Archiv

Ex-DGB-Chef Sommer zu Organspende
"Letzter Akt von Solidarität, den ein Mensch leisten kann"

Vor sieben Jahren spendete der frühere DGB-Chef Michael Sommer seiner Frau eine Niere. "Ich habe es in keiner Minute bereut", sagte Sommer im Dlf. Für Menschen, die auf ein neues Organ warten, hofft er, dass der Bundestag in dieser Woche der Widerspruchslösung zustimmt - auch im Interesse der Angehörigen.

Michael Sommer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Ein Styropor-Behälter zum Transport von zur Transplantation vorgesehenen Organen wird zu einem Fahrzeug für den Organtransport gebracht. In derartigen keimfreien Behältern wird das zuvor mit einer speziellen Flüssigkeit gespülte und gekühlte Spenderorgan schnellstmöglichst in ein Transplantationszentrum zum Patienten transportiert.
Organspende-Behälter im Kofferraum (dpa / Soeren Stache)
Dirk-Oliver Heckmann: Wir können das Thema jetzt vertiefen, und zwar mit Michael Sommer, dem ehemaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Warum mit Michael Sommer? Er hat seiner Frau eine Niere gespendet. – Schönen guten Morgen, Herr Sommer!
Michael Sommer: Guten Morgen.
"Ich habe es in keiner Minute bereut"
Heckmann: Zunächst vielleicht die Frage: Wie geht es Ihnen und Ihrer Frau, sieben Jahre danach?
Sommer: Uns geht es gut. Wir sind beide natürlich ein bisschen älter geworden. Ich werde in dieser Woche 68. Das merken Sie schon. Aber ich merke nichts von der Nierenspende. Ich bin bezüglich der Niere in keiner Weise gesundheitlich eingeschränkt. Und meiner Frau geht es wesentlich besser. Wir haben, wenn ich das sagen darf, sieben geschenkte Jahre, wo wir wirklich miteinander zwar sehr pfleglich und auch aufmerksam umgehen müssen, weil meine Frau Immundepressiv-Medikamente nehmen muss. Das ist bei Organtransplantationen notwendig. Aber ansonsten geht es uns sehr, sehr gut, und ich muss sagen, ich habe es in keiner Minute bereut, es getan zu haben. Ich hätte es auch übrigens nicht getan, wenn es mir schlecht ginge, aber mir geht es wirklich gut und meiner Frau auch.
DBG-Chef Michael Sommer gibt am 01.04.2014 vor der DGB Zentrale in Berlin bei einer Fotoaktion ein Interview. Florian Schuh 
Orgenspender Michael Sommer: "Meiner Frau geht es wesentlich besser" (dpa/ Florian Schuh )
Heckmann: Können Sie das Hoffen und Bangen von vielen hunderten, von tausenden Patientinnen und Patienten in Deutschland nachvollziehen, die jahrelang auf ein Organ warten? Was haben Sie in dem Zusammenhang erlebt?
Sommer: Ja, natürlich kann ich das nachvollziehen. Übrigens warten nicht nur die Patienten, die eigentlichen Kranken, sondern meistens auch die Angehörigen, für die natürlich die Sorge um ihre Liebsten, um ihre Kinder, um ihre Brüder und Schwestern, um ihre Ehefrauen und Ehemänner unglaublich groß ist. Es ist ja mit ein Co-Leiden, wo man wirklich helfen kann. In dem Fall konnte ich persönlich helfen, weil ich eine Lebendspende gemacht habe. Bei vielen anderen ist das nicht möglich. Die warten tatsächlich auf ein Organ – übrigens eines Toten -, und da würde ich dann auch den Begriff der Spende nicht mehr benutzen, sondern es ist dann tatsächlich eine Organtransplantation nach einem Hirntod. Ich glaube schon, dass das ein Unterschied ist, und ich kann sehr, sehr nachvollziehen, dass diese Menschen warten und eigentlich auch hoffen, dass der Bundestag in dieser Woche die Widerspruchslösung einführt, weil das die Chancen auf ein Organ erhöht.
Ein Mann in grüner OP-Kleidung trägt einen Styropor-Behälter für den Transport von Spenderorganen an einem Operationssaal vorbei.
