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Ex-Generalsinspekteur
"Die Bundeswehr wird ganz gezielt von der Politik vernachlässigt"

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, fordert eine Kurskorrektur bei der Ausstattung der Truppe. Für das Material der Bundeswehr müsse deutlich mehr Geld ausgegeben werden. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe völlig falsche Akzente gesetzt, sagte Kujat im Dlf.

Harald Kujat im Gespräch mit Dirk Müller |
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. (imago / Jürgen Heinrich)
    Dirk Müller: Es fehlen Panzer, weil sie nicht richtig funktionieren. Es fehlen Kampfflugzeuge, weil die Ersatzteile fehlen und sie falsch betankt wurden. Selbst ausreichende Schutzwesten, lange Unterhosen, lange Unterhemden, warme Parkers, und selbst Zelte sind Fehlanzeige. Wir reden nicht von einer Armee in der Dritten Welt, sondern von der Bundeswehr, und wir reden seit Jahren über diese Ausrüstungspannen und Ausrüstungsdefizite bei der Truppe. Dabei spricht Ursula von der Leyen permanent davon, die Bundeswehr international in eine führende Rolle zu bringen. Dazu gehört dann auch die Verantwortung für die neue Schnelle Eingreiftruppe der NATO, die ab kommendem Jahr einsatzbereit sein soll. – Unser Thema mit Harald Kujat, vormals Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Morgen!
    Harald Kujat: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Müller: Herr Kujat, ist das deutsche Hybris?
    Kujat: Ach, es ist ein Trauerspiel, um es einmal so zu sagen. Wir haben ja nicht nur die Probleme, die Sie aufgezählt haben. Es sind sehr, sehr viel mehr. Sie würden die gesamte Sendezeit dazu brauchen, um die Probleme aufzuzählen, die die Bundeswehr hat.
    Müller: Nennen Sie das größte.
    Kujat: Ich fasse jetzt einfach zusammen: Das größte Problem ist, dass wir den tiefsten Stand der Einsatzbereitschaft und der Moral der Truppe haben, seit die Bundeswehr besteht. Das heißt also, wir können nicht mehr an den einzelnen Stellschrauben drehen und versuchen, hier etwas zu verbessern, mehr Unterhosen, wie Sie es genannt haben, mehr Panzer einsatzbereit, sondern wir brauchen tatsächlich eine Kurskorrektur, eine Kurskorrektur zu dem, was sich seit Jahren so entwickelt hat. Das ist entscheidend.
    "Von der Leyen fuhr immer neben der Spur"
    Müller: Ist das alles die Politik schuld?
    Kujat: Es ist natürlich die Politik schuld. Es sind die schuld, die Verantwortung für die Bundeswehr tragen. In den letzten sieben, acht Jahren sind wir zweimal sozusagen vom rechten Weg abgekommen. Das war 2011, als wir die letzte Reform gemacht haben, de Maizière noch, also die Neuausrichtung der Bundeswehr. Da haben wir die Bundeswehr in ihrer Struktur, in ihrer Bewaffnung, Ausrüstung, aber auch im Personalumfang nicht mehr danach ausgerichtet, was ihre Kernaufgaben sind, das was die Verfassung vorschreibt, die Landes- und Bündnisverteidigung, sondern auf Auslandseinsätze haben wir sie vorbereitet. Das ist eine andere Bundeswehr als die, die wir eigentlich brauchen. Dann kam das zweite Mal, dass wir sozusagen vom rechten Weg abgekommen sind, als Frau von der Leyen ins Amt kam, völlig falsche Akzente setzte und eigentlich während der letzten vier Jahre immer neben der Spur fuhr. Das muss geändert werden.
    Müller: Was hat von der Leyen denn falsch gemacht?
    Kujat: Von der Leyen hat von Anfang an die falschen Akzente gesetzt und es ist ihr in diesen vier Jahren nicht gelungen, überhaupt nicht gelungen, den Zustand der Bundeswehr zu verbessern.
    Müller: Was war das denn, Familienfreundlichkeit für die Truppe?
    Kujat: Na ja. Familienfreundlichkeit – dagegen hat niemand etwas. Wenn es das nur gewesen wäre, wenn wir beispielsweise die Unterkünfte der Soldaten so verbessert hätten, dass sie sich dort auch wirklich wohl fühlen können. Sondern es waren einzelne Aspekte – ich nenne jetzt einmal das Stichwort Flachbildschirme oder Super-Coaching für die Generalität und vieles andere mehr, was da auf den Weg gebracht wurde. Aber auch die Ankündigungen, die in den letzten Jahren gemacht wurden, nämlich wirklich das Material zu verbessern in der Bundeswehr, ein Rüstungsprogramm von 130 Milliarden bis zum Jahre 2030 …
    Müller: Das steht ja immer noch in der Diskussion. Das ist immer noch offizielle Politik.
