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Formel 1
Ex-Mercedes-Sportchef Haug: "Verstappen ist ein Jahrhundertfahrer"

Die Formel 1 wird dominiert von Weltmeister Max Verstappen und Rennstall Red Bull. Der ehemalige Mercedes-Motorsport-Chef Norbert Haug kennt noch spannendere Zeiten. Allerdings lobte er im Dlf die Vermarktung. Und bedauerte die mittlerweile nichtige Rolle Deutschlands in der Formel 1.

Norbert Haug im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Formel-1-Fahrer Max Verstappen hält die Trophäe für seinen Sieg beim Grand Prix in Las Vegas triumphierend in die Luft.
Seit Jahren ist das ein gewohntes Bild: Max Verstappen, der niederländische Dauer-Weltmeister des Rennstalls Red Bull, reckt die Trophäe nach einem gewonnenen Grand Prix (hier zuletzt in Las Vegas) in die Luft. (picture alliance / kolbert-press / kolbert-press / Christian Kolbert)
Rückblende ins Jahr 2007. Es ist spannend in der Motorsport-Königsklasse, sehr spannend sogar. Im letzten Saisonrennen der Formel 1 können noch drei Piloten Weltmeister werden: Fernando Alonso, Lewis Hamilton und Kimi Räikkönen. Am Ende wird es Räikkönen, er holt im Ferrari seinen ersten und einzigen Titel.
Ex-Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug, dessen Schützlinge Alonso und Hamilton trotz bester Voraussetzungen leer ausgingen, erinnert sich im Deutschlandfunk-Sportgespräch zurück: "Wir hatten zwei Fahrer, die den Titel hätten holen können. Und haben tatsächlich, Hollywood lässt grüßen, die Weltmeisterschaft mit beiden Fahrern um einen Punkt verloren. Das zeigt, wie Finals sein können. Das letzte Rennen, Entscheidungskampf, ist natürlich der Hochpunkt einer Saison."

Verstappen und Red Bull dominieren nach Belieben

Derartige Spannung lässt die Formel 1 im Moment aber vermissen. Max Verstappen hat sich schon lange vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi den Weltmeistertitel gesichert, gewann er doch von den 21 vorangegangen Rennen schon 18. Auch sein Rennstall Red Bull darf sich vorzeitig als Konstrukteurs-Sieger feiern.
Die Kombination Red Bull und Verstappen ist im Moment praktisch unschlagbar, selbst Verstappens Teamkollege Sergio Perez konnte dem Niederländer nicht gefährlich werden.
Gelangweilt davon ist Haug allerdings nicht: "Ich respektiere und schätze Leistung. Den Red-Bull-Racing-Vertretern wurde nichts geschenkt, dem Fahrer schon mal gar nicht." Es liege "an den Gegnern, die nicht gut genug sind", Red Bull und Verstappen ernsthaft herauszufordern: "Das Problem sind nicht die Schnellen, sondern die Langsamen."
Beispiele dafür gibt es viele, schnell wird Ferrari genannt. Der italienische Rennstall, der mit dem Monegassen Charles Leclerc so gerne mal ganz oben stehen würde, hat sich in den letzten Jahren immer wieder selbst um wichtige Punkte gebracht – durch teils chaotische Entscheidungen der sportlichen Führung und technische Unzulänglichkeiten.

Haug sieht erstmal kein Ende der Verstappen-Ära

Wobei Haug die Chancenlosigkeit der Konkurrenz auch schlicht auf die "perfekten Grundvoraussetzungen" von Verstappen zurückführt. "Das ist vielleicht ein platter Begriff, aber es stimmt trotzdem: Max Verstappen ist ein Jahrhundertrennfahrer. Nicht jede Generation bringt solche Könner hervor."
Es gebe einige ähnlich gute, teils junge Fahrer im Feld, etwa Lewis Hamilton, George Russell (beide Mercedes) oder Oscar Piastri (McLaren). Doch deren Fahrzeuge könnten nicht mit den Boliden von Red Bull mithalten, meint Haug.
Der ehemalige Mercedes-Motorsport-Boss kann sich ein Ende der Verstappen-Ära in absehbarer Zeit nicht vorstellen. "In Las Vegas zuletzt war es spannend bis zum Schluss, aber der Großteil der Rennen ist eigentlich schon entschieden gewesen, bevor es losging", erklärt Haug und fügt an, Verstappen sei auf dem Weg, eine Legende zu werden:

Ich glaube, keiner unserer Zuhörer hat die geringsten Zweifel, dass Max Verstappen eine fahrerische Sondererscheinung ist, ganz wenige Fehler macht, ganz cool ist. Ob er der Sympathikus für alle Leute ist, sei dahingestellt. Das, was er leisten muss als Rennfahrer, macht er so exzellent, dass man wirklich nur mit der Zunge schnalzen kann. Solche Dominatoren, wie Max Verstappen es ist, hat es in den höchst seltenen Fällen gegeben.