Schweigen als Zustimmung
Nur 36 Prozent der Deutschen besitzen einen Organspendeausweis. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will deshalb die Widerspruchslösung einführen: Wer zu Lebzeiten nicht widerspricht, soll automatisch als Organspender gelten. Doch der Entwurf ist umstritten.
Nicht auf Angehörige abwälzen in einer Extremsituation
Heckmann: Hatten Sie denn damals schon, als Sie sich entschieden hatten, eine Niere an Ihre Frau zu spenden, einen Organspenderausweis? Das heißt, waren Sie auch damals bereit, im Falle eines Unfalls beispielsweise Organe zu spenden, auch wenn Sie nicht gewusst hätten, dass Ihre Frau davon profitiert?
Sommer: Ja, ich hatte einen Organspenderausweis. Ich habe den, ich glaube, seit 2009 oder so. Jedenfalls ich habe ihn. Er ist auch immer in meinem Portemonnaie. Er ist auch dokumentiert, wie sich das gehört, weil ich glaube schon, dass es auch ein Akt von Solidarität ist, dass man in einer Situation, wo man selber nicht mehr über Leben und Tod entscheiden kann, sondern man tot ist, aber die ganz seltene Möglichkeit hat – das sind ja sehr seltene Fälle; die Organe müssen ja bis aufs Gehirn noch funktionieren und durchblutet sein – und anderen Menschen helfen kann, dann halte ich das für sehr, sehr sinnvoll.
Übrigens ich halte es auch für sinnvoll im Sinne der Angehörigen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Argument. In einer extremen Situation wie dem Tod eines lieben Menschen, von dem dann die Entscheidung zu erwarten, darf man spenden ja oder nein, darf man das Organ entnehmen ja oder nein, da kann ich Ihnen nur sagen, da halte ich es für viel selbstbestimmter, wenn der betroffene Mensch über sein Organ selber entscheidet, über seine Organe, und sagt, ja, ich will, oder ja, ich will nicht, aber dass man das auch klar dokumentiert und das nicht auf die Angehörigen abwälzt in einer Extremsituation, wie der Tod eines lieben Menschen es ist.
Heckmann: In Deutschland leben ja zu wenige Menschen, die sich als Spender zur Verfügung stellen. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Sommer: Ich glaube, es liegt daran, dass der bürokratische Akt, sich zu erklären, ziemlich kompliziert ist. Man muss einen Organspenderausweis anfordern, man muss ihn ausfüllen, …
Heckmann: Das geht doch eigentlich ganz einfach. Das ist ein recht leichter Vorgang.
Sommer: Ja, nichts desto trotz. Es ist ein aktiver Akt, dass Sie sagen, ich will spenden oder ich will mein Organ zur Verfügung stellen oder meine Organe zur Verfügung stellen. Ich glaube, bei einer Widerspruchslösung würde das, was viele Menschen wollen, nämlich, dass tatsächlich in der Situation das Organ entnommen werden kann, auf einem relativ einfachen Weg geschehen. Diejenigen, die es nicht wollen, müssten den Widerspruch erklären. Das kann man übrigens sehr einfach machen. Für mich ist da immer noch die beste Lösung die österreichische, wo man das einmal gegenüber einem Register erklären kann. Man kann das aber im Zweifelsfall auch mit einem Zettel im Portemonnaie machen, um zu sagen, ich widerspreche der Organentnahme.
Übrigens, was die meisten nicht wissen: Wenn Sie heute nach Österreich in den Urlaub fahren und Ihnen ein Tod passieren würde, würden Sie automatisch in Österreich auch Organspender sein, es sei denn, Sie hätten ausdrücklich erklärt, Sie wollen es nicht.
Einwilligung versus Widerspruch
Organspender wird bislang in Deutschland nur, wer sich ausdrücklich dazu bereit erklärt. Die Einführung einer Widerspruchsregelung würde alle Bürger zu potenziellen Spendern machen. Ein Überblick.
Unterschiedliche Meinung im Hause Sommer
Heckmann: Wir nehmen mit, Sie sind sehr stark für die sogenannte Widerspruchslösung, die dazu führt, dass jeder quasi automatisch zum potenziellen Spender wird, der nicht zu Lebzeiten widerspricht, oder wenn die Angehörigen widersprechen.
Sommer: Ja.
Heckmann: Ihre Frau, die sieht das etwas anders. Das heißt, Uneinigkeit im Hause Sommer?
