Philipp May: Heute gibt es noch mal ein Arbeitsfrühstück mit der Kanzlerin, und dann geht es für Erdogan weiter nach Köln. Gegen 14 Uhr wird er dort erwartet. Zunächst wird er vom Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, empfangen, und dann soll er Deutschlands größte Moschee eröffnen, die Zentralmoschee des türkischen Religionsverbandes Ditib.
Auch dort wird das kontrovers diskutiert, denn der Prestigebau galt mal als Zeichen der Integration der türkisch-islamischen Gemeinde in Deutschland, und jetzt wird kein offizieller deutscher Vertreter bei der Einweihung dabei sein offenbar, weder der Ministerpräsident Armin Laschet noch die Oberbürgermeisterin Henriette Reker und auch nicht ihr Amtsvorgänger, der sich seinerzeit sehr für den Bau der Moschee eingesetzt hatte und auch lange im Beirat der Moschee saß, Fritz Schramma, CDU-Oberbürgermeister von 2000 bis 2009. Schönen guten Morgen, Herr Schramma!
Fritz Schramma: Schönen guten Morgen, Herr May, ich grüße Sie!
May: Hätten Sie Erdogan den roten Teppich ausgerollt?
"Ich sehe diesen ganzen Besuch als zu hoch angesiedelt"
Schramma: Ich habe gerade mit Interesse Ihre Schilderung vom Bankett gestern Abend mitverfolgt und muss sagen, so ein bisschen konnte ich mich direkt reinleben, weil diese Situation, dass man angesprochen wird auf Türkisch und jemand anders übersetzt und man nicht ganz genau weiß, was denn wirklich gesagt worden ist, das haben wir auch bei uns im Moschee-Beirat immer wieder erlebt in den letzten Monaten, Jahren, und das ist eine sehr schlechte Basis für eine Vertrauensschaffung und für ein Miteinander. Ich sehe diesen ganzen Besuch, für meine Begriffe, als zu hoch angesiedelt. Das hätte auf der Arbeitsebene geleistet werden können, und der Besuch hier in der Moschee und die Eröffnung durch ihn, das konterkariert eigentlich das, was wir über Jahre hin gemeinsam besprochen und geplant haben.
May: Und jetzt legt man für einen Autokraten die gesamte Innenstadt einer Millionenstadt lahm.
Schramma: Das führt zu großem Ärger in der Bevölkerung, und spaltet auch die Kölner Bevölkerung, sowohl die Deutsch-Türken als auch die einheimischen Kölner hier, das ist ein großes Ärgernis, und ich weiß nicht, ob es die Sache wert ist.
May: Und dann geht es weiter zur Moschee-Einweihung. Haben Sie eigentlich eine Einladung von der Ditib erhalten?
Schramma: Ja, ich bin ja zwei Tage in Sachen Politik in Brüssel unterwegs gewesen, bin gestern Abend spät nach Hause gekommen, und in der Tat lag da ganz kurzfristig wohl in der Post diese Einladung, die jetzt vor mir liegt, aber ich meine, da müssen wir uns nicht drüber unterhalten. Wenn Sie zwei Tage vor so einem großen Event eine Einladung bekommen, dann muss man ja den Eindruck bekommen, da ist irgendjemand noch kurzfristig abgesprungen. Zu der Party musst du jetzt nicht unbedingt gehen.
"Dieses Gebäude birgt in sich viele Chancen"
May: Schmerzt Sie das? Sie waren ja lange Vermittler auch im Zwist mit der Ditib, mit dem Architekten.
Schramma: Ja, natürlich finde ich das unerhört und undankbar im wahrsten Sinne des Wortes, nicht nur mir gegenüber, wo ich da sicher einen sehr zentralen Beitrag geleistet habe, auch in der Phase der Mediation. Sie wissen, dass das Ganze ja mal auf der Kippe stand, als der Streit mit dem Architekten war und ich dann eine Mediation durchgeführt habe, um sie wieder zusammenzubringen, was dann ja auch gelungen ist. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es ein sehr schönes Gebäude geworden ist. Dieses Gebäude birgt in sich viele Chancen, es ist disponiert dazu, dass man von dort aus in der Tat Integrationsarbeit leisten kann, aber das hat sich in den letzten Jahren leider ganz verschlechtert durch die inhaltliche Konzeption, durch das, wie kommuniziert wird. Ich habe die große Hoffnung, dass wir das wieder mal irgendwie zurückführen können auf einen Normalzustand. Es ist ähnlich wie auch Steinmeier und auch andere jetzt auch auf der oberen Ebene das angesprochen haben.
May: Und jetzt wird diese Kölner Moschee von einem türkischen Politiker eröffnet, der von der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung als Autokrat abgelehnt wird, der die deutsche Regierung bis vor Kurzem noch beschimpft hat, deutsche Politiker sind gar nicht beteiligt. Sie haben jetzt nur ganz kurzfristig noch eine Einladung bekommen.
Schramma: Werde demzufolge natürlich nicht hingehen.
May: Und unser Korrespondent Moritz Küpper, der hat gerade eben hier im Deutschlandfunk von einem türkischen Staatsakt auf deutschem Boden gesprochen. Teilen Sie die Einschätzung?
