Sie sind Anfang/Mitte 20 und tragen alle ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift "Renner" - dazwischen sitzt der Kandidat und gibt eine Runde aus. Tim Renner hat heute schon persönlich den Eiswagen durch seinen Wahlbezirk gefahren, hatte einen Fahrradunfall - das lädierte Knie wird sofort auf Facebook gepostet -, jetzt geht es durch die Kneipen rund um den Savignyplatz. Der 52-Jährige erklärt seine Wahlkampfstrategie:
"Dass wir normalerweise versuchen, die Leute erstmal zum Lächeln zu bringen, bevor wir mit ihnen reden. Sei es mit Vanilleeis und einem Eiswagen auf der Straße, sei es, dass wir ein kleines Schokomännchen morgens am U- und S-Bahnhof verteilen, wenn die Leute noch müde sind, weil ich glaube, es ist leichter, als wenn man sofort in den Diskurs einsteigt, der für viele schwierig ist."
"Leichtigkeit, Selbstironie und Kompetenz"
Eigene T-Shirts, eigene Umhängetaschen, eigenes Wahlkampfmaterial. Eine Personality-Show. Erst kommt Tim Renner, dann kommt lange gar nichts, und irgendwann, irgendwann kommt dann auch die SPD. Auf keinen Fall langweilen und immer auffallen - so das Motto - zum Beispiel mit dem sogenannten Roten Album -, schließlich war Renner Musikmanager. Das Booklet enthält seine inhaltlichen Schwerpunkte wie die Bürgerversicherung, digitale Politik oder faire Beschäftigung, vertont hat er das Ganze gemeinsam mit dem Tenor Björn Casapietra.
Aber zurück zum Bier. Seinen Unterstützern erzählt er, wie er als Musikjournalist Blixa Bargeld im Heroinrausch interviewte und wie er "Rammstein" berühmt machte. Der 26-jährige Michael Groys gehört zum Team - er mag an Tim Renner:
"Eine gewisse Leichtigkeit, Selbstironie und gleichzeitig eine unglaubliche Kompetenz. Weil nicht selten Politiker sich zu ernst nehmen."
Seitenhieb gegen die FDP
Tim Renner ist erst vor drei Jahren in die SPD eingetreten. Der frühere regierende Bürgermeister Klaus Wowereit holte ihn als Kulturstaatssekretär, jetzt ist der Posten von der Linken besetzt, für Renner war kein Platz mehr im rot-rot-grünen Senat. Deshalb will er in den Bundestag - den Vater zweier Töchter treibt der Wille zur Veränderung:
"Die FDP sagt, sie tut's. Das mag sogar stimmen, aber sie tut's eben ohne soziales Gewissen. 'Digital first - Bedenken second', das sagt schon alles aus. Und bei mir sind eben Veränderung und die Bedenken und gleichzeitig gucken nach dem Sozialen, das ist das, was mich treibt, und das will ich auch im Bundestag durchsetzen."
Strategischer und persönlicher Einsatz
Renner ist Marketing-Profi, seinen Wahlkreis will er direkt holen. Dazu hat er analysieren lassen, wo in Charlottenburg-Wilmersdorf - dem Zentrum des alten Westberlin - die Wechselwähler wohnen. Neun "Swing-Streets" hat er identifiziert, dort gibt es mehr Vanille-Eis vom Kandidaten als anderswo. Er lässt sich von einem Video-Team begleiten, in einem Clip posiert er als "nackter Kandidat" - auch im übertragenen Sinne. Sein Kalender ist öffentlich auf der Webseite einsehbar, da steht auch Renners Handynummer.
"Mein Plan ist ja auch nicht, irgendwo das übliche Büro irgendwo in meinem Riesenbezirk mit 300.000 Einwohnern zu holen, sondern mir lieber einen Bus zu kaufen und jede Woche in einer anderen Straße zu sein. Und eben wirklich zu merken, wie ticken die. Aber auch wirklich bei denen vor der Haustür zu stehen."
An diesem Abend sind nicht alle Wirte am Savignyplatz begeistert - nicht meine Gäste nerven, heißt es schon mal barsch, was soll die Wahlwerbung. Angeranzt wird Tim Renner in der einen Kneipe, geküsst in der anderen.
Die Niederungen des Wahlkampfs
Tim Renner küsst beherzt zurück - doch selbst ein Sunnyboy wie er muss sich mit den schlechten Umfragewerten seiner Sozialdemokraten auseinandersetzen. Schlimmer noch - da sitzt sogar jemand vor einem Glas Rotwein, der erst vor einer Woche aus der SPD ausgetreten ist. Candan Ögütcü kann es gar nicht leiden, wie Außenminister Gabriel über die Türkei redet.
"Das fand ich sehr undifferenziert und das hat mich auf die Palme gebracht. Und das war dann für mich der Punkt, wo ich gesagt hab, nee Mensch, mit der Politik kann ich mich nicht mehr identifizieren."
Tim Renner: "Ich verstehe Sie in einem Punkt ganz gut. Dass ich auch glaube, das Dümmste, was ich machen kann in Prozessen, die mir nicht gefallen, ist, den Eindruck zu erwecken, dass ich das Tischtuch zerschneide."
Diese Stimme bekommt er mit Sicherheit nicht, aber schließlich hat der "Bundesrenner" - so heißt seine Webseite - noch fünf Wochen Zeit zum Stimmenfang. Der Wahlkampfhöhepunkt - DJ Tim Renner legt auf. Aber vorher noch einen Absacker in der schwulen Nachtbar.
"Die fragen, ob wir noch einen Drink nehmen wollen. Ja, klar, machen wir, hört sich gut an."