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Ex-Umweltminister
CDU hat "viel Luft nach oben" bei Klimaschutz

Die CDU müsse das Thema Klimaschutz stärker angehen - und zwar "nicht erst aufgestachelt durch einen YouTuber oder Fridays for Future", sagte Ex-Umweltminister Klaus Töpfer im Dlf. Eine von den ökologischen Fragen abgekoppelte Wirtschaftspolitik sei immer schlecht.

Klaus Töpfer im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern |
Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer.
Der frühere Umweltminister Klaus Töpfer. (pa/dpa/Hirschberger)
Der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) sieht bei seiner Partei "viel Luft nach oben" beim Thema Klimaschutz. Eine große Volkspartei müsse "wirklich Farbe bekennen", sagte Töpfer im Deutschlandfunk. Die CDU müsse "nicht erst aufgestachelt durch einen YouTuber oder Friday for Future" an den Klimaschutz rangehen. Eine solche Partei müsse es "in ihren Genen haben, dass wir nicht die Kosten unseres Wohlstands auf kommende Generationen abwälzen". Er hoffe, dass man auch merke: "Da muss mehr getan werden". "Eine von den ökologischen Fragen abgekoppelte Wirtschaftspolitik ist immer eine schlechte."
Lob - und etwas Kritik für Rezo
Zum viel diskutierten Anti-CDU-Video des YouTubers Rezo sagte Töpfer, er begrüße das Anliegen von Menschen, wenn es um das Thema Klimaschutz geht: "Das ist vorbehaltlos zu unterstützen."
Bei der Botschaft müsse man immer daran denken: "Es ist vergleichsweise leicht zu sagen: Ich will was zerstören. Aber damit ist das Thema nicht bewältigt. Da muss dann hinterher auch hinkommen und sagen: Was muss ich denn aufbauen?" Eine Zukunft in 2050 ohne CO2 sei ein "Umbruch", sagte Töpfer. Den müsse man gestalten mit jungen Leuten, "die Verantwortung mit übernehmen wollen".
Den Klimaschutz beschrieb der ehemalige Leiter des UN-Umweltprogramms als globale Aufgabe. "Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir uns klar darüber werden, dass das nicht ein Opfergang ist. Nein, es sind Chancen. Wir gehen in eine Welt mit neun Milliarden Menschen hinein", sagte Töpfer. Er plädierte für Maßnahmen, die "global gelöst werden können". Ein "fantastisches Beispiel" sei die Solarenergie.
Sendedatum des Interviews: Sonntag, 11.05 Uhr.

Das Interview in voller Länge:
Schmidt-Mattern: Willkommen im Deutschlandfunk, Klaus Töpfer. Vorstellen muss man Sie, glaube ich, nicht. Wir tun es trotzdem mit ganz wenigen Stichworten. Sie waren im Kabinett von Helmut Kohl Bundesumweltminister von 1987 bis 1994. Danach ein paar Jahre Bauminister. Sie sind dann nach Afrika gegangen, genauer nach Nairobi. Und sind Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen damals gewesen. Ein Amt, das Sie, glaube ich, mit sehr viel Herzblut ausgefüllt haben. Sie sind bekennender Bahnfahrer und aktuell auch Co-Vorsitzender des Nationalen Begleitgremiums, das mit, glaube ich, einiger Mühe versucht ein Lager für den Atommüll in Deutschland zu finden. Lassen Sie uns vielleicht mit einem Blick in die Vergangenheit anfangen, nämlich das Jahr 1988. Das war zwei Jahre nach dem großen Chemieunglück beim Unternehmen Sandoz, als es 20 Tonnen Gift in den Rhein gespült hat. Und Sie haben zwei Jahre nach diesem Unglück, 1988, ein Zeichen setzen wollen, dass der Rhein wieder sauber sei und sind damals durch Deutschlands größten Fluss gekrault ein Stück weit. Worum ging es Ihnen da damals?
Töpfer: Ich hatte eine andere Wette verloren und bin deswegen da durchgeschwommen. Aber das ist natürlich in der Öffentlichkeit aufgenommen worden als Beleg dafür, dass der Rhein zumindest wieder beschwimmbar sei. Ich würde den jungen Zuhörern nicht empfehlen, so was zu machen. Es ist immer schlecht, wenn man wichtige, bedeutsame politische Aufgaben und gesellschaftliche Aufgaben reduziert auf einen Act, auf eine Darstellung, die möglicherweise viele erreicht, aber eher das Nachdenken darüber, was ein Politiker zu tun hat, vergisst. Deswegen war es für mich dann hinterher doch ein sehr großer Ansporn, zu belegen, dass man das auch seriös machen kann und machen muss. Und ich gehe davon aus, die Qualität des Rheinwassers ist wesentlich besser geworden als sie damals war. Sie hat mir damals – hoffe ich jedenfalls – weder körperlich noch geistig geschadet. Aber man soll es nicht machen. Mach Politik in der Seriosität, versuche Menschen darüber zu informieren und sie mitzunehmen. Das ist wichtig.
"Die Zukunft ist täglich mit am Tisch"
Schmidt-Mattern: Nun war das damals schon sehr, sehr ungewöhnlich. Das war ja lange, bevor wir so ein Medienzeitalter hatten wie das, in dem wir jetzt leben. Das Internet war noch nicht so breit in der Öffentlichkeit verankert. Heute, gerade in diesen Tagen haben wir gesehen, wie ein Video, das im Internet auf YouTube erschienen ist, wieder sehr, sehr viel Aufsehen erregt. Es geht da um Ihre Partei, die CDU, und um einen jungen Youtuber, blaue Haare hat er und heißt Rezo. Und er hat dieses knapp einstündige Video genannt: "Die Zerstörung der CDU". Da geht es unter anderem ja auch um den Klimaschutz. Ich weiß nicht, ob Sie dieses Video in Ausschnitten gesehen haben. Wenn Sie sagen, man muss vorsichtig sein mit allzu plakativen Kampagnen, wie beurteilen Sie dieses Anliegen der jungen Leute?
Töpfer: Also, zunächst mal ist es nicht ein Anliegen von jungen Leuten. Es ist ein Anliegen von allen Menschen und deswegen auch der jungen Leute, denn das geht in die Zukunft mit hinein. Ich bin Vater von drei Kindern und von vier Enkelkindern. Also, die Zukunft ist auch bei einem Alten durchaus täglich mit am Tisch. Insofern ist das gut und richtig. Ich freue mich auch, wenn mein Nachwuchs sich damit beschäftigt, was er tut. Das heißt also, das ist vorbehaltlos zu unterstützen, zu begrüßen. Dass junge Menschen andere Formen haben, als wir sie damals hatten, ist auch nicht überraschend. Wenn ich heute eine Mail von meiner Enkeltochter bekomme, kann ich sie kaum lesen, weil sie gänzlich andere Abkürzungen und eine ganz andere Symbolik hat. Auch das ist gut und richtig. Halte ich auch für richtig. Bei der Botschaft muss man immer daran denken: Es ist vergleichsweise leicht zu sagen, ich will was zerstören. Aber damit ist das Thema nicht bewältigt. Da muss man dann auch hinterher mal hinkommen und sagen: Was muss ich denn aufbauen? Und was bin ich denn davon der Betroffene? Das sind die Fragen, die mich immer und immer wieder etwas, na ja, weniger befriedigt lassen, weil wir doch eher darüber nachdenken, was falsch ist als was wir jetzt als Richtiges auch mit Konsequenzen für unser Leben, für unseren Ablauf für Zukunft mitgestalten müssen. Eine Zukunft in 2050 ohne CO2 ist eine, die wirklich einen Umbruch darstellt und den müssen wir gestalten. Und dafür brauchen wir Jugendliche. Dafür brauchen wir Leute, die dann wiederum verantwortlich sind und diese Verantwortung mit übernehmen wollen.