"Es ist richtig, dass Gespräche geführt werden"
Schramma: Ja, das ist richtig, was der Herr Küpper da sagt, und ich denke, das ist einfach auch nicht angemessen dem, was hier an der Stelle mit diesem Kulturzentrum und mit der Moschee gemeint war. Wissen Sie, die Architektur selbst hat von vornherein auch Begriffe wie Transparenz, Offenheit, Willkommen an die Bevölkerung, an jedermann, an Muslime aller Art und auch an Andersgläubige, gerade als Plattform für einen Dialog sich angeboten, wurde immer so in Form und Inhalt auch dargestellt, und wir haben alle diese Hoffnung natürlich damit verbunden, dass das dann auch in einem feierlichen Akt eröffnet wird, einmal sicherlich mit geladenen Gästen - die Kapazität gibt da nicht mehr her zunächst einmal -, aber dann konnte man an einem Wochenende zum Beispiel auch einen Tag der offenen Moschee danach machen und ein bisschen Volksfestcharakter dabei, wobei wir auch unsere Kölner Beiträge bereit waren einzubringen.
May: Und jetzt ist es tatsächlich nur so, Sie haben es schon angesprochen, dass es vor allen Dingen nur zu Beeinträchtigung für einen großen Teil der Kölner Bevölkerung kommt, sozusagen als einziger an der Beteiligung. Hätte man das Ganze nicht möglicherweise sogar verbieten müssen?
Schramma: Das obliegt ja nicht der Stadt. Sie wissen, dass wir in einer solchen Situation auch nach Gesetz und Recht gehen müssen. Wir sind Gott sei Dank in einem Staat, in dem man auch so etwas aushalten muss. Da bin ich froh drum, dass ich hier lebe und diese Freiheit genießen kann. Das ist ja nicht überall so. Erdogan hat ja selbst - das habe ich gestern Abend spät noch in den Nachrichten gehört - auch von zwei unterschiedlichen Auffassungen eines Rechtssystems in einem Staat gesprochen, wir machen unsere Rechtspolitik, ihr macht eure, so nach dem Motto. Das sind natürlich ganz schwierige Voraussetzungen, zum Beispiel für Gespräche, wenn es darum geht, irgendwann einmal Mitglied einer EU zu werden oder so.
Nun sind wir aber in der EU leider ja selbst im Moment nicht ganz so einig - das habe ich jetzt gerade in Brüssel auch wieder erfahren müssen -, deswegen obliegt es nicht uns, jetzt hier den Oberlehrer zu spielen gegenüber dem türkischen Staat. Dennoch glaube ich, dass es richtig ist, dass Gespräche geführt werden. Das muss nicht mit diesen Staatsehren passieren, das muss nicht auf diesem hohen Niveau passieren, aber wenn Erdogan mit der deutschen Regierung sprechen will, muss das möglich sein, und wenn Erdogan nach Köln kommen will, muss das auch möglich sein. So tolerant ist die Gesellschaft, aber es ist eben nicht alles möglich, und das, was die Ditib ja sich vorgestellt hat, jetzt deutschlandweit alle Ditib-Anhänger und Mitglieder einzuladen, ohne das entsprechend strukturell vorbereitet zu haben, das geht nun mal gar nicht, und da hat ja die OB und unser Ordnungsamt und die Polizei ja gestern Abend wohl auch einen Riegel vorgeschoben.
"Großer Makel durch diesen Akt"
May: Jetzt ist diese Kölner Ditib-Moschee die größte in Deutschland. Immer galt sie lange als Symbol der Integration der türkischstämmigen Menschen in Deutschland beziehungsweise sie sollte als solches gelten. Sie haben sich dafür eingesetzt, haben Sie ja gerade noch mal erklärt.
Schramma: Ja.
May: Kann sie das noch sein oder ist sie schon jetzt ein Symbol verfehlter Integrationspolitik?
Schramma: Sie hat zumindest jetzt einen großen Makel durch diesen Akt, und es liegt an der Ditib und auch an unseren Gesprächen, wenn wir sie denn fortführen, wieder zurückzukommen zu dem, wo wir schon mal standen vor sieben, acht Jahren. Ich sage das ganz offen.
May: Haben Sie noch Hoffnung?
Schramma: Ja, die Hoffnung gebe ich ja am Ende nicht auf. Ich bin deswegen auch vielfach von vielen Kritikern, insbesondere aus der rechten Seite, die ja immer schon dagegen waren, als total naiv bezeichnet worden, aber was bleibt uns anderes übrig, als mit Andersdenkenden zu reden, wenn wir denn zu Lösungen kommen wollen. Ich kann hingehen und sagen, wir reden nicht mehr miteinander. Dann ist die Tür zu, und dann haben wir das, was wir eigentlich nicht wollen, eine parallele Gesellschaft in unserer Stadt, in unserem Land, und das ist das Schlimmste, was wir eigentlich wollen. Dafür steht auch Köln nicht.
May: Kölns ehemaliger Oberbürgermeister Fritz Schramma über den Besuch des türkischen Staatspräsidenten Erdogan heute in Köln und die Eröffnung der Kölner Moschee. Herr Schramma, vielen Dank für das Gespräch!
Schramma: Vielen Dank auch! Schönen Tag auch!
May: Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.