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Ex-Verfassungsrichter: Abfällige Meinungen über das Grundgesetz reichen nicht aus

Eine Partei könne nur dann verboten werden, wenn sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen suche, betont der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm. Darauf komme es an, nicht auf Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit in der NPD.

Dieter Grimm im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Zurückhaltung signalisieren inzwischen nur noch Hessen und das Saarland. Alle anderen Länder aber wollen wohl einen neuen Anlauf in Karlsruhe wagen, um die NPD verbieten zu lassen. Fest wird damit gerechnet, dass sich erst die Innenminister der Länder am Mittwoch darauf einigen werden und danach auch die Ministerpräsidenten bei ihrem Treffen am Donnerstag. Ob ein zweites Verbotsverfahren aber Aussicht auf Erfolg beim Verfassungsgericht hat, darüber möchte ich jetzt mit Dieter Grimm sprechen, bis 1999 über zehn Jahre lang Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Schönen guten Morgen, Herr Grimm.

    Dieter Grimm: Ja guten Morgen!

    Barenberg: Herr Grimm, Bund und Länder sind sich ja sicher, dass ihr umfangreiches Material, das sie zusammengetragen haben, die antisemitische, rassistische und ausländerfeindliche Einstellung der NPD belegen kann. Die Partei sei wesensverwandt mit der nationalsozialistischen Bewegung. Sollten die Verfassungsrichter in Karlsruhe das in einem möglichen Verfahren auch so sehen, was würde das dann für ihre Entscheidung bedeuten?

    Grimm: Das Grundgesetz sagt ja nichts von Nationalsozialismus und sagt nichts von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit an der entscