Der Nürburgring lebt. Das ist die Botschaft, die in diesen Tagen auf einem Werbeschild an der Autobahn A 61 zwischen Bonn und Koblenz vermittelt wird. Mit großen Lettern wird auf dem Schild für ein 24-Stunden-Auto-Rennen des ADAC geworben. Es findet im Mai 2013 statt. Die Botschaft lautet also: Es geht im nächsten Jahr weiter auf dem Nürburgring!
Wenn man dann abbiegt von der Autobahn und eine halbe Stunde über hügelige Eifel-Landstraßen zum Nürburgring fährt, landet man vor einem Gebäudekomplex, der aussieht wie ein stillgelegtes Flughafenterminal: mehrere hundert Meter lange Betonhallen, unterbrochen von einem großzügigen Eingangsbereich, durch den man in das Innere der Hallen gelangt.
Drinnen: Eine Achterbahn, die stillsteht, geräumte Geschäfte und verlassene Kinos, eine verschlossene Automobilausstellung, verriegelte Restaurants - die traurigen Reste eines im Jahr 2009 eröffneten, mehr als 300 Millionen Euro teuren Freizeitzentrums, das Menschenmassen anlocken sollte. Heute sind einige Gebäudeteile durchgängig geschlossen. Andere kann man zeitweise betreten, doch es herrscht gähnende Leere. Nur wenige Menschen schlendern hier entlang. Kevin Boris etwa, ein Nürburgringtourist aus dem australischen Sydney:
"”It has historical significance. It will be shamed not to be here!”"
Und Johann Maringer - aus Niederösterreich. Er kann nicht begreifen, dass eine weltberühmte Rennstrecke wie der Nürburgring jetzt pleite ist. Aber er ist froh, dass es auch im nächsten Jahr wieder Autorennen in der Eifel geben wird:
"Jeder, der da ein Rennen macht, müsste gehalten werden. Weil die bringen ja Geld. Man muss ja bedenken, die ganze Wirtschaft der Umgegend hier lebt ja von hier, vom Ring. Für Österreicher ist es schon ein Mythos, wir haben ja Nicki Lauda da gehabt, der hatte hier seinen schlimmen Unfall. Man sieht sich den Nürburgring an, und ich bin ja nicht das erste Mal hier."
Der Mythos Nürburgring ist angekratzt. Die staatliche Nürburgring GmbH, die im Auftrag des Landes Rheinland-Pfalz und des Kreises Bad-Neuenahr-Ahrweiler die Autorennbahn und das gescheiterte Freizeitzentrum betreibt, ist seit diesem Sommer insolvent. Die politische Verantwortung trägt die rheinland-pfälzische SPD-Alleinregierung, die in der Legislaturperiode 2006 bis 2011 das Projekt auf den Weg brachte. Kurt Beck, der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands, hat inzwischen seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Nicht wegen der Nürburgring-Pleite, sagt er. Doch längst hat er auch eingestanden, dass seine Regierung in der Eifel versagt hat:
"Wir hätten die Reißleine früher ziehen müssen."
Seit nunmehr vier Jahren ist der Nürburgring-Skandal ein Wiedergänger. Ein selbst geschaffener politischer Plagegeist, der die SPD an Rhein und Mosel quält. Der Skandal ist wie ein Dämon in den Parteikörper gefahren und hält jedem Exorzismus stand. Vom Landesrechungshof über einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss bis zur Europäischen Union in Brüssel reicht mittlerweile die Liste der Institutionen, die sich die Frage gestellt haben: Was ist am Nürburgring schief gelaufen und wer trägt dafür die Verantwortung? In den nächsten Wochen wird die Skandalgeschichte des Nürburgrings in Koblenz weitererzählt. Vor dem dortigen Landgericht. Vor dem Kadi - ehemalige Manager des Nürburgrings und Landesbanker, die öffentliches Geld leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben sollen. Der prominenteste Angeklagte ist Ingolf Deubel, ehemaliger SPD-Finanzminister von Rheinland-Pfalz. Die Staatsanwaltschaft Koblenz wirft Deubel vor, als zuständiger Fachminister durch eine Landesbürgschaft für den Nürburgring die Gefährdung von Steuergeldern in Millionenhöhe in Kauf genommen zu haben. Gleichzeitig habe er als Aufsichtsratschef der Nürburgring GmbH gemeinsam mit anderen Verantwortlichen am Ring Untreue begangen, indem Beratern Gelder ohne Gegenleistung überwiesen wurde. Harald Kruse, leitender Oberstaatsanwalt in Koblenz:
"Die Anklage legt den Angeklagten zur Last, zum einen Zahlungen erbracht zu haben, die ohne erkennbaren sachlichen, aber auch rechtlichen Grund erfolgt sind. Im Wert von insgesamt 385.000 Euro, von denen wir sagen, da hat es keine vertragliche Grundlage gegeben. Und es hat auch sonst keine erkennbaren Gründe gegeben, die es gerechtfertigt hätten, dass die Nürburgring GmbH diese Zahlungen übernimmt."
Die Koblenzer Staatsanwaltschaft wirft Ingolf Deubel überdies vor, als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtages zum Nürburgring falsch ausgesagt zu haben. Es geht um vier Millionen Euro, die zwei auch in der Schweiz aktive erfolglose Finanzvermittler von der Nürburgring GmbH überwiesen bekommen sollten, obwohl die Gegenleistung fehlte. Oberstaatsanwalt Harald Kruse:
"Tatsächlich hat man unmittelbar vor dem Rücktritt von Herrn Deubel, wenige Tage vorher vermittelt durch den Schweizer Finanzvermittler, hat man eine Zahlungsvereinsbahrung für dieses Honorar getroffen, abweichend von den vorherigen Vereinbarungen, da hat man nämlich vereinbart, das Honorar zu zahlen zu einem Zeitpunkt, als nicht klar war, ob das finanzierte Geld tatsächlich eintreffen würde. Das sehen wir als Untreue. Es ist nicht zur Ausführung der Zahlungsanweisung über vier Millionen Euro gekommen. Das ist aber nicht den Angeklagten zu verdanken, sondern der Aufmerksamkeit der Bank, so dass wir da eine Vermögensgefährdung sehen."
Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss hatte Ex-Finanzminister Ingolf Deubel ausgesagt, mit diesem Vorgang nichts zu tun gehabt zu haben:
"Das, meinen wir, ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen widerlegt. Herr Professor Deubel ist sowohl in diesem Zusammenhang wegen Untreue angeklagt, als auch dann im Nachgang wegen uneidlicher Falschaussage."
Die drohende Geld- oder sogar Freiheitsstrafe ist der biografische Tiefpunkt eines Mannes, der einst in der rheinland-pfälzischen SPD und darüber hinaus hohes Ansehen genoss: Ingolf Deubel, 2006 vom Ministerpräsidenten Kurt Beck zum Finanzminister von Rheinland-Pfalz ernannt. Ein ausgewiesener Finanzfachmann: Schon in den 1980er-Jahren hatte Ingolf Deubel für den nordrhein-westfälischen Landkreistag in Münster zum kommunalen Finanzausgleich gearbeitet, später wurde er Kämmerer und Oberstadtdirektor von Solingen. Jürgen Falter, Politologe an der Uni Mainz und ausgewiesener Kenner der rheinland-pfälzischen Politikszene:
"Deubel ist ein ungewöhnlich brillanter, fachkundiger Finanzpolitiker gewesen, er ist es mit Sicherheit heute auch noch, auch wenn er es nicht mehr praktizieren kann. Kurt Beck hat ihm vollständig vertraut. Wer Deubel kennengelernt hat, kann das irgendwie nachvollziehen. Da er nun wirklich sachlich und ungeheuer firm war, die schwierigsten Dinge leicht erklären konnte und Kurt Beck sich mit solchen Dingen vermutlich nicht so intensiv auseinandergesetzt hat. Insofern ist sein Vertrauen in die Person Deubel nachvollziehbar."
Zehn Jahre diente Deubel SPD-geführten rheinland-pfälzischen Regierungen als Staatssekretär, bevor er Minister wurde. Auch die Bundes-SPD bediente sich jahrelang seiner finanzpolitischen Fachkenntnis: als Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Bundesrates und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Länder. 2004 ernannte die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Uni Münster Deubel zum Honorarprofessor. Als Kurt Beck zwischen 2006 und 2008 SPD-Bundesvorsitzender war, überließ er seinem tüchtigen Finanzminister Ingolf Deubel in Rheinland-Pfalz das Management des Nürburgring-Projektes. Ein Job, in dem Deubel grandios scheiterte, wie man heute weiß. Jürgen Falter:
"Deubel hat sicher auch das Beste gewollt, er wollte ja nicht betrügen oder Ähnliches. Sondern der hat dann möglicherweise etwas zu Lasten des Landes unternommen, was man als Untreue bezeichnen kann, was aber gar nicht in seiner Absicht lag. Er war irgendwie verzweifelt am Ende, weil er keine Investoren gefunden hat."
Deubel hatte 2008 gegenüber dem SWR das Ziel formuliert, mit dem Investitionsprojekt "Neuer Nürburgring" die alte Autorennbahn in der Eifel für den Formel-1-Zirkus der Zukunft fit zu machen und sie damit in der weltweit ersten Liga des Motorsports zu halten:
"Es gibt keine vernünftige Alternative. Die einzige theoretische Alternative wäre: weg aus der Ersten Bundesliga, runter in die Regionalliga, wie das an anderer Stelle in Europa der Fall ist, etwa in Zandvoort, Estoril, A-1-Ring in Salzburg – alles ehemals Formel-1-Strecken, nie so bekannt wie Nürburgring, aber heute in der Versenkung verschwunden. Und das sind eben Strecken, auf denen man noch fahren kann, aber es sind keine Wirtschaftsförderungseinrichtungen, da findet man keine Arbeitsplätze mehr. Und wir betreiben den Nürburgring als Wirtschaftsfördereinrichtung, um in der strukturschwachen Eifel möglichst viele dauerhafte Arbeitsplätze zu haben."
SPD-Mann Ingolf Deubel verfolgte dieses Ziel zunächst unter der Voraussetzung, unter der auch CDU und FDP in Rheinland-Pfalz bereit waren, das Projekt mitzutragen: Das notwendige Kapital dürfe nicht nur aus der Staatskasse, sondern müsse auch von privaten Investoren kommen:
"Wir haben beim Start dieses Projektes gesagt, ohne Private machen wir es nicht, und der Nürburgring darf maximal 50 Prozent übernehmen, damit auch maximal 50 Prozent des Risikos, und Nürburgring heißt in dem Fall natürlich auch Land. Das heißt, wir werden keinesfalls uns stärker engagieren, auch im Sinne von Risikoabsicherung."
Die Risikobereitschaft Deubels und der rheinland-pfälzischen SPD-Landesregierung stieg jedoch, als nach langen Monaten der Suche immer noch kein Investor für das neue Freizeitzentrum am Nürburgring gefunden war. Ab November 2007 ließ die Regierung Abrissarbeiten am Nürburgring einleiten, zur Vorbereitung ihres Zukunftsprojektes, ohne dass die vorgesehene private Co-Finanzierung zu diesem Zeitpunkt sicher war. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel beteuerte jedoch öffentlich, dass seine Verhandlungen mit einem potenziellen Privatinvestor kurz vor dem Abschluss stünden:
"Der alleine als Investor auftritt, dann allerdings würde Nürburgring insgesamt das Sagen haben für das Gesamtprojekt, was auch notwendig ist. Denn wenn man alle Vorteile, alle Synergieeffekte wirklich realisieren will, dann muss es eine koordinierende Stelle geben, und das muss die Nürburgring-Gesellschaft sein."
Doch wie so vieles schwer zu fassen ist in der Geschichte des neuen Nürburgrings blieb auch der erhoffte Investor ein Gespenst, das sich wieder in Luft auflöste. Ingolf Deubel trat deswegen im Sommer 2009 als Finanzminister zurück. Jetzt steht er in Koblenz vor Gericht. Der Mainzer Politologe Jürgen Falter erklärt sich das Scheitern des einst geachteten Finanzpolitikers so:
"Deubel war verzweifelt meines Erachtens. Irgendwie geht das ganze Kalkül nicht auf. Er hat den Auftrag, hat das sicherlich auch von sich aus befördert, private Investoren müssen her. Es finden sich keine soliden Investoren, weil das Ganze sich für die meisten nicht gerechnet hat - schon im Vorhinein nicht. Dann gibt es doch irgendwelche Angebote und denen vertraut er. Und das sind höchst dubiose Angebote gewesen. Angebote aus dem Ausland, ein amerikanischer Multimillionär mit dem schönen Namen DuPont, der auftaucht, der eben nicht aus der DuPont-Familie stammt, wie sich dann rausstellt, der ein Hochstapler war. Oder die Schweizer Vermittler oder waren es österreichische Vermittler, die in der Schweiz tätig waren, die dann Überweisungen in mehrstelliger Millionenhöhe gefordert haben, um die Dignität, das heißt also die Zahlungsfähigkeit des Landes Rheinland-Pfalz nachzuweisen, so eine absurde Sache hat man eigentlich noch nie gehört."
Ingolf Deubel ist bisher die große tragische Figur des Nürburgring-Skandals. Doch es ist nicht sicher, ob er die Einzige bleibt. Auch wenn Kurt Beck es bestreitet und gesundheitliche Gründe für seinen Rückzug aus der Politik nennt: Die selbst gerufenen Plagegeister des Nürburgring-Finanzdesasters setzten dem langjährigen rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten zuletzt so zu, dass sie entscheidend zu seinem vorzeitigen Amtsverzicht beigetragen haben dürften. Clemens Hoch hat als rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Mainz 2010 schon im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Nürburgring-Affäre gesessen. Er ahnt, dass der Koblenzer Prozess nicht nur für die Angeklagten, sondern auch für einige seiner Genossen aus der ehemaligen SPD-Alleinregierung, die den Bau des Freizeitzentrums beschlossen hat, unangenehm werden könnte:
"Der Nürburgring-Prozess wird nicht schön werden. Gucken sie mal, in den ersten zwei Wochen sind allein sechs Verhandlungstage angesetzt, dann wöchentlich mindestens einer. Das wird immer mal wieder in der Zeitung stehen. Das ist dann nie für diejenigen, die damit verwoben waren, ein schönes Ereignis. Umso schöner ist es, wenn wir bald eine neue Ministerpräsidentin haben, die da frei aufspielen kann."
Doch kann die künftige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wirklich so frei vom Nürburgringskandal aufspielen, wie es sich die rheinland-pfälzische SPD wünscht? Als Gesundheits- und Sozialministerin saß sie zehn Jahre in den Kabinetten von Kurt Beck - auch als der Beschluss zum Bau des neuen Freizeitzentrums getroffen wurde. Malu Dreyer selbst weiß, dass der Nürburgring das schwerste politische Erbe ist, das sie von ihrem Vorgänger übernehmen muss:
"Auch das werde ich annehmen als Thema, das ist selbstverständlich, und ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Glaubwürdigkeit unserer Landesregierung davon abhängen wird, wie klar unsere Lösungen sein werden und wie klar wir mit diesen Themen auch umgehen werden."
Doch klar ist: Nicht Malu Dreyer - sondern Kurt Beck wird neben Ingolf Deubel beim jetzt beginnenden Koblenzer Nürburgring-Prozess noch einmal im Blickpunkt stehen. Die gute Nachricht für Beck lautet: Die Staatsanwaltschaft Koblenz sieht ihn juristisch nicht in der Hauptverantwortung für den Nürburgring-Skandal. Harald Kruse, leitender Oberstaatsanwalt:
"Wir haben bisher keine Hinweise darauf, dass der Ministerpräsident selbst sich in irgendeiner Form strafbar gemacht hat. Wir haben eine Ressortverantwortung in Rheinland-Pfalz, das heißt, der Minister ist für sein Ressort eigenverantwortlich tätig. Der Ministerpräsident ist nicht in der Weise sein Chef, dass er hinkommen könnte und Anweisungen geben könnte. Insofern - aus unserer Sicht wir haben nichts, was im Moment auf ihn zukommen könnte. Inwieweit im Rahmen einer Hauptverhandlung noch Vernehmungen notwendig sein sollten, die wie bisher nicht für notwendig gehalten haben, kann ich nicht beurteilen, das wird vom Prozessstand abhängen."
Bis heute verteidigt Beck das Projekt "Neuer Nürburgring" als notwendige Infrastrukturmaßnahme. Eingeräumt hat er jedoch Kommunikationsfehler sowie den Umstand, dass wohl unter dem Strich alles ein bisschen zu groß geraten sei am Nürburgring:
"Natürlich hat es da neben Fehleinschätzungen und Fehlhandlungen und auch Pech - dass diese Achterbahn einen Tag gefahren ist und dann nicht mehr, ist auch Pech, das ist ein Software-Fehler, und wie die Fachleute sagen, an anderen Stellen in der Welt fährt so ein Ding ja. Wenn der Wurm drin ist, ist er halt drin. Aber abgesehen von solchen Dingen, wo man nie ganz gefeit ist, ist es eben so, dass es eben auch, im Nachhinein betrachtet gar keine Frage, dass man nicht ausreichend kommuniziert hat und nicht ausreichend die Leute eingebunden hat."
Die Zukunft des Nürburgrings ist nun nicht mehr Becks Angelegenheit. Auch seine designierte Nachfolgerin Malu Dreyer spielt vorerst nur eine Nebenrolle. Im Augenblick ist es Sache der Insolvenzverwalter am Ring, die Menschen in der Eifel darüber zu informieren, wie es weitergehen könnte mit ihrer alten Rennbahn. Doch auch sie haben das Heft nicht vollständig in der Hand, so der Politologe Jürgen Falter. Denn die EU hat das Verfahren an sich gezogen und prüft, ob die Subventionen, die in das Nürburgring-Feizeitzentrum flossen, das EU-Wettbewerbsrecht verletzt haben:
"Brüssel entscheidet jetzt praktisch. Das sind jetzt im Augenblick die Letzt-Endscheider. Waren denn überhaupt die ganzen Hilfsgelder zulässig? Sind die nachgeschossenen Hilfsgelder denn zulässig gewesen. Und dann könnte sein, dass an solchen Formalien noch einmal alles hochkocht und noch einmal in die Medien kommt und dann rauskommt: Es sind nicht 250 Millionen, vielleicht sogar etwas mehr versenkt worden."
Der Nürburgring-Skandal ist jetzt also ein Gespenst, das sogar in Europa umgeht, gleichzeitig aber Parlament, Justiz und Öffentlichkeit in Rheinland-Pfalz nicht loslässt. Die nächste Landtagswahl ist erst im Jahr 2016 - es bleibt also der Sozialdemokratie an Rhein und Mosel noch reichlich Zeit, den richtigen Weg zu finden, um den lästigen Dämon aus der grünen Hölle in der Eifel abzuschütteln. Einen treuen Bundesgenossen hat die rheinland-pfälzische SPD bei diesem Vorhaben auf jeden Fall: ihren Koalitionspartner, die Grünen, die bis zur Wahl auf keinen Fall ins Lager der CDU-Oppositionsführerin Julia Klöckner wechseln werden - das glaubt zumindest Jürgen Falter:
"Die Grünen sind so fest auf die SPD eingeschworen, dass ich glaube, die werden in dieser Legislaturperiode mit Sicherheit nicht die Koalition platzen lassen."
Politische Ironie der Geschichte: Die Grünen, die den Vergnügungspark an der Eifel-Rennbahn nie wollten, stützen jetzt eine Landes-SPD, die von der Nürburgring-Pleite geradezu erdrückt wird. Regierung und Opposition in Rheinland-Pfalz müssen nun versuchen, wenigstens den Rennbetrieb an der Eifel zu retten. Der ADAC und andere rennsportbegeisterte Organisationen könnten künftig in einer gemeinnützigen Stiftung den Veranstaltungsbetrieb auf der Piste organisieren - das ist die zurzeit im politischen Mainz diskutierte Idee, die auch Hoffnung bei den Nürburgring-Fans weckt, dass es weitergeht:
"Automobilklub und eine Rennstrecke gehören sicherlich zusammen, ja."
Jürgen Falter glaubt aber nicht, dass die jetzt leer stehenden Hallen am Ring außerhalb des Rennbetriebes sinnvoll genutzt werden können:
"Also, ich glaube nicht, dass sich die in den letzten Jahren gebaute Infrastruktur, um die es ja im Endeffekt geht, die Achterbahn, die nicht laufen darf, weil der TÜV sie nicht abnimmt, diese riesenhaften Hallen und Einkaufszentren, die Hotels - dass die sich rechnen werden, halte ich für außerordentlich unwahrscheinlich. Ich glaube, das werden Investitionsruinen werden."
Reichlich Stoff also für Gespenstergeschichten wird der Nürburgring wohl auch in Zukunft bieten - selbst dann, wenn der zähe Plagegeist "Finanzskandal" den Körper des politischen Gemeinwesens an Rhein und Mosel nicht mehr länger im Griff hat.
Wenn man dann abbiegt von der Autobahn und eine halbe Stunde über hügelige Eifel-Landstraßen zum Nürburgring fährt, landet man vor einem Gebäudekomplex, der aussieht wie ein stillgelegtes Flughafenterminal: mehrere hundert Meter lange Betonhallen, unterbrochen von einem großzügigen Eingangsbereich, durch den man in das Innere der Hallen gelangt.
Drinnen: Eine Achterbahn, die stillsteht, geräumte Geschäfte und verlassene Kinos, eine verschlossene Automobilausstellung, verriegelte Restaurants - die traurigen Reste eines im Jahr 2009 eröffneten, mehr als 300 Millionen Euro teuren Freizeitzentrums, das Menschenmassen anlocken sollte. Heute sind einige Gebäudeteile durchgängig geschlossen. Andere kann man zeitweise betreten, doch es herrscht gähnende Leere. Nur wenige Menschen schlendern hier entlang. Kevin Boris etwa, ein Nürburgringtourist aus dem australischen Sydney:
"”It has historical significance. It will be shamed not to be here!”"
Und Johann Maringer - aus Niederösterreich. Er kann nicht begreifen, dass eine weltberühmte Rennstrecke wie der Nürburgring jetzt pleite ist. Aber er ist froh, dass es auch im nächsten Jahr wieder Autorennen in der Eifel geben wird:
"Jeder, der da ein Rennen macht, müsste gehalten werden. Weil die bringen ja Geld. Man muss ja bedenken, die ganze Wirtschaft der Umgegend hier lebt ja von hier, vom Ring. Für Österreicher ist es schon ein Mythos, wir haben ja Nicki Lauda da gehabt, der hatte hier seinen schlimmen Unfall. Man sieht sich den Nürburgring an, und ich bin ja nicht das erste Mal hier."
Der Mythos Nürburgring ist angekratzt. Die staatliche Nürburgring GmbH, die im Auftrag des Landes Rheinland-Pfalz und des Kreises Bad-Neuenahr-Ahrweiler die Autorennbahn und das gescheiterte Freizeitzentrum betreibt, ist seit diesem Sommer insolvent. Die politische Verantwortung trägt die rheinland-pfälzische SPD-Alleinregierung, die in der Legislaturperiode 2006 bis 2011 das Projekt auf den Weg brachte. Kurt Beck, der dienstälteste Ministerpräsident Deutschlands, hat inzwischen seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Nicht wegen der Nürburgring-Pleite, sagt er. Doch längst hat er auch eingestanden, dass seine Regierung in der Eifel versagt hat:
"Wir hätten die Reißleine früher ziehen müssen."
Seit nunmehr vier Jahren ist der Nürburgring-Skandal ein Wiedergänger. Ein selbst geschaffener politischer Plagegeist, der die SPD an Rhein und Mosel quält. Der Skandal ist wie ein Dämon in den Parteikörper gefahren und hält jedem Exorzismus stand. Vom Landesrechungshof über einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss bis zur Europäischen Union in Brüssel reicht mittlerweile die Liste der Institutionen, die sich die Frage gestellt haben: Was ist am Nürburgring schief gelaufen und wer trägt dafür die Verantwortung? In den nächsten Wochen wird die Skandalgeschichte des Nürburgrings in Koblenz weitererzählt. Vor dem dortigen Landgericht. Vor dem Kadi - ehemalige Manager des Nürburgrings und Landesbanker, die öffentliches Geld leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben sollen. Der prominenteste Angeklagte ist Ingolf Deubel, ehemaliger SPD-Finanzminister von Rheinland-Pfalz. Die Staatsanwaltschaft Koblenz wirft Deubel vor, als zuständiger Fachminister durch eine Landesbürgschaft für den Nürburgring die Gefährdung von Steuergeldern in Millionenhöhe in Kauf genommen zu haben. Gleichzeitig habe er als Aufsichtsratschef der Nürburgring GmbH gemeinsam mit anderen Verantwortlichen am Ring Untreue begangen, indem Beratern Gelder ohne Gegenleistung überwiesen wurde. Harald Kruse, leitender Oberstaatsanwalt in Koblenz:
"Die Anklage legt den Angeklagten zur Last, zum einen Zahlungen erbracht zu haben, die ohne erkennbaren sachlichen, aber auch rechtlichen Grund erfolgt sind. Im Wert von insgesamt 385.000 Euro, von denen wir sagen, da hat es keine vertragliche Grundlage gegeben. Und es hat auch sonst keine erkennbaren Gründe gegeben, die es gerechtfertigt hätten, dass die Nürburgring GmbH diese Zahlungen übernimmt."
Die Koblenzer Staatsanwaltschaft wirft Ingolf Deubel überdies vor, als Zeuge vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtages zum Nürburgring falsch ausgesagt zu haben. Es geht um vier Millionen Euro, die zwei auch in der Schweiz aktive erfolglose Finanzvermittler von der Nürburgring GmbH überwiesen bekommen sollten, obwohl die Gegenleistung fehlte. Oberstaatsanwalt Harald Kruse:
"Tatsächlich hat man unmittelbar vor dem Rücktritt von Herrn Deubel, wenige Tage vorher vermittelt durch den Schweizer Finanzvermittler, hat man eine Zahlungsvereinsbahrung für dieses Honorar getroffen, abweichend von den vorherigen Vereinbarungen, da hat man nämlich vereinbart, das Honorar zu zahlen zu einem Zeitpunkt, als nicht klar war, ob das finanzierte Geld tatsächlich eintreffen würde. Das sehen wir als Untreue. Es ist nicht zur Ausführung der Zahlungsanweisung über vier Millionen Euro gekommen. Das ist aber nicht den Angeklagten zu verdanken, sondern der Aufmerksamkeit der Bank, so dass wir da eine Vermögensgefährdung sehen."
Vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss hatte Ex-Finanzminister Ingolf Deubel ausgesagt, mit diesem Vorgang nichts zu tun gehabt zu haben:
"Das, meinen wir, ist nach dem Ergebnis der Ermittlungen widerlegt. Herr Professor Deubel ist sowohl in diesem Zusammenhang wegen Untreue angeklagt, als auch dann im Nachgang wegen uneidlicher Falschaussage."
Die drohende Geld- oder sogar Freiheitsstrafe ist der biografische Tiefpunkt eines Mannes, der einst in der rheinland-pfälzischen SPD und darüber hinaus hohes Ansehen genoss: Ingolf Deubel, 2006 vom Ministerpräsidenten Kurt Beck zum Finanzminister von Rheinland-Pfalz ernannt. Ein ausgewiesener Finanzfachmann: Schon in den 1980er-Jahren hatte Ingolf Deubel für den nordrhein-westfälischen Landkreistag in Münster zum kommunalen Finanzausgleich gearbeitet, später wurde er Kämmerer und Oberstadtdirektor von Solingen. Jürgen Falter, Politologe an der Uni Mainz und ausgewiesener Kenner der rheinland-pfälzischen Politikszene:
"Deubel ist ein ungewöhnlich brillanter, fachkundiger Finanzpolitiker gewesen, er ist es mit Sicherheit heute auch noch, auch wenn er es nicht mehr praktizieren kann. Kurt Beck hat ihm vollständig vertraut. Wer Deubel kennengelernt hat, kann das irgendwie nachvollziehen. Da er nun wirklich sachlich und ungeheuer firm war, die schwierigsten Dinge leicht erklären konnte und Kurt Beck sich mit solchen Dingen vermutlich nicht so intensiv auseinandergesetzt hat. Insofern ist sein Vertrauen in die Person Deubel nachvollziehbar."
Zehn Jahre diente Deubel SPD-geführten rheinland-pfälzischen Regierungen als Staatssekretär, bevor er Minister wurde. Auch die Bundes-SPD bediente sich jahrelang seiner finanzpolitischen Fachkenntnis: als Vorsitzender des Finanzausschusses des Deutschen Bundesrates und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Länder. 2004 ernannte die wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Uni Münster Deubel zum Honorarprofessor. Als Kurt Beck zwischen 2006 und 2008 SPD-Bundesvorsitzender war, überließ er seinem tüchtigen Finanzminister Ingolf Deubel in Rheinland-Pfalz das Management des Nürburgring-Projektes. Ein Job, in dem Deubel grandios scheiterte, wie man heute weiß. Jürgen Falter:
"Deubel hat sicher auch das Beste gewollt, er wollte ja nicht betrügen oder Ähnliches. Sondern der hat dann möglicherweise etwas zu Lasten des Landes unternommen, was man als Untreue bezeichnen kann, was aber gar nicht in seiner Absicht lag. Er war irgendwie verzweifelt am Ende, weil er keine Investoren gefunden hat."
Deubel hatte 2008 gegenüber dem SWR das Ziel formuliert, mit dem Investitionsprojekt "Neuer Nürburgring" die alte Autorennbahn in der Eifel für den Formel-1-Zirkus der Zukunft fit zu machen und sie damit in der weltweit ersten Liga des Motorsports zu halten:
"Es gibt keine vernünftige Alternative. Die einzige theoretische Alternative wäre: weg aus der Ersten Bundesliga, runter in die Regionalliga, wie das an anderer Stelle in Europa der Fall ist, etwa in Zandvoort, Estoril, A-1-Ring in Salzburg – alles ehemals Formel-1-Strecken, nie so bekannt wie Nürburgring, aber heute in der Versenkung verschwunden. Und das sind eben Strecken, auf denen man noch fahren kann, aber es sind keine Wirtschaftsförderungseinrichtungen, da findet man keine Arbeitsplätze mehr. Und wir betreiben den Nürburgring als Wirtschaftsfördereinrichtung, um in der strukturschwachen Eifel möglichst viele dauerhafte Arbeitsplätze zu haben."
SPD-Mann Ingolf Deubel verfolgte dieses Ziel zunächst unter der Voraussetzung, unter der auch CDU und FDP in Rheinland-Pfalz bereit waren, das Projekt mitzutragen: Das notwendige Kapital dürfe nicht nur aus der Staatskasse, sondern müsse auch von privaten Investoren kommen:
"Wir haben beim Start dieses Projektes gesagt, ohne Private machen wir es nicht, und der Nürburgring darf maximal 50 Prozent übernehmen, damit auch maximal 50 Prozent des Risikos, und Nürburgring heißt in dem Fall natürlich auch Land. Das heißt, wir werden keinesfalls uns stärker engagieren, auch im Sinne von Risikoabsicherung."
