Ein großer Anteil der FPÖ-Wähler sei mit dem politischen System nicht mehr zufrieden, betont Fischler. Der frühere EU-Landwirtschaftskommissar sieht die SPÖ und die ÖVP in einer schwierigen Lage. Auf die Frage, ob die beiden großen Parteien "abgewirtschaftet" hätten, meinte Fischler: "Im Prinzip ist das so." Wenn diese nicht imstande seien, die "Frustrationen, die es in unserer Gesellschaft gibt", aufzugreifen und mit den Menschen in einen Dialog zu treten, dann "wird es für diese Parteien bei der Parlamentswahl nicht gut ausgehen".
Mit Blick auf mögliche FPÖ-Bündnisse erklärte Fischler, in beiden "Zentrumsparteien" gebe es Anhänger einer "freiheitlich-roten" oder "freiheitlich-schwarzen" Koalition. Diese Anhängerschaft sei "im Wachsen", warnte der ÖVP-Politiker. Allerdings seien die Chancen der Freiheitlichen Partei Österreich (FPÖ), stärkste Kraft zu werden, jetzt mit dem Ergebnis der Präsidentenwahl "schlechter geworden".
Als Konsequenz aus der Entwicklung in Österreich rief Fischler die Parteien in Europa dazu auf, "die Verärgerten und Frustrierten" ernstzunehmen und auf deren Probleme einzugehen. Er warb in diesem Zusammenahng für eine klare politische Kommunikation: "Die Leute wollen wissen, wofür eine Partei steht und kein Herumgerede".
Das Interview in voller Länge:
Franz Fischler ist Politiker der Österreichischen Volkspartei ÖVP. Von 1995 bis 2004 war er EU-Kommissar, zuständig für die europäische Agrarpolitik, und er ist jetzt hier bei uns im Deutschlandfunk am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Fischler!
Franz Fischler: Guten Morgen!
Armbrüster: Herr Fischler, wie erklären Sie sich diesen deutlichen Wahlsieg des grünen Kandidaten gestern?
Fischler: Da gibt es natürlich mehrere Gründe. Es ist nicht ein Grund, der dafür verantwortlich ist. Wesentlich eine Rolle gespielt hat, dass die Wahlbeteiligung noch einmal zugenommen hat, und das hat eigentlich fast niemand erwartet. Es ist also gelungen, noch einmal zu mobilisieren. Zum Zweiten, ich glaube, dass das Argument über das Ansehen Österreichs im Ausland und auch zum Teil schon im Vorfeld große Ankündigungen von anderen rechtspopulistischen Parteien, wie sie einen Sieg des Herrn Hofer instrumentalisieren wollten, ebenfalls dazu beigetragen hat. Und dann war es vor allem eine große Gruppe von Bürgermeistern, die sich knapp vor der Wahl dazu entschlossen haben, gemeinsam für Van der Bellen einzutreten.
"Tourismus hätte unter einem Sieg von Herrn Hofer gelitten"
Armbrüster: Was wäre denn so schlimm geworden unter einem FPÖ-Präsidenten in Österreich?
Fischler: Ich glaube, "schlimm" – es ist die Frage, was man unter schlimm versteht. Schlimm in dem Sinn, dass es da eine Staatsrevolution oder so gegeben hat, wäre es sich nicht geworden. Aber was schon schlimm gewesen wäre, ist, dass man wahrscheinlich in der internationalen Presse sehr stark getitelt hätte, Österreich ist nach wie vor ein Land, das aus der Vergangenheit des Faschismus heraus noch viele Anhänger hat, und dergleichen mehr. Schlimm wäre auch gewesen, dass manche Teile der Wirtschaft, insbesondere der Tourismus, unter einem Sieg von Herrn Hofer gelitten hätten. Und schlimm wäre auch gewesen, dass damit der Eindruck entstanden wäre, dass Österreich kein weltoffenes Land ist.
Armbrüster: Dann kann man durchaus sagen, auch das Ausland und die österreichische Wirtschaft entscheiden über die Wahlen in Österreich?
Fischler: Na ja, das können Sie nicht so ganz ausschließlich sagen. Es sind also auch irrsinnig viele direkte Kontakte gewesen, und es ist vielleicht noch ein Faktor, der am Ende eine Rolle gespielt hat, nämlich über lange Zeit hat eigentlich die Freiheitliche Partei, also die Partei Hofers, mit großem Abstand die Oberhoheit über die Social Media gehabt. Das, glaube ich, ist dann mit der Zeit auch ein bisschen besser geworden.
"ÖVP ist in sich gespalten"
Armbrüster: Vielleicht können Sie uns das trotzdem erklären. Warum hat sich Ihre eigene Partei, die ÖVP, denn nicht klipp und klar mit allen Leuten, die Sie haben, von Norbert Hofer abgegrenzt? Warum hat es da immer wieder in den vergangenen Monaten Sympathiebekundungen direkter oder indirekter Art gegeben?
Fischler: Die Antwort liegt auf der Hand: Die Partei ist in sich gespalten, und diese Kluft, die durch die Partei geht, die wollte man auch nicht noch sozusagen aus dem Fenster hängen.
