Mit sieben Jahren kam Heinrich Popow aus Kasachstan nach Deutschland, zwei Jahre später wurde ihm wegen eines Tumors das linke Bein bis zum Oberschenkel amputiert. Im Dlf-Interview sagte er, sein größtes Ziel danach sei es gewesen, mit seinen Freunden auf dem Bolzplatz wieder Fußball spielen zu können. "Da war es egal, ob ich ein Bein habe oder zwei. Ich muss so gut Fußball spielen, um in die Mannschaft gewählt zu werden."
Diese Motivation bringe der Sport mit sich und über den Sport habe er gelernt, sich selbst zu akzeptieren und motivieren. "Als ich Para-Sportler geworden bin, war es so, dass ich es geschafft habe, die Grenze meiner Behinderung zu verschieben und somit meinen Alltag zu erleichtern."
"Der Sport war für mich die beste Rehabilitation"
Popow wurde zu einem der weltbesten Para-Athleten, gewann zweimal Paralympisches Gold (2012: 100-Meter-Lauf, 2016: Weitsprung), ist Welt- und Europameister. "Der Sport hat meine Lebensqualität erhöht. Hat meine Selbstliebe, auch meine Leistungsfähigkeit, meine Motivation erhöht", erklärte er im Dlf. "Ich habe vor nichts mehr Angst. Meine Behinderung ist keine Ausrede mehr für Dinge, die im Alltag auf mich zukommen. Der Sport war für mich die beste Rehabilitation, die ich hätte haben können."
Mit dem Verlust eines Körpergliedes wie einem Arm oder Bein verliere man zunächst die Leistungsfähigkeit. "Nur über den Sport kann man sie wieder zurückerlangen. Der Sport gibt einem auch die Selbständigkeit wieder zurück. Und dann kann man auch in der Gesellschaft Dinge bewegen und erreichen und ist nicht immer auf Hilfe angewiesen."
"WeThe15" - aufklären, zusammenführen, Berührungsängste abbauen
Dieses gesellschaftliche Engagement ist Popow immens wichtig. Er ist das deutsche Sportler-Gesicht hinter der globalen Menschenrechtsbewegung "WeThe15". Die neue weltweite Kampagne von und für Menschen mit Behinderungen wird von der UNESCO und anderen Organisationen unterstützt und heißt so, weil 15 Prozent der Gesamtbevölkerung weltweit mit einer Behinderung leben, also 1,2 Milliarden Menschen.
Für Popow ist es dabei wichtig, aufzuklären. "Wir sind immer noch in einer Gesellschaft, wo einem Menschen mit Behinderung leid tun. Und wir als Para-Sportler werden sehr oft auch als Super-Humans dargestellt oder gesehen. Die Kampagne trifft genau die Mitte. Beides kommt zusammen."
Dass bei "WeThe15" erstmals auch die Para-Sportverbände IOC, Special Olympics, Invictus Games und das Internationale Komitee des Gehörlosen-Sports zusammenarbeiten, sieht Popow als ein wichtiges Zeichen, weil man so die Kräfte bündeln könne. "Jede Bewegung hat ihre eigenen Probleme. Aber am Ende des Tages haben wir alle das gleiche Ziel. Und dann macht es Sinn, alle zusammen für ein Ziel zu kämpfen. Wir als Sportler."
"Fehler, im paralympischen Sport von Inklusion zu sprechen"
Als ehemaliger Sportler und ausgebildeter Orthopädietechnik-Mechaniker unterstützt er in Tokio die Athleten mit seinem technischen Wissen und seiner eigenen Para-Sportler-Erfahrung. Er sieht sich selbst als Schnittstelle zwischen Technikern und Athleten.
Die Aussage des Para-Weitspringers Markus Rehm, das IOC hätte eine Chance für Inklusion vertan, in dem es ihm verwehrt hat, auch bei den Olympischen Spielen zu starten, sieht Popow kritisch. Denn es handele sich noch immer um Leistungssport: "Für mich ist der Leistungssport per se exklusiv und nicht inklusiv. Deswegen sehe ich das als einen großen Fehler, im paralympischen Sport über Inklusion zu sprechen. Wir sind Vorbilder für eine abgeschlossene Inklusion. Aber es gibt Normen, die auch für eine Qualifikation bei den Paralympischen Spielen zu erfüllen sind, um dabei zu sein. Deswegen ist das auch nicht inklusiv."
Popow verstehe Rehms Anliegen. "Markus will mit seiner Leistung auch den Leuten aufzeigen, was alles möglich ist. Nur ich sehe die Vergleichbarkeit zwischen den paralympischen Sportlern und den olympischen Sportlern nicht gegeben."
Man könne sich auch an paralympischen Athleten orientieren und sich dadurch motivieren. "Die Pandemie ist zum Beispiel nur ein Beispiel dafür, wie man mit negativen Schicksalsschlägen im Leben umgeht und daraus das Beste macht. Das sieht man bei den Paralympics mehr als bei den Olympischen Spielen. Und deswegen ist die Identifikation mit den paralympischen Athleten etwas nahbarer."