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Ex-Oberbürgermeister Ude über die SPD
"Es ist nicht erkennbar, welche Ziele der Partei wichtig sind"

Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christan Ude (SPD) hat das Verhalten des SPD-Parteivorstands nach dem Ende der Sondierungen für eine Jamaika-Koalition kritisiert. Er beobachte eine gewisse Ratlosigkeit in der SPD, sagte Ude im Dlf. "Zum ersten Mal vermisse ich Selbstbewusstsein."

Christian Ude im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    SPD Mayor of Munich Christian Ude addresses delegates during the Social Democratic Party (SPD) congress in Hamburg 27 October 2007. The Social Democrats, equal partners in Germany's ruling coalition, voted the day before approved a motion calling on the "grand coalition" government to extend the period of time older Germans can receive full jobless benefits
    Der frühere Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) beobachtet Ratlosigkeit in seiner Partei (AFP / John MacDougall)
    Die SPD habe sich viel zu viele Jahre überhaupt nicht politisch verhalten, sagte der frühere Münchner Oberbürgermeister Christan Ude (SPD). "Es ist nicht erkennbar, welche Ziele der Partei wichtig sind". Der Parteivorstand habe zu sehr nach seinen persönlichen Befindlichkeiten gehandelt, wie er sich wohl fühle. Aber es gehe doch darum, was wichtig sei für das Land. Die SPD stehe für alles, "was für das Land gut ist", sagte Ude. Deshalb gelte es, sich alles gründlich anzuschauen.
    Von einer Minderheitsregierung unter Duldung der SPD halte er nichts. Eine Minderheitsregierung bringe neue Unwägbarkeiten. "Warum eine Duldung besser sein soll als eine Koaliton, hat mir keiner erklärt", sagte Ude. Es gehe doch darum, etwas für die Menschen durchzusetzen. "Die Wähler erwarten von uns, dass was umgesetzt wird."