"Ein Thema, das wir nicht verschieben können"
Schmidt-Mattern: Nun gibt es aber ja Teile in der Politik, die von diesen jungen Leuten sprechen und auch dann sagen, man solle doch das Thema Klimaschutz lieber den Profis überlassen. So hat es sinngemäß Christian Lindner von der FDP formuliert. Ist es nach Ihrem Eindruck so, dass die politische Klasse in Berlin die Anliegen der Zivilgesellschaft, gerade der Jugend, aber insgesamt der Zivilgesellschaft ernst genug nimmt beim Klimaschutz?
Töpfer: Auch hier würde ich wieder sagen, das ist eine Anforderung an Politik insgesamt. Sie werden sich erinnern, es war gar nicht lange her, da gab es die große, große Information über das Artensterben. Auch dort sind wir eigentlich darauf aufmerksam gemacht worden und angetrieben worden – wenn ich "wir" sage, meine ich auch Politik, sind Politiker – mir ist lieber, wenn man Menschen nennt, als wenn man Institutionen nennt – na ja, deutlich aufgerüttelt worden. Sie haben gesehen, dass auf einmal in Bayern ein Volksbegehren zum Bienensterben, für den Insektenschutz eine deutliche Zahl von Bürgerinnen und Bürgern hinter sich gebracht hat. Alles das hat Politik verändert. Also, ja, auch und gerade im Klimaschutz, aber es gibt viele weitere Dinge, die wir nicht einfach wegdrücken können. Dass die auch miteinander verbunden sind, darf nicht übersehen werden. Wenn Arten sterben, ist es meistens ein Hinweis, dass wir eine andere Nutzung der Böden haben, dass wir nicht genug CO2-Aufnahmeflächen haben. Wie man weiß, der Wald speichert CO2 und alle Biomasse, die heranwächst, speichert CO2. Also, sind da Übergänge sehr deutlich da. Und wo wir zu stark düngen, wo wir umbrechen, wenn wir große Schläge machen, da werden wir sehen, dass auf einmal diese Möglichkeit sich auch klimabezogen absetzt. Also, denken wir es in den Zusammenhängen. Nur da ist es ganz sicherlich richtig, dass aus den verschiedenen Interessenlagen heraus Politik immer wieder und die Politiker immer und immer wieder, auf kommunaler, auf Landesebene, auf Bundesebene, Europaebene – wir stehen unmittelbar vor der Europawahl – drangehen müssen und sagen: Das ist ein Thema, das wir nicht verschieben können, sondern was wir jetzt entscheiden müssen.
"Solarenergie ist das Wichtigste, was Deutschland für den Klimaschutz getan hat"
Schmidt-Mattern: Nun sagen ja nicht nur, aber gerade auch die jungen Leute, das Problem an sich ist eigentlich bekannt. Wir müssen das Klima stärker schützen. Wir müssen etwas gegen das Artensterben tun. Wir müssen unseren Verkehr einschränken. Wir müssen eigentlich unsere ganze Lebensweise umstellen, wenn wir wirklich damit etwas erreichen wollen, das Klima zu schützen. Mit anderen Worten: Es gibt ja so gesehen kein Erkenntnisproblem, auch kein Analyseproblem, sondern ein Handlungsproblem.
Töpfer: Ulrich Beck, der große Soziologe, der leider viel zu früh verstorben ist, hat mal gesagt: Wenn wir verantwortlich sind, ist das kollektive Verantwortungslosigkeit. Ich möchte es gerne lokalisierter. Ich möchte gerne sagen: wer. Und wer wirkt da mit? Und ich würde es auch sehr begrüßen – ich, Töpfer, würde es sehr begrüßen, wenn wir uns klar darüber werden, dass das nicht ein Opfergang ist. Das hört sich immer so an, als wäre dann hinterher die Mauer nur noch grau. Nein. Es sind Chancen. Es sind großartige Chancen. Wir gehen in eine Welt mit neun Milliarden Menschen hinein. Wir sind 80 Millionen. China ist 18 Mal so groß wie Deutschland – bevölkerungsmäßig. Also, müssen wir doch in unseren Maßnahmen die Dinge machen, die nicht nur bei uns eine Wirkung haben, sondern die wirklich global genutzt werden können. Fantastisches Beispiel ist die Solarenergie. Sie ist das Wichtigste, was Deutschland bisher für den Klimaschutz getan hat, dass wir alle, Sie und ich und alle anderen, die Strom verbrauchen, deutlich höhere Preise bezahlt haben, weil dadurch die Solarenergie gefördert und in großer Masse hergestellt werden konnte. Das heißt, die Kostenkurve bei Solar ist massiv runtergegangen. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hat dazu beigetragen, dass wir mit viel, viel Geld der Konsumenten von Strom es jetzt erreicht haben, dass es nicht mehr einen Euro kostet, sondern dass es vielleicht fünf Cent kostet und weniger und damit auch möglich wird, dass wir in Afrika das nutzen, dass wir überall woanders das nutzen. Denn merke: Klima ist nicht ein nationales Thema, sondern es ist ein globales Thema. Egal, wo wir eine Tonne CO2 emittieren, Sie haben dieselben Klimawirkungen. Und deswegen ist diese Frage zentral. Sie werden es nicht überraschend finden. Ich habe acht Jahre lang in Afrika gelebt. Ich weiß, dass dort das Durchschnittseinkommen pro Kopf bei etwa 1.000, 1.200 Euro liegt. Bei uns liegt es bei etwa knapp 50.000. Das müssen Sie mal sehen. Und da sehen Sie auch, dass damit die CO2-Emissionen gänzlich andere sind. Aber wir brauchen dort wirtschaftliche Entwicklung. Wenn die nicht kommt, werden die Menschen fragen: Wo kann man sich weiter ein menschenwürdiges Leben vorstellen? Also: Ja, wir müssen – wir, die Politik, jeder Einzelne, jedes Wirtschaftsunternehmen ist verpflichtet, sich klarzumachen, dass CO2 oder CO2-Äquivalente eine Klimawirkung haben. Sie müssen handeln, aber nicht nur runter zu zurren auf die Frage: Aber wir haben dann eine Steuer und dann ist die Sache ausgestanden. Sie ist nicht ausgestanden.
"Wir haben damals gemeint, Kernenergie wäre sehr preiswert"
Schmidt-Mattern: Da würde ich gern mal auf die Bundeskanzlerin zu sprechen kommen. Angela Merkel wurde mal genannt: die Klimakanzlerin. Können Sie der These etwas abgewinnen, dass Angela Merkel jetzt vielleicht zum absehbaren Ende ihrer Kanzlerschaft, also bis zum Jahr 2021, dass sie diesen Ruf noch einmal neu belebt als Klimakanzlerin?