Armbrüster: Das heißt, es gibt durchaus viele Politiker in Ihrer Partei, in der ÖVP, die sagen, mit der FPÖ, auch mit den Leuten um Norbert Hofer, könnten wir durchaus auch eine zum Beispiel Regierung bilden?
Fischler: Sie dürfen eines zunächst einmal nicht vergessen: Es ist ja zum ersten Mal in der Geschichte überhaupt, dass kein Kandidat aus einer der Regierungsparteien zur Wahl zur Verfügung gestanden ist, sondern man musste aus zwei Oppositionsparteien wählen, und das ist natürlich eine neue Erfahrung. Zum Zweiten: Es gibt in beiden Zentrumsparteien Anhänger auch von einer freiheitlich-roten oder freiheitlich-schwarzen Koalition. Und diese Anhängerschaft ist also, glaube ich, im Wachsen, und daher ist es auch von der Seite her gut. Ich glaube schon, dass die Chancen für die Freiheitliche Partei, mit großem Abstand größte Partei bei der Parlamentswahl zu werden, jetzt schlechter geworden sind.
"Es ist ja nicht so, dass alle, die Herrn Hofer wählen, Rechtspopulisten sind"
Armbrüster: Warum schlechter? Nur, weil sie nicht über 50 Prozent gekommen sind, sondern nur – was ist das aktuelle Ergebnis? – 47 Prozent geholt haben?
Fischler: Es ist, glaube ich – Sie dürfen nicht nur jetzt sozusagen die einzelnen Stimmen zählen, sondern Sie müssen auch bedenken, welche Stimmung ein Ergebnis erzeugt. Und dieses Ergebnis hat mit Sicherheit nicht eine Stimmung erzeugt, so quasi, es ist nur eine Frage der Zeit, und dann wird Österreich freiheitlich regiert. So einfach ist es ganz offenkundig nicht.
Armbrüster: Aber es war ja jetzt auch nicht gerade eine krachende Niederlage für die FPÖ.
Fischler: Es war sicher keine krachende Niederlage, da haben Sie recht, aber es ist der Vorsprung deutlicher für Herrn Van der Bellen ausgefallen, als alle Experten, Meinungsforscher und sonstige selbsternannte Wissenschaftler gesagt haben.
Armbrüster: Herr Fischler, Sie haben es schon angesprochen, keine der beiden, wie Sie es nennen, Zentrumsparteien in Österreich hatte einen Kandidaten im Rennen bei dieser Wahl gestern. Können wir das dann nicht zumindest als festes Ergebnis festhalten: Die beiden etablierten Parteien in Österreich, ÖVP und SPÖ, die haben abgewirtschaftet?
Fischler: Das kann man – vielleicht muss man es nicht unbedingt so extrem ausdrücken, aber im Prinzip ist das so. Und das große Problem – und dieses Phänomen werden wir auch in anderen Ländern sehen –, das große Problem besteht darin, dass ein sehr signifikant – es ist ja nicht so, dass alle, die Herrn Hofer wählen, Rechtspopulisten sind, sondern da ist ein sehr großer Anteil an Wählern dabei, die ganz einfach gegen die Regierungsparteien wählen, die sagen, wir sind mit dieser Art des Regierens, wir sind mit diesem politischen System nicht mehr zufrieden, wir wollen etwas anderes. Und nachdem eben die beiden Oppositionsparteien etwas anderes sozusagen anbieten, sind die höher im Kurs. Das heißt, wenn die etablierten Parteien nicht im Stande sind, diese Frustrationen, die es in unserer Gesellschaft gibt, aufzugreifen, mit denen in einen Dialog zu treten, denen glaubwürdig zu versichern, dass man ihre Probleme in Zukunft ernst nimmt, dann wird es bei den Parlamentswahlen für die etablierten Parteien nicht sehr gut ausgehen.
"Die Verärgerten und Frustrierten, die es überall in Europa gibt, ernst nehmen"
Armbrüster: Was sagen Sie dann heute Morgen den FPÖ-Freunden in Ihrer Partei, in der ÖVP?
Fischler: Heute Morgen habe ich eigentlich an meine Parteifreunde keine Botschaft, und ich werde schon gar nicht eine Botschaft meiner eigenen Partei ausrichten über den Umweg Deutschlands. Wenn, dann rede ich mit denen direkt.
Armbrüster: Vielleicht können Sie trotzdem in 20 oder 30 Sekunden noch kurz zusammenfassen, welche Lektionen können denn andere Parteien in Europa lernen, wie man mit Rechtspopulisten umgeht – Lektionen aus dieser Wahl?
Fischler: Also erstens, wie gesagt, die Verärgerten und Frustrierten, die es überall in Europa gibt, ernst nehmen und auf deren Probleme eingehen. Zweitens, man muss die eigene Position stärker betonen und nicht so sehr einen Kurs fahren gegen die anderen. Wichtig ist, wofür steht eine Partei. Das wollen die Leute wissen. Und drittens wollen sie auch klare Botschaften und kein Herumgerede.
Armbrüster: Der österreichische ÖVP-Politiker und ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler war das hier bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Fischler, für Ihre Zeit heute Morgen!
Fischler: Ja, bitte schön. Schönen Tag noch!
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