Tobias Armbrüster: Europa steht an einem Scheideweg. Entweder die EU wird zu einem ernsthaften außenpolitischen, auch militärischen Player, oder sie ist zum Untergang verdammt. Zu dieser Schlussfolgerung könnte jeder kommen, der am Wochenende die Münchner Sicherheitskonferenz verfolgt hat. Überall auf der Welt steuern die Großmächte Russland, China und USA auf neue Konflikte zu: In Syrien etwa -
wir haben es gerade gehört
-, oder auch in Nordkorea. Und die Europäer stehen am Rande und drohen, selbst unter die Räder zu kommen.
Das sind düstere Aussichten, über die wir gerne etwas genauer sprechen wollen. Am Telefon ist John Kornblum, der ehemalige US-Botschafter in Deutschland. Schönen guten Morgen.
John Kornblum: Guten Morgen.
Armbrüster: Herr Kornblum, stehen wir am Beginn eines neuen kriegerischen Zeitalters?
Kornblum: Nein, das würde ich nicht sagen. Die Krisen, die Sie beschrieben haben, die auch heute Morgen in der deutschen Presse beschrieben sind, sind welche, die lange da gewesen sind. Ich glaube, was neu ist, ist, dass die Europäer allmählich entdeckt haben, dass es diese Krisen gibt. Man hat in einer Phase der schönen Abwesenheit gelebt und jetzt auf einmal sieht man, dass es doch kriselt auf der Welt. Aber diese Krisen sind nicht unbedingt die klassischen militärischen Krisen. Diese Krisen sind eher ein Zeichen der großen Umwälzungen, die jetzt in der Welt passieren, und die muss man richtig angehen, nicht zu sagen, die Welt kriselt, sondern welches sind die Möglichkeiten und die Chancen, aus dieser neuen Lage zu gewinnen.
"Führende Beamte sind demonstrativ gekommen"
Armbrüster: Aber da wiegt es umso schwerer, dass die Amerikaner keine verlässlichen Partner mehr sind.
Kornblum: Ja das stimmt auch nicht. Das ist auch eine Sache, die man gerne in Europa sagt. Das Hauptereignis der Sicherheitskonferenz, die in der deutschen Presse, soviel ich das heute Morgen lesen kann, völlig vernachlässigt worden ist, ist, dass die drei führenden Beamten, Politiker von Donald Trump, Verteidigungsminister, Sicherheitsberater und CIA-Chef, demonstrativ gekommen sind und dass der Sicherheitsberater demonstrativ gesagt hat, mehr oder weniger: Hört nicht zu, was Trump sagt, vor allem, was er twittert, sondern schaut, was wir machen. Wir sind verlässliche Partner und wir werden so bleiben.
Das hat man irgendwie nicht hören wollen, weil die Konferenz dieses Mal eine rein deutsche Angelegenheit war. Aber diese Aussage und diese Präsenz dieser Menschen war für mich bisweilen das wichtigste Ereignis der Konferenz.
"Die Türkei als Türkei betrachten und nicht als Erdogan"
Armbrüster: Aber können Sie denn deutsche Politiker verstehen, die sagen, wir wissen nicht mehr genau, was da im Weißen Haus eigentlich passiert, wir kommen bei den ganzen Tweets nicht mehr mit. Ich meine, US-Präsident Trump - das lesen wir auch heute Morgen - hat inzwischen seinen außenpolitischen Berater zurückgepfiffen, der sich ja über die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Russland-Connection geäußert hat.
Kornblum: Ja!
Armbrüster: So besonders berechenbar erscheinen die USA, erscheint das Weiße Haus da gerade nicht.
Kornblum: Das Weiße Haus nicht, aber die USA doch. Das ist genau. Man muss erwachsen sein und nicht sagen igitt, igitt, igitt, diesem Präsidenten können wir nicht vertrauen, und hart und energisch mit den Gruppen zusammenarbeiten, wo man auf Vertrauen setzen kann, und muss eine gemeinsame Politik bauen auf der Basis der Gegebenheiten. So ist die Politik. Die Politik ist nicht eine Wunschvorstellung.
Armbrüster: Herr Kornblum, entschuldigen Sie, wenn ich da die Parallele ziehe, aber das klingt fast ein wenig wie die Empfehlung für den Umgang mit der Türkei in diesen Tagen nach dem Motto, Leute, achtet nicht unbedingt darauf, was der Präsident in Ankara sagt, sondern beschäftigt euch eher mit den Gruppen, die das Land voranbringen können. Ist der Vergleich angebracht?