    Tobias Armbrüster: Es war ein stundenlanges Krisentreffen der SPD-Spitze gestern im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD. Einziges Ziel dieser Besprechung: einen Ausweg finden aus der desaströsen Lage, in die sich die Partei begeben hat. Noch immer ist nicht klar, was die SPD eigentlich will: Große Koalition, Minderheitsregierung oder doch Neuwahlen.
    Am Telefon ist jetzt einer, der die SPD seit Jahrzehnten in- und auswendig kennt. Außerdem ein Politiker, der in Sachen Parteistrategie immer ganz vorne mit dabei war. Christian Ude von der SPD, fast 20 Jahre lang Oberbürgermeister in München. Schönen guten Morgen!
    Christian Ude: Guten Morgen! Aber es waren 21 Jahre.
    Armbrüster: Verzeihen Sie bitte. Gut, dass wir das sofort festgestellt haben. – Herr Ude, erkennen Sie denn Ihre Partei in diesen Tagen noch wieder?
    Ude: Wenn ich es ironisch sagen dürfte, dann würde ich sagen, ja. Denn eine gewisse Ratlosigkeit ist immer wieder mal aufgetreten. Aber ich erkenne sie deswegen nicht mehr wieder, weil ich zum ersten Mal tatsächlich Selbstbewusstsein vermisse. Das sind Aufgeregtheiten, die schon irritieren, und es ist nicht mehr erkennbar, welche Ziele der Partei wirklich wichtig sind. Manche erwecken den Eindruck, es komme nur darauf an, welche Rolle man spielen kann, wie wohl man sich bei der politischen Arbeit fühlt, und das hat wenig zu tun mit der Aussage, erst kommt das Land, dann die Partei und zu allerletzt die persönliche Befindlichkeit.
    Armbrüster: Wer ist denn zuständig, wer ist verantwortlich für diesen Kurs?
    Ude: Ich denke, dass der Parteivorstand ganz stark nach persönlichen Befindlichkeiten, wie er es gerne hätte, um sich in der politischen Funktion wohl zu fühlen, gehandelt hat und wenig auf das Verfassungsorgan Bundespräsident geachtet hat, aber auch wenig auf die Bedürfnisse der Wähler, die ja wollen, dass die SPD etwas durchsetzt zu ihren Gunsten, und nicht nur bestimmte Rollen spielt.
    "Hier fehlt es insgesamt am Verantwortungsgefühl"
    Armbrüster: Sie meinen also, der komplette Parteivorstand, nicht etwa nur allein Martin Schulz?
    Ude: Eine Personalisierung auf eine Person ist immer falsch. Das macht man sich gerne leicht. Nein, hier fehlt es insgesamt an dem Verantwortungsgefühl: Wofür sind wir da als politische Partei, was erwarten unsere Wählerinnen und Wähler, das wir für sie durchsetzen, und auch welche Rolle spielt Deutschland zum Beispiel im europäischen Einigungsprozess. Da kann man doch nicht leichtfertig von Neuwahlen sprechen, die monatelang in diesem Zeitfenster die Politik lahmlegen.
    Armbrüster: Wofür plädieren Sie denn, für welchen Kurs?
    Ude: Ich glaube nicht, dass jetzt jeder eine Lösung in die Welt hineinposaunen sollte, denn das würde ja das Bild eines aufgeregten Hühnerhaufens noch verstärken.
    Armbrüster: Na ja. Vielleicht kann die SPD das ja gebrauchen, wenn ihr einer der erfahrenen Politiker möglicherweise aus der Vergangenheit noch mal erklärt, wie das eigentlich ablaufen sollte.
    Ude: Ich glaube, dass die Sozialdemokratie zurzeit auf Bundesebene noch eine wichtige bedeutende Plattform hat. Das ist der sozialdemokratische Bundespräsident mit all seiner Erfahrung. Und dessen Wünsche sollte man nicht vom Tisch wischen, bevor man überhaupt mit ihm gesprochen hat, sondern dessen Wünsche sollte man ernst nehmen. Und man sollte nicht jetzt am laufenden Band erzählen, was man garantiert nicht machen wird. Da muss man ja mit sich selbst in Widerspruch geraten, wie es der SPD jetzt schon am laufenden Band passiert ist. Sondern man sollte sagen, wir stehen für alles zur Verfügung, was für das Land gut ist und was für die soziale Interessenvertretung etwas bringt.
    "Eine Koalition hat schon ihren Sinn"
    Armbrüster: Meinen Sie, könnte das funktionieren, zum Beispiel mit einer Minderheitsregierung?
    Ude: Ich glaube, dass man sich die Möglichkeiten erst gründlich anschauen soll, bevor man sie verkündet. Man hat ja den Eindruck, dass es nur noch darauf ankommt, irgendeine Lösung hinauszuposaunen, bei der man nicht in Widerspruch zu Festlegungen gerät, die man leichtsinnigerweise in den Tagen vorher verkündet hat. Ich meine, eine Koalition hat schon ihren Sinn, und eine Minderheitenregierung bringt neue Unwägbarkeiten. Vor allem wäre die SPD als Dulderin für die Politik mitverantwortlich, die sie in Wahrheit gar nicht mit gestaltet. Wieso das besser sein soll als eine Koalition mit der Union, hat mir noch niemand erklären können.
    Armbrüster: Wie soll die Partei denn so was eigentlich den eigenen Wählern erklären?
    Ude: Sie sollte sich erst mal fragen, was die Wähler wirklich wollen, und nicht nur die Funktionäre. Die Funktionäre sind in der Tat stock sauer auf die Große Koalition, die ja viel Arbeit bedeutet hat und wenig politische Anerkennung für die geleistete Arbeit. Das ist schon wahr. Aber das ist eine Parteisicht. Ich glaube, die Wählerinnen und Wähler, die sehr unterschiedlich sind, wollen mehrheitlich, dass die Verhältnisse verbessert werden, und daran sollte man sich orientieren: Mit welchen Projekten kann man die Verhältnisse verbessern.
    Jetzt sei man gefragt, für die Wähler etwas zu erreichen
    Und wenn es Projekte gibt in der Großen Koalition, die eine sozialdemokratische Programmatik in die Tat umsetzen, dann ist das etwas wert. Aber das kann man doch nur rausfinden, wenn man darüber redet und wenn man auslotet, was man für die Menschen durchsetzen könnte. Ist es unbefriedigend, dann kann man ganz anders daran herangehen, als wenn man sich von vornherein Gesprächen verweigert hat.
    Armbrüster: Jetzt hören wir aus der SPD in den vergangenen Tagen immer wieder das Argument, ja gut, unsere Partei, vor allen Dingen die SPD als Teil der GroKo, die wurde abgewählt bei der letzten Bundestagswahl. Haben Ihre Parteikollegen da völlig Unrecht?
    Ude: Nein. Sie haben vollkommen recht gehabt, dass sie nach der Wahl gesagt haben, ein Wählerauftrag zur Regierung schaut anders aus. Wir waren schon schwach mit 25 Prozent und sind runtergefallen auf 20 Prozent. Wir fühlen uns nicht beauftragt. Offensichtlich will die Wählerschaft eine andere Konstellation. Das war eine richtige, nämlich bescheidene Situation. Es wäre ja furchtbar gewesen, man hätte derart eins auf die Schnauze gekriegt und dann trotzdem gesagt, wir kleben an den Ministerposten. Dieses Verhalten war richtig. Aber man muss doch auch die Tatsache anerkennen, dass die einzige andere Konstellation, die sich ermöglicht, gescheitert ist und dass man jetzt gefragt ist, ob man für die eigenen Wähler etwas erreichen möchte und für die eigene Programmatik und für vor allem das Land oder nicht. Und das hätte der Parteivorstand erkennen müssen, dass es jetzt eine vollkommen andere Situation gibt.
    SPD habe sich jahrelang "überhaupt nicht politisch verhalten"
    Armbrüster: Wenn Sie den Parteivorstand auch immer so genau benennen, Herr Ude, fordern Sie da personelle Konsequenzen? Sollten sich da einige Leute vielleicht Gedanken darüber machen, ob sie weitermachen wollen an dieser Spitze der SPD?
    Ude: Ich glaube nicht, dass es an Einzelpersonen liegt, sondern es ist eine Ratlosigkeit der SPD, die sich viel zu viele Jahre überhaupt nicht politisch verhalten hat und die großen politischen Fragen der Gegenwart zu wenig diskutiert hat. Um Gottes willen jetzt nicht neue Personenfragen in die Debatte werfen, ob man den oder jenen oder diese absägen könnte. Das bringt nicht die Klarheit. Ich glaube, die Verhaltensweisen müssen sich ändern. Wir sind für das Land da und nicht umgekehrt.
    Armbrüster: Christian Ude war das, der SPD-Politiker, 21 Jahre lang Oberbürgermeister in München. Vielen Dank für das Interview heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.