Die Risikobereitschaft Deubels und der rheinland-pfälzischen SPD-Landesregierung stieg jedoch, als nach langen Monaten der Suche immer noch kein Investor für das neue Freizeitzentrum am Nürburgring gefunden war. Ab November 2007 ließ die Regierung Abrissarbeiten am Nürburgring einleiten, zur Vorbereitung ihres Zukunftsprojektes, ohne dass die vorgesehene private Co-Finanzierung zu diesem Zeitpunkt sicher war. Der rheinland-pfälzische Finanzminister Ingolf Deubel beteuerte jedoch öffentlich, dass seine Verhandlungen mit einem potenziellen Privatinvestor kurz vor dem Abschluss stünden:
"Der alleine als Investor auftritt, dann allerdings würde Nürburgring insgesamt das Sagen haben für das Gesamtprojekt, was auch notwendig ist. Denn wenn man alle Vorteile, alle Synergieeffekte wirklich realisieren will, dann muss es eine koordinierende Stelle geben, und das muss die Nürburgring-Gesellschaft sein."
Doch wie so vieles schwer zu fassen ist in der Geschichte des neuen Nürburgrings blieb auch der erhoffte Investor ein Gespenst, das sich wieder in Luft auflöste. Ingolf Deubel trat deswegen im Sommer 2009 als Finanzminister zurück. Jetzt steht er in Koblenz vor Gericht. Der Mainzer Politologe Jürgen Falter erklärt sich das Scheitern des einst geachteten Finanzpolitikers so:
"Deubel war verzweifelt meines Erachtens. Irgendwie geht das ganze Kalkül nicht auf. Er hat den Auftrag, hat das sicherlich auch von sich aus befördert, private Investoren müssen her. Es finden sich keine soliden Investoren, weil das Ganze sich für die meisten nicht gerechnet hat - schon im Vorhinein nicht. Dann gibt es doch irgendwelche Angebote und denen vertraut er. Und das sind höchst dubiose Angebote gewesen. Angebote aus dem Ausland, ein amerikanischer Multimillionär mit dem schönen Namen DuPont, der auftaucht, der eben nicht aus der DuPont-Familie stammt, wie sich dann rausstellt, der ein Hochstapler war. Oder die Schweizer Vermittler oder waren es österreichische Vermittler, die in der Schweiz tätig waren, die dann Überweisungen in mehrstelliger Millionenhöhe gefordert haben, um die Dignität, das heißt also die Zahlungsfähigkeit des Landes Rheinland-Pfalz nachzuweisen, so eine absurde Sache hat man eigentlich noch nie gehört."
Ingolf Deubel ist bisher die große tragische Figur des Nürburgring-Skandals. Doch es ist nicht sicher, ob er die Einzige bleibt. Auch wenn Kurt Beck es bestreitet und gesundheitliche Gründe für seinen Rückzug aus der Politik nennt: Die selbst gerufenen Plagegeister des Nürburgring-Finanzdesasters setzten dem langjährigen rheinlandpfälzischen Ministerpräsidenten zuletzt so zu, dass sie entscheidend zu seinem vorzeitigen Amtsverzicht beigetragen haben dürften. Clemens Hoch hat als rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Mainz 2010 schon im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Nürburgring-Affäre gesessen. Er ahnt, dass der Koblenzer Prozess nicht nur für die Angeklagten, sondern auch für einige seiner Genossen aus der ehemaligen SPD-Alleinregierung, die den Bau des Freizeitzentrums beschlossen hat, unangenehm werden könnte:
"Der Nürburgring-Prozess wird nicht schön werden. Gucken sie mal, in den ersten zwei Wochen sind allein sechs Verhandlungstage angesetzt, dann wöchentlich mindestens einer. Das wird immer mal wieder in der Zeitung stehen. Das ist dann nie für diejenigen, die damit verwoben waren, ein schönes Ereignis. Umso schöner ist es, wenn wir bald eine neue Ministerpräsidentin haben, die da frei aufspielen kann."
Doch kann die künftige rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer wirklich so frei vom Nürburgringskandal aufspielen, wie es sich die rheinland-pfälzische SPD wünscht? Als Gesundheits- und Sozialministerin saß sie zehn Jahre in den Kabinetten von Kurt Beck - auch als der Beschluss zum Bau des neuen Freizeitzentrums getroffen wurde. Malu Dreyer selbst weiß, dass der Nürburgring das schwerste politische Erbe ist, das sie von ihrem Vorgänger übernehmen muss:
"Auch das werde ich annehmen als Thema, das ist selbstverständlich, und ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Glaubwürdigkeit unserer Landesregierung davon abhängen wird, wie klar unsere Lösungen sein werden und wie klar wir mit diesen Themen auch umgehen werden."
Doch klar ist: Nicht Malu Dreyer - sondern Kurt Beck wird neben Ingolf Deubel beim jetzt beginnenden Koblenzer Nürburgring-Prozess noch einmal im Blickpunkt stehen. Die gute Nachricht für Beck lautet: Die Staatsanwaltschaft Koblenz sieht ihn juristisch nicht in der Hauptverantwortung für den Nürburgring-Skandal. Harald Kruse, leitender Oberstaatsanwalt:
"Wir haben bisher keine Hinweise darauf, dass der Ministerpräsident selbst sich in irgendeiner Form strafbar gemacht hat. Wir haben eine Ressortverantwortung in Rheinland-Pfalz, das heißt, der Minister ist für sein Ressort eigenverantwortlich tätig. Der Ministerpräsident ist nicht in der Weise sein Chef, dass er hinkommen könnte und Anweisungen geben könnte. Insofern - aus unserer Sicht wir haben nichts, was im Moment auf ihn zukommen könnte. Inwieweit im Rahmen einer Hauptverhandlung noch Vernehmungen notwendig sein sollten, die wie bisher nicht für notwendig gehalten haben, kann ich nicht beurteilen, das wird vom Prozessstand abhängen."