Norbert Haug, Ex-Motorsport-Chef von Mercedes

"Liberty Media" drückt aufs Vermarktungs-Gaspedal

Zwangsläufig zieht die mittlerweile etwas monotone Verstappen-Dominanz Fragen für die zukünftige Vermarktung der Formel 1 nach sich. Sportlich habe es Haug zumindest lieber, mehr verschiedene Sieger in den Saisonrennen zu sehen, wie es etwa in seinem letzten Mercedes-Jahr (2012) der Fall war: "Das ist positiv im Sinne des Sports gewesen."
Allerdings lobt er ausdrücklich die derzeitige Vermarktung der Formel 1. In Sachen Marketing hat die neue Eigner-Gruppe "Liberty Media" in den letzten Jahren ordentlich aufs Gaspedal getreten, hob den Sport zum Beispiel mit mehreren Staffeln einer Netflix-Serie ("Drive to survive") wieder auf die Weltbühne. Haug sieht darin im Vergleich zur Ägide von Bernie Ecclestone als Formel-1-Lenker eine neue Dimension: "Was in Vermarktung und Präsenz international läuft, ist atemberaubend, die Wertsteigerung der Teams, die Vermarktung insgesamt."

Formel-1-Standort Deutschland ohne große Rolle

Dass Deutschland als Land, das in der Vergangenheit Fahrer wie Michael Schumacher, Sebastian Vettel und Nico Rosberg hervorbrachte, derzeit in der Formel 1 mit eigenen Fahrern kaum eine Rolle spielt, bedauert Haug angesichts der Gesamtentwicklung umso mehr.
"In Deutschland hat man das Kunststück hingekriegt, von einer Formel-1-Hochburg zu einem Niemandsland in Rekordzeit zu werden. In den Jahren 1994 bis 2016 wurden zwölf Weltmeistertitel von deutschen Fahrern gewonnen."
Inzwischen ist mit Nico Hülkenberg nur noch ein Deutscher als Stammfahrer vertreten. Hinzu kommt Mick Schumacher als Ersatzfahrer bei Mercedes.
Und nachdem es während der Boom-Zeit teilweise sogar zwei Rennen auf deutschem Boden gegeben hat, spielen sowohl der Hockenheimring als auch der Nürburgring im Rennkalender aktuell keine Rolle mehr. Haug wünscht sich mehr Unterstützung für einen Grand Prix in Deutschland, da ein solches Event die Wirtschaft in den Regionen beleben könnte. Ohne staatliche Hilfe könnten sich die Betreiber die bis zu 50 Millionen Euro, die als Antrittsgeld nötig sind, aber nicht leisten.

Verbrennermotor: Haug sieht Zukunft mit E-Fuels

Dass es eine derartige Unterstützung nicht gebe, hängt laut Haug auch mit dem Zeitgeist in Deutschland zusammen. Er nehme einen "Kampf gegen das Automobil, der von wenigen Leuten betrieben wird", wahr: "Die Autonation Deutschland hat viel falsch gemacht. Wir glauben, in vielen Dingen führend zu sein, sind aber als Geisterfahrer unterwegs".
Er unterstreicht: "Das Auto ist ein Instrument, was unseren Wohlstand kreiert hat, unser Technologie-Erfindertum als Land ganz entscheidend beeinflusst hat." Der ehemalige Mercedes-Motorsport-Chef sieht trotz des Klimawandels auch den Verbrennermotor noch nicht am Ende: "Der könnte schon längst klimaneutral betrieben werden, mit beispielsweise E-Fuels."
Damit liegt Haug auf einer Linie mit der derzeitigen Formel-1-Führungsabteilung. Diese will mit dem neuen Motorenreglement ab 2026 auf eine Hybrid-Technologie setzen: Ein Sechszylinder-Turbo, der mit E-Fuel arbeitet, soll durch einen 350-kW-Elektromotor unterstützt werden.
Max Verstappen ist dann erst 28 Jahre alt – und womöglich auch mit der neuen Technologie nicht zu schlagen.