Sommer: Ja, in der Frage ja. Wir sind ja nun zwei selbständige Menschen und ich habe ihr ein Organ gespendet und nicht meine Meinung. Sie hat ja auch ein Recht auf eine eigene Meinung.
Heckmann: Das ist auch gut so.
Sommer: Sie ist zum Beispiel der Meinung, dass der Hirntod eine sehr schwierig festzustellende Geschichte ist, und sie sagt, der Menschheit ein Recht auf einen unversehrten Körper auch im Tod. Und ich sage, nach meiner Einschätzung ist das noch der letzte Akt von Solidarität, den ein Mensch leisten kann, jemand anderem, der ein Organ braucht, ein Organ zu geben, und da sind wir unterschiedlicher Meinung. Das ist auch gut so. Nichts desto trotz bereue ich meine Spende nicht. Glauben Sie es mir.
Heckmann: Das glauben wir Ihnen, live hier dokumentiert im Deutschlandfunk um 8:20 Uhr. – Dennoch gibt es ja erhebliche Kritik an dieser Widerspruchslösung. Es heißt, es kann nicht sein, dass die Menschen zum Objekt des Staates gemacht werden. Wir haben gerade im Beitrag auch den Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats gehört, Peter Dabrock, den Theologen, der sagt, das Ganze ist schädlich, das zerstört das Vertrauen. Und auch der ehemalige Gesundheitsminister Hermann Gröhe ist gegen die Widerspruchslösung und er hat sich gestern im "Bericht aus Berlin" in der ARD wie folgt geäußert:
O-Ton Hermann Gröhe: "Das Selbstbestimmungsrecht, das die Verfassung uns zusichert, das müssen wir uns nicht verdienen, das steht uns zu. Ich wünsche mir, dass sich jeder Mensch mit dem Thema Organspende befasst. Aber auch, wer dies nicht tut, der verliert nicht plötzlich sein Selbstbestimmungsrecht und wird gleichsam nach dem Tode zum Gemeineigentum. Es muss schon Spende bleiben. Organspende heißt, eine Entscheidung liegt positiv zugrunde."
"Objekt des Staates? - Das ist Unsinn"
Heckmann: Spende muss Spende bleiben, sagt Hermann Gröhe. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Sommer: Ich kann vieles von diesen Argumenten verstehen. Ich glaube nur, dieses Argument, dass man Objekt des Staates wird, ist natürlich Unsinn. Man wird Objekt eines medizinischen Fortschritts oder einer medizinischen Möglichkeit und nicht des Staates.
Heckmann: Aber Objekt!
Sommer: Ja, natürlich! Sie sind ja auch tot. Wir reden ja nicht über Lebendspender, wo es eine freiwillige Entscheidung ist. Das ist eine freiwillige Entscheidung, ob ich als Lebender jemand anderem ein Organ spende oder Knochenmark oder was auch immer. Sondern es geht darum, dass Sie im Falle des Todes erklären und nicht widersprechen, dass die Medizin über Ihren Körper verfügen kann, um jemand anderem ein Leben zu schenken und ein Leben zu retten.
Heckmann: Aber sind wir ein Ding? Sind wir ein Objekt, wenn wir tot sind?
Sommer: Das ist eine Frage, die geht sehr ins Moralische, wo ich sagen würde, selbst wenn Sie sehr gläubig sind, glaube ich, die Seele lebt weiter, aber der Körper eben nicht. Damit ist der Mensch nicht ausgelöscht oder zerstört oder sonst irgendwas, nach meiner Auffassung.
Heckmann: Dann könnte man ihn ja auch ohne Bedenken komplett ausnehmen?
Sommer: Im Zweifelsfall ja.
Heckmann: Soweit würden Sie gehen?