Töpfer: Wissen Sie, ich bin sehr davon … und bin hoffnungsfroh, dass jemand, der aus einem Amt ausscheidet, damit auch eine Verantwortung in die Zeit danach mitnimmt. Das ist, glaube ich, auch in der Erwartung vieler Menschen. Und das werden wir brauchen. Und das gilt sicherlich für Angela Merkel, aber es gilt für andere, die ausscheiden, auch. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich bin jetzt 81 Jahre alt – na, nicht ganz, zwei Monate fehlen noch, aber immerhin, sagen Sie 80. Ich bin noch nicht auf die Idee gekommen zu sagen, ich habe deswegen nichts mehr dazu zu sagen, weil ich kein Amt als Umweltminister mehr habe oder nicht mehr für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen zuständig bin. Nein, gerade jetzt geht man eben hin und sagt: Pass mal auf, eigentlich sind jetzt die Probleme zu bewältigen, die vorhergegangenes Wachstum ausgelöst haben. Wir haben damals gemeint, Kernenergie wäre sehr preiswert. Jetzt haben wir die Abfälle da. Und wo gehen wir damit hin? Wir haben jetzt über die Parteien hinaus im Deutschen Bundestag ein neues Gesetz dafür gefunden. Das ist gut und richtig so. Das, was ich mit zu leiten die Freude und Ehre habe, dieses "Nationale Begleitgremium für die Entsorgung hochradioaktiver Abfallstoffe" ist ein Versuch, die Bevölkerung mit einzubinden. Wir haben unabhängige Bürger da drin, die durch Zufall ausgewählt worden sind und die man wirklich ernster nehmen sollte als man es im Augenblick in diesem Gremium leider Gottes auch von der Verbindung zum Parlament und zur Politik erfährt. Alles dies verpflichtet, nicht zu sagen: Jetzt geht die Tür des Amtes zu und deswegen ist das für mich nicht mehr relevant, sondern gerade, weil die Tür des Amtes zugeht, muss man die Tür zum persönlichen Mitwirken weit aufmachen. Und, glauben Sie es mir, man kann es sogar besser, als wenn man im Amt ist. Die Rücksichtnahmen werden hoffentlich etwas geringer.
"Die Kosten unseres Wohlstands nicht auf kommende Generationen abwälzen"
Schmidt-Mattern: Haben Sie in letzter Zeit mal mit Angela Merkel über das Thema Klimaschutz gesprochen?
Töpfer: Wir sind im Augenblick ja in einer etwas, wenn Sie so wollen, Übergangsphase. Wenn Sie mich gefragt hätten, ob ich …
Schmidt-Mattern: Sie meinen parteipolitisch.
Töpfer: … ob ich mit der neuen Parteivorsitzenden gesprochen habe, da kann ich mit großer Freude sagen: Ja.
Schmidt-Mattern: Annegret Kramp-Karrenbauer.
Töpfer: Mit Annegret Kramp-Karrenbauer, die ich persönlich noch aus dem Saarland gut kenne, die mal meine Nachfolgerin als Mitglied des Deutschen Bundestags wurde, als ich nach Afrika ging. Da gibt es natürlich noch immer persönliche Verbindungen. Und, dass wir darüber gesprochen haben, wie muss denn auch eine große Volkspartei wirklich Farbe bekennen, wie muss man da rangehen und nicht erst aufgestachelt durch einen Youtuber oder durch Fridays for Future, sondern aus der Überlegung heraus, dass eine solche Partei – wie viele andere auch – es in ihren Genen haben muss, dass wir nicht die Kosten unseres Wohlstands auf kommende Generationen abwälzen.
Schmidt-Mattern: Haben Sie denn das Gefühl, dass genau diese Einsicht in Ihrer Partei bisher wirklich angekommen ist?
Töpfer: Da ist viel Luft nach oben. Da ist viel Luft nach oben, und ich hoffe, dass man auch merkt, noch stärker merkt, dass wirtschaftliche Perspektive immer infrage gestellt wird, wenn wir die dafür erforderlichen Leistungen von Natur, von Schöpfung nicht mitdenken und sie nicht auch mit einer wirklich überzeugenden politischen Perspektive verfolgen. Da muss mehr getan werden. Eine von den ökologischen Fragen abgekoppelte Wirtschaftspolitik ist immer eine schlechte.
Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Heute zu Gast Klaus Töpfer, ehemals Umweltminister in Deutschland, ein großer Kämpfer für den Umwelt- und Natur- und für den Klimaschutz. Herr Töpfer, wir haben uns als Deutsche mehrere Ziele gesetzt bzw. die jeweiligen Bundesregierungen, wie wir unseren CO2-Ausstoß reduzieren wollen. Wir haben unser Ziel für das Jahr 2020, also nächstes Jahr, das steht schon fest, dass wir es nicht erreichen werden. Dann gibt es neue Ziele für das Jahr 2030, für das Jahr 2050. Sie haben kürzlich von einem, Zitat, "Fetisch der Zielsetzung" gesprochen. Das verstehe ich durchaus kritisch. Das heißt, wir sollten weniger immer nur neue Ziele benennen, sondern erst mal das, was jetzt ansteht, umsetzen?
Töpfer: Genauso ist es. Es ist ja nicht eine Marotte von mir. Sehen Sie, wenn Sie fünfmal hintereinander gesagt haben, das Ziel erreichen wir, und wenn sie näher drankommen, sagen, wir haben es doch nicht erreicht, werden Sie sehen, dass die Menschen die Politik nicht mehr ernstnehmen, die solche Ziele setzt. Und die von daher gesehen selbst sich diese Ziele vornimmt und sie – wie wir es sehen – durch Proteste, durch sehr, sehr engagiertes Handeln, in die Wege zu setzen sich bemüht.
"Fragt mal, wie viel Mikroplastik in Zahnpasta ist"
Schmidt-Mattern: Und es gibt zugleich Rechtspopulisten, die versuchen, diese Stimmungslage auszunutzen und dann sagen, zum Beispiel einen menschengemachten Klimawandel, den gäbe es ja gar nicht.
Töpfer: Das ist die Erkenntnis, die man immer haben muss. Wir haben in der Wissenschaft nie Wahrheit, sondern bisher nicht widerlegte Erkenntnisse. Natürlich müssen wir uns immer und immer wieder fragen. Nur, auch das haben wir schon bei der Rio-Konferenz, die Rio Principles, wie sie hießen, gesagt. Das Vorsorgeprinzip – Nummer 15 dieser Rio Principles, wer es nachlesen will – da steht eben drin: Ein Mangel an voller wissenschaftlicher Erkenntnis darf nicht zum Alibi missbraucht werden, nicht zu handeln. Nehmen Sie ein anderes Beispiel. Wir reden alle über Plastik, und zwar zu Recht. Es ist eine Katastrophe. Aber wir sehen im Augenblick, dass wir jetzt schon Mikroplastik haben. Und diese Partikel kriegen wir zum Beispiel sehr, sehr schwer nur aus dem Abwasser heraus. Es kommt von daher gesehen eine ganz andere Aufgabe zu. Wenn man sagt, aber indem ich den Becher verbiete, habe ich das bewältigt, nein, ich habe einen Beitrag dazu geleistet und muss nur sagen: Seht, den Becher habt Ihr immer in der Hand, denkt auch bei anderem darüber nach und fragt mal, wie viel Mikropartikel in Zahnpasta oder in sonst was drin ist. Denn das endet hinterher in Eurem Abwasser. Und da musst du Dich fragen, ob unsere Kläranlagen das noch bewältigen können. Sie können es halt nicht oder nicht richtig.
"Ein Wolf hat einen Anspruch an ein Ökosystem"
Schmidt-Mattern: Wir haben jetzt viel über den Klimaschutz gesprochen, auch über den Umweltschutz. Dazu gehört natürlich auch der Schutz von Tieren. Und eine Entscheidung der Bundesregierung, die diese Woche viel Aufmerksamkeit erregt hat, auch Kritik ausgelöst hat, ist, dass das Abschießen von Wölfen in bestimmten Teilen Deutschlands erleichtert werden soll. Ist das aus Ihrer Sicht eine richtige Entscheidung?