    Kujat: Das ist offizielle Politik, aber leider ist bisher nichts geschehen!
    "Nur 13 bis 14 Prozent des Verteidigungshaushalts für Material"
    Müller: Aber es stimmt doch nicht, dass die Bundeswehr immer weniger Geld bekommen hat. Da hat es ja eine Trendwende gegeben.
    Kujat: Es hat 2017 etwas mehr Geld gegeben, sogar erheblich mehr Geld gegeben, aber man muss eben genau hinschauen. Dieses Geld ist im Grunde in der Menge verbraucht worden für die letzte Gehaltserhöhung und für andere Dinge. In das Material sind bisher immer nur 13 bis 14 Prozent des Verteidigungshaushaltes geflossen, obwohl die Bundeskanzlerin sich persönlich 2014 und 2016 gegenüber unseren NATO-Verbündeten dazu verpflichtet hat, mehr als 20 Prozent dafür auszugeben.
    Müller: Aber Gehaltserhöhungen, Herr Kujat, sind doch gut für die Moral. Warum klappt das trotzdem nicht?
    Kujat: Die Gehaltserhöhungen, das ist das, was natürlich notwendig ist. Aber das heißt ja nicht, dass Sie die Materialprobleme damit lösen. Damit sind sie nicht gelöst und damit ist die Bundeswehr auch noch nicht in der Lage, ihre Aufgaben zu erfüllen.
    Müller: Jetzt werden sich ja viele fragen, die die inneren Strukturen nicht so gut kennen: Warum gehen führende Generale dann nicht auf die Barrikaden, melden sich auch in der Öffentlichkeit und sagen, uns geht es immer schlechter oder wir werden immer schlechter?
    Kujat: Nun, Sie sehen ja: Die Dinge, die jetzt in den letzten Tagen bekannt geworden sind, die durchgesickert sind in die Presse, die gehen ja darauf zurück, dass der Zustand der Bundeswehr von den militärischen Vorgesetzten an die politische Leitung korrekt geschildert wurde.
    "Ankündigungen in Koalitionsvertrag nicht finanzierbar"
    Müller: Sind die zu leise?
    Kujat: Nein, ich finde das nicht zu leise. Ich finde schon, dass die Generalität, die im Dienst ist, versuchen muss, die Dinge so zu lösen, sozusagen in der Familie zu lösen, indem die politische Führung darauf aufmerksam gemacht wird, wo es hapert, und dass auch Vorschläge gemacht werden, wie das zu lösen ist. Ich denke - ich denke nicht nur, ich bin davon überzeugt, dass das auch der Fall ist. Meine Aufgabe ist, das auch in der Öffentlichkeit deutlich zu machen und zu sagen, das ist es, was zu tun ist, das müsste die politische Leitung tun, aber das hat sie nicht getan.
    Müller: Sie haben Ursula von der Leyen klar hier kritisiert. Das haben Sie schon häufiger getan. Nun soll Ursula von der Leyen mit großer Wahrscheinlichkeit Verteidigungsministerin bleiben. Eine falsche Entscheidung der Kanzlerin?
    Kujat: Nun, wenn Sie beispielsweise in die Koalitionsvereinbarung schauen, dann sehen Sie, dass dort die Mittel, die eigentlich für das benötigt werden, was Frau von der Leyen angekündigt hat, zurecht angekündigt hat, muss ich auch einmal positiv sagen, nämlich das Programm für die Verbesserung des Materials und der Ausrüstung, aber auch die Personalverstärkung auf 198.000 Soldaten, das ist so nicht finanzierbar.
    Müller: Also alles nur Kosmetik?
    Kujat: Das wissen wir jetzt schon. Das ist Ankündigungspolitik. Frau von der Leyen hat das ja auch am Wochenende in München wiederholt, wohl wissend, dass sie 2016 angekündigt, 2017 nicht realisiert, 2018 nicht realisiert, und auch für die Zukunft wird es nicht realisiert werden. Das ist es, was man politisch anprangern muss, ganz deutlich sagen muss: Die Bevölkerung muss wissen, dass die Bundeswehr ganz gezielt von der Politik vernachlässigt wird, dass sie ihre Aufgaben nicht erfüllen kann und dass sie in einem beklagenswerten Zustand sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.