Sommer: Wenn Sie so weit gehen, ja, wobei ich glaube, das wird niemand machen. Es gibt auch so was wie eine Achtung vor dem Leichnam und so. Sondern es geht in dem Fall darum, dass Sie sehr zweckbestimmt einen medizinischen Eingriff vornehmen, um jemand anderem das Leben zu retten, und ich glaube, das ist ein Akt von Solidarität. Im Übrigen bestimmt der Staat in vielen Fällen auch über die Menschen. Er fordert zum Beispiel, wenn ich das mal als Gewerkschafter sagen darf, von jedem, auch von Ihnen die Arbeitsleistung ein, mit der zum Beispiel das Gemeinwesen mit finanziert wird, indem dann Steuern erhoben werden. Es ist ja nicht so, als ob die Gemeinschaft nicht auch in das persönliche Leben eines Menschen eingreifen würde. Das tut sie in vielfältiger Weise. Denken Sie früher an die Wehrpflicht und und und. Ich will nur an dem Beispiel deutlich machen: Es gibt auch die Notwendigkeit, dass die Gemeinschaft erklärt, im Sinne, um zum Beispiel Leben zu retten, ist es erlaubt, bei einem Toten ein Organ zu entnehmen, und dass das automatisch erfolgt, es sei denn, der Lebende, zu Zeiten, wo er das noch wirklich kann, erklärt, er will es aus ethischen, moralischen oder welchen Gründen auch immer nicht.
"Angehörigen soll die Entscheidung genommen werden"
Heckmann: Oder die Angehörigen. Das ist ja jetzt in der doppelten Widerspruchslösung auch mit verankert. – Trotzdem die Frage, Herr Sommer!
Sommer: Nein! Die Angehörigen sollen ja nur sagen, die sollen ja nur erklären, ob derjenige, dem dann so ein Organ entnommen wird, dem widersprochen hätte oder nicht. Den Angehörigen soll die Entscheidung genommen werden und das halte ich auch für richtig.
Heckmann: Das ist keine eigene Entscheidung, sondern das ist der vermutete Wille desjenigen, um den es da geht.
Sommer: Die Dokumentation in dem Fall.
Heckmann: Aber trotzdem bleibt die Frage: Haben Sie nicht die Bedenken, dass viele Menschen in Deutschland Angst bekommen, wenn so eine Widerspruchslösung kommt, und viele vielleicht denken, es werden einem Organe entnommen, wenn man noch gar nicht richtig tot ist beispielsweise?
Sommer: Die Angst kann ich nachvollziehen. Nur da sage ich Ihnen, ich habe das auch damals in dieser "Hart aber fair"-Sendung noch mal zugespitzt formuliert: Wenn der Mensch nicht tot ist und ihm wird ein Organ entnommen, dann wäre es Mord. Deswegen muss man sehr sicher diagnostizieren und ich halte die Hirntod-Diagnose für eine sehr sichere Diagnose, dass man sagt, dieser Mensch ist tot. Er kann nicht mehr leben. Er ist geistig und in seinen körperlichen Funktionen tot. Nur die Organe arbeiten noch automatisch weiter, bis auf das Gehirn. Er ist nie wieder zum Leben zu erwecken. In der Situation, würde ich sagen, darf man und muss man auch ein Organ entnehmen können.
Heckmann: Herr Sommer, wir wissen ja nicht, wie die Abstimmung am Donnerstag im Bundestag ausgeht. Was würden Sie denn den Parlamentarierinnen und Parlamentariern raten? Was würden Sie unseren Hörerinnen und Hörern raten?
Sommer: Ich würde auf jeden Fall raten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das tun die Parlamentarier, das tun hoffentlich auch im Zusammenhang mit dieser Debatte die Bürgerinnen und Bürger. Ich würde ihnen empfehlen, sich dafür zu entscheiden, dass man die Organspende erleichtert. Dass es überhaupt die Möglichkeit jetzt gibt, dass man auch sich erklären muss, ob man pro oder contra steht, halte ich schon für einen Fortschritt der Debatte gegenüber der alten Lösung, die wir haben, nämlich dass man offensiv erklären muss, ja, ich bin bereit zu spenden. Ich halte das wirklich für einen wichtigen Punkt und ich sage Ihnen, viele sollten darüber nachdenken, ob sie bereit sind, mit ihrem Körper tatsächlich anderen Menschen zum Leben zu verhelfen. Das halte ich für einen ganz wichtigen Punkt und das kann man in vielen Fällen auch als Lebender machen. Aber es gibt auch viele Fälle, insbesondere beim Herztod, wo es nur noch mit der Möglichkeit geht, dass hirntoten Menschen das Herz entnommen wird. Ich kann mich erinnern, als ich ein junger Mensch war und Christiaan Barnard das erste Mal ein lebendes Herz verpflanzte, wie wir das als Fortschritt empfunden haben, und ich will diesen Fortschritt für alle Menschen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.