatsächlich Rechtsextremen in die Hände gerät, NPD-Leuten, bestimmten fast nationalsozialistisch ähnlichen Parolen. Dann müssen wir den Weg unseres Grundgesetzes gehen und zum Parteienverbot schreiten. Aber der dritte Weg, den ich eigentlich empfehle, ist, dass wir den Weg gehen wie bei Grünen und wie bei PdS in der Frühzeit, dass wir langsam aber sicher sie über Koalitionen integrieren, und dann müssen sie zeigen: können sie das, haben sie das Personal dafür, haben sie die Kompetenz, können sie für etwas stehen, können sie ihren Wählern etwas sagen und das dann auch machen. Das ist ganz etwas anderes, als da hier am rechten Rand herumstehen und populistische Parolen zu verbreiten. Deswegen würde ich gern diesen Test dann in Landtagswahlen wagen, zumal man ja sehen muss: In vielen Landtagswahlen, wenn das Sechs-Parteien-System voll durchkommt, einschließlich FDP, dann werden ja meistens zwei Parteien aus der etablierten Seite kommen, die mit der AfD koalieren müssen, etwa SPD und Grüne oder CDU und FDP oder CDU und Grüne und weiß ich was. Ich glaube, dies wäre der richtige Weg. Auf jeden Fall muss man die AfD so stellen, dass auch ihre Wähler immer mehr merken, es geht hier um etwas Ernstes. Demokratie ist der Weg zu sagen, wie machen wir etwas, wie regiert sich eine moderne Gesellschaft, und da können auf die Dauer diese AfD-Leute nicht abseitig stehen, aber immer auch mit ihren Gefühlen und Sorgen umgehen und nicht hier rationales erstens, zweitens, drittens predigen.
Heinlein: Das Plädoyer von Peter Radunski, und dieses Gespräch mit dem ehemaligen CDU-Wahlkampf-Manager haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.