Töpfer: Das ist ein wirklich sehr, sehr schwierige und eigentlich auch nicht mit einem Satz zu beantwortende … wir müssen: Ein Wolf hat einen Anspruch an ein Ökosystem, das aber eigentlich nicht mehr so da ist. Wir kriegen also eine Art zurück, die in anderer Umgebung ohne jeden Zweifel eine großartige Bereicherung von Natur gewesen ist und dringlich notwendig war. Also, müssen wir sehen, wie wir diese beiden Bereiche hier zusammenführen. Wenn eine neue Art da ist, die keine natürlichen Feinde mehr hat, denn die sind eben nicht mehr da, dann muss man sehen: Ist das unregelbar machbar oder nicht? Ich glaube, diese schwierige Entscheidung wird nicht dazu führen, dass wir keine Wölfe mehr haben, sondern dass wir deutlich machen können: Es kann auch eine Überpopulation kommen, die daraus entsteht, dass eben diese sonst vorhandenen natürlichen Feinde, die gesamte Ökosystemkette nicht mehr so da ist. Und ich glaube, dann ist es sinnvoll, auch mal darüber nachzudenken, welche Aufgaben der Mensch, der ja dafür verantwortlich ist, dass der Wolf jetzt wieder da ist … der ist ja nicht von der Natur da hingebracht worden, sondern er ist eben ermöglicht worden durch menschliches Handeln, wie wir dieses ergänzen können. Ich bin ein großer Verfechter der Überlegung zum Anthropozän, zur nicht mehr Natur, nicht mehr im Holozän zu sein, sondern in einer Menschenzeit. Und, wenn Sie sich das mal durchsehen, was ist denn Natur bei uns oder was ist das, was der Mensch gerade jetzt zulässt, dann werden Sie sehen, dass das eine spannende Frage ist. Paul Crutzen ist nicht zu Unrecht Nobelpreisträger, der auf diesen Zusammenhang deutlich hingewiesen hat.
Schmidt-Mattern: Also, der Vater des Anthropozäns, genau.
Töpfer: Ja. Eine Frage, die heute die Welt wirklich im wissenschaftlichen Bereich umtreibt.
Schmidt-Mattern: Wenn wir beim Thema "menschengemacht" noch mal einen Moment bleiben, dann sollten wir auch noch in der Schlusskurve unseres Interviews auf das Thema Endlagersuche kommen, in der Atommülllagersuche. Sie sind Co-Vorsitzender des Nationalen Begleitgremiums, das ja sozusagen zum Ziel hat, das Standortauswahlgesetz – ein etwas sperriger Name – das die Bundesregierung vor einigen Jahren verabschiedet hat, dass Sie im Grunde konkret dabei helfen sollen: Wie finden wir jetzt ein Lager, wo wir unseren eigenen Atommüll endgültig lagern können? Endgültig heißt in diesem Fall, dass dieses Lager bis zu eine Millionen Jahre halten soll. Das liegt eigentlich jenseits all unserer Vorstellungskraft. Wie geht dieses Verfahren voran? Sind Sie optimistisch, dass bis 2031, so die Zielmarke, dass wir bis dahin ein Endlager haben?
Töpfer: Ich glaube, Optimismus ist ein schwieriges Wort dabei. Realistisch wäre besser. Ich bin nicht pessimistisch. Deswegen, wir können auch nicht pessimistisch sein. Wir haben diesen Müll. Wir haben parlamentarisch beschlossen, dass die Entsorgung in Deutschland stattfindet. Es gibt ja viele, die meinen, das könne man doch besser exportieren. Da gäbe es doch die Wüste Gobi und anderes. Insofern kann man realistisch sagen: Da gibt es sicherlich mehr als nur eine unbegründete Hoffnung. Die drei Parteien, CDU, SPD und Grüne zusammen haben nach einem sehr, sehr ernsthaften wissenschaftlichen Verfahren, einem großen zweijährigen Diskussionsprozess dieses Gesetz zuwege gebracht. Und das neue Teil da drin ist eben dieses Gremium, was mitzuleiten ich die Ehre habe.
"Das Gesetz ist auch von der CSU akzeptiert worden"
Schmidt-Mattern: Und, dass Bayern nun einfach sagt, wir nehmen uns aber selber von der sogenannten weißen Landkarte, wir sind gar nicht geeignet für so ein Atommüllendlager, können Sie damit leben?
Töpfer: Nein, da kann man nicht mit leben. Denn dass in der Koalitionsvereinbarung steht: Wir wollen unsere Heimat auch für kommende Generationen attraktiv halten und deswegen kein Endlager, das wird jeder andere genauso sagen. Und dann haben wir keine weiße Landkarte, dann haben wir überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, auch nur nachzudenken darüber. Also, ich wäre sehr daran interessiert, deutlich zu machen: Diese Gemeinsamkeit, das Gesetz ist auch von der CSU im Deutschen Bundestag mit akzeptiert worden, dass eine Weiße Landkarte da ist, also jeder zu untersuchen ist, dass dieses eingehalten wird. Denn entscheidend ist: In dem Bereich ist so viel Vertrauen, so viel Glaubwürdigkeit verlorengegangen, und das kannst du nicht nur mit geologischen Fakten wieder herholen. Und dann musst du auch die Glaubwürdigkeit in Personen in dem Prozess haben. Und daran wirklich zu arbeiten, ist weit mehr als nur Naturwissenschaft – so wichtig auch diese ist. Und ich kann das … ja, mit einer gewissen Demut muss ich das ja sagen, denn ich war auch Minister, als wir Kernenergie nutzten. Und Sie können sich vorstellen, dass man dort doch sehr, sehr auch über sich nachdenkt, wie sich solche Veränderungen ergeben. Ich habe bisher noch keine Kritik daran gehört, dass ich das …
"Die Zwischenlager haben begrenzte Laufzeiten"
Schmidt-Mattern: Sie waren ja damals schon ein Kritiker der Atomenergie.
Töpfer: Ja, dass ich das mache. Aber ich habe mir das nicht leicht gemacht. Und wissen Sie, wenn Sie an so ein Thema herangehen, das Perspektiven hat, die wirklich lang sind, eine Million am Ende, aber die Entscheidungsprozesse. Die Zwischenlager sind da. Die Zwischenlager haben begrenzte Laufzeiten. Die Bürgerinnen und Bürger der Zwischenlagerstandorte erwarten, dass das Endlager gemacht wird. Gehen Sie mal nach Ahaus. Gehen Sie mal an andere solche Zwischenlagerstandorte. Dann werden Sie das sehen. Und wir brauchen gerade dafür wieder Glaubwürdigkeit. Wer nie einen Fehler gemacht hat, hat auch nie gelernt. Und ich möchte doch wirklich für mich in Anspruch nehmen, dass ich gelernt habe, also auch mal Fehler gemacht habe. Dies ist so was von menschlich und so was von richtig, dass jeder, der sich darüber selbst mal in seinem Leben Gedanken macht, natürlich immer wieder versucht, seinen Ausweg aus diesem Bereich zu finden. Gilt dann auch wieder für mich. Aber es ist schon notwendig, das an den Anfang mit zu stellen. Deswegen ist es gut und richtig, dass wir durch Zufall ermittelte Bürgerinnen und Bürger haben, auch Vertreter der jungen Generation. Und ich erwarte einfach von der Politik, in diesem Fall vom Deutschen Bundestag, wir sind ja vom Bundestag gewählt dahin, dass das, was im Gesetz steht, auch mit der Besetzung dieses Gremiums jetzt eingehalten wird und ernstgenommen wird. Denn, wenn das, was man selbst gemacht hat, hinterher nicht ernstgenommen wird, dann ist ja nicht nur das Ernstnehmen an dieser Stelle infrage gestellt, sondern insgesamt für den Prozess. Das sollten wir uns nicht antun.
Schmidt-Mattern: Also viel Realismus und ein Appell. Klaus Töpfer, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
Töpfer: Danke Ihnen sehr herzlich, dass Sie mich eingeladen haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.