Kornblum: Ja und nein. Ich meine, es gibt immer konkrete Krisen, konkrete Probleme. In der Türkei gibt es richtige konkrete Schwierigkeiten, die man auch durch den Präsidenten bearbeiten muss. Aber im Grunde ist die Empfehlung richtig. Die Türkei ist ein sehr, sehr wichtiges Land und man muss die Türkei als Türkei betrachten und nicht unbedingt immer als Erdogan. Aber Erdogan herum geht es nicht.
In Amerika ist es ein bisschen anders. Trump wird ständig isoliert. Seine Politik wird kaum beachtet. Er ist immer noch der Präsident, man muss ihn natürlich ernst nehmen, sehr ernst nehmen sogar, aber zur gleichen Zeit gibt es natürlich Möglichkeiten, eine konkrete Politik zu machen, und die Präsenz und die demonstrative Präsenz dieser drei Beamten über das Wochenende in München haben gezeigt, dass sie bereit sind, mit den Partnern zusammenzuarbeiten.
"Die Deutschen sehen die Welt immer gern als eine Krise"
Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, Herr Kornblum, dass einige Leute jetzt sagen, vielleicht sieht der liebe Herr Kornblum nicht ganz genau, was sich in seinem Land tut, dass sich nämlich dieses liberale Amerika, das wir lange geschätzt haben, dass sich das langsam verabschiedet und dass das Land einen politischen und stimmungsmäßigen Umschwung erlebt.
Kornblum: Ja, das kann man sagen. Aber das stimmt natürlich auch nicht. Ich meine, die Tatsache ist, und ich glaube, das ist das Problem, wenn ich das sagen darf, das ich über 40 Jahre immer wieder in Deutschland diskutieren muss: Der Unterschied zwischen Unklarheiten bei Herausforderungen und Wandel - und Krisen. Die Deutschen sehen die Welt immer gern als eine Krise und ich und die meisten Amerikaner sehen die Welt immer als eine Herausforderung.
Unser Land macht eine riesen Umstellung jetzt durch: demographisch, altersmäßig, technologisch, geographisch, alles. Und dass es nicht mehr so klar ist, dass die guten alten Zeiten der 50er-, 60er-, 70er-Jahre oder 80er-Jahre nicht mehr da sind, ist klar. Aber das Land macht keinen großen Umschwung. Es gibt nur einen Kampf im Land über die Zukunft, und es ist sehr wichtig, dass Europäer die Inhalte dieses Kampfes verstehen und nicht nur sagen, jetzt ist Amerika verschwunden. Das ist eigentlich für Europa selbstzerstörerisch, wenn man so denkt.
"Nicht unbedingt jetzt eine Gefahr eines Weltkrieges da"
Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal kurz auf zwei Krisen gucken, die von diesem Ganzen betroffen sein könnten. Da sehen wir zum einen das Säbelrasseln in Nordkorea. Das geht jetzt schon etwas länger. Und dann haben wir jetzt in Syrien auf einmal eine Lage, in der die USA und Russland jederzeit militärisch aufeinander treffen könnten. Ist das nicht deutlich mehr als eine Krise?
Kornblum: Syrien ist seit acht Jahren eine Krise und weder die Vereinigten Staaten, noch Russland haben sich da mit Lorbeeren geschmückt. Das ist tatsächlich eine Krise, die man nicht gut gehandhabt hat. Ich glaube nicht, dass es da zu einer direkten Auseinandersetzung kommt, weil beide Seiten wissen, dass sie das sich nicht leisten können.
Die Lage in Nordkorea - das geht rauf und runter. Zuerst sah es so aus, als ob Nordkorea einen Kernwaffenkrieg haben wollte. Zwei Wochen später waren sie auf der Olympiade in Südkorea. Ich glaube, die Leute, die Korea kennen - und ich zähle mich nicht dazu, aber ich versuche zu lesen -, die Leute, die Korea kennen, meinen, das ist immer so ein Auf und Ab, weil das im Grunde der Fundament der Politik in Korea ist. Damit müssen wir dann leben. Aber es ist auch nicht unbedingt jetzt eine Gefahr eines Weltkrieges da.
Armbrüster: Herr Kornblum, dann sagen Sie uns kurz zum Schluss; etwas mehr als eine halbe Minute haben wir noch. Was raten Sie den Europäern? Wie sollen sie sich in dieser Lage verhalten?
Kornblum: Was sie machen müssen ist, ihre Interessen genau definieren. Das sage ich öfters. Im Moment ist Europa eine normative Veranstaltung. Das heißt, wir müssen Europa sein. Europa muss statt einer normativen eine konkrete Veranstaltung mit konkreten Interessen sein. Die hat man noch nicht entwickelt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.