Bis heute verteidigt Beck das Projekt "Neuer Nürburgring" als notwendige Infrastrukturmaßnahme. Eingeräumt hat er jedoch Kommunikationsfehler sowie den Umstand, dass wohl unter dem Strich alles ein bisschen zu groß geraten sei am Nürburgring:
"Natürlich hat es da neben Fehleinschätzungen und Fehlhandlungen und auch Pech - dass diese Achterbahn einen Tag gefahren ist und dann nicht mehr, ist auch Pech, das ist ein Software-Fehler, und wie die Fachleute sagen, an anderen Stellen in der Welt fährt so ein Ding ja. Wenn der Wurm drin ist, ist er halt drin. Aber abgesehen von solchen Dingen, wo man nie ganz gefeit ist, ist es eben so, dass es eben auch, im Nachhinein betrachtet gar keine Frage, dass man nicht ausreichend kommuniziert hat und nicht ausreichend die Leute eingebunden hat."
Die Zukunft des Nürburgrings ist nun nicht mehr Becks Angelegenheit. Auch seine designierte Nachfolgerin Malu Dreyer spielt vorerst nur eine Nebenrolle. Im Augenblick ist es Sache der Insolvenzverwalter am Ring, die Menschen in der Eifel darüber zu informieren, wie es weitergehen könnte mit ihrer alten Rennbahn. Doch auch sie haben das Heft nicht vollständig in der Hand, so der Politologe Jürgen Falter. Denn die EU hat das Verfahren an sich gezogen und prüft, ob die Subventionen, die in das Nürburgring-Feizeitzentrum flossen, das EU-Wettbewerbsrecht verletzt haben:
"Brüssel entscheidet jetzt praktisch. Das sind jetzt im Augenblick die Letzt-Endscheider. Waren denn überhaupt die ganzen Hilfsgelder zulässig? Sind die nachgeschossenen Hilfsgelder denn zulässig gewesen. Und dann könnte sein, dass an solchen Formalien noch einmal alles hochkocht und noch einmal in die Medien kommt und dann rauskommt: Es sind nicht 250 Millionen, vielleicht sogar etwas mehr versenkt worden."
Der Nürburgring-Skandal ist jetzt also ein Gespenst, das sogar in Europa umgeht, gleichzeitig aber Parlament, Justiz und Öffentlichkeit in Rheinland-Pfalz nicht loslässt. Die nächste Landtagswahl ist erst im Jahr 2016 - es bleibt also der Sozialdemokratie an Rhein und Mosel noch reichlich Zeit, den richtigen Weg zu finden, um den lästigen Dämon aus der grünen Hölle in der Eifel abzuschütteln. Einen treuen Bundesgenossen hat die rheinland-pfälzische SPD bei diesem Vorhaben auf jeden Fall: ihren Koalitionspartner, die Grünen, die bis zur Wahl auf keinen Fall ins Lager der CDU-Oppositionsführerin Julia Klöckner wechseln werden - das glaubt zumindest Jürgen Falter:
"Die Grünen sind so fest auf die SPD eingeschworen, dass ich glaube, die werden in dieser Legislaturperiode mit Sicherheit nicht die Koalition platzen lassen."
Politische Ironie der Geschichte: Die Grünen, die den Vergnügungspark an der Eifel-Rennbahn nie wollten, stützen jetzt eine Landes-SPD, die von der Nürburgring-Pleite geradezu erdrückt wird. Regierung und Opposition in Rheinland-Pfalz müssen nun versuchen, wenigstens den Rennbetrieb an der Eifel zu retten. Der ADAC und andere rennsportbegeisterte Organisationen könnten künftig in einer gemeinnützigen Stiftung den Veranstaltungsbetrieb auf der Piste organisieren - das ist die zurzeit im politischen Mainz diskutierte Idee, die auch Hoffnung bei den Nürburgring-Fans weckt, dass es weitergeht:
"Automobilklub und eine Rennstrecke gehören sicherlich zusammen, ja."
Jürgen Falter glaubt aber nicht, dass die jetzt leer stehenden Hallen am Ring außerhalb des Rennbetriebes sinnvoll genutzt werden können:
"Also, ich glaube nicht, dass sich die in den letzten Jahren gebaute Infrastruktur, um die es ja im Endeffekt geht, die Achterbahn, die nicht laufen darf, weil der TÜV sie nicht abnimmt, diese riesenhaften Hallen und Einkaufszentren, die Hotels - dass die sich rechnen werden, halte ich für außerordentlich unwahrscheinlich. Ich glaube, das werden Investitionsruinen werden."
Reichlich Stoff also für Gespenstergeschichten wird der Nürburgring wohl auch in Zukunft bieten - selbst dann, wenn der zähe Plagegeist "Finanzskandal" den Körper des politischen Gemeinwesens an Rhein und Mosel nicht mehr länger im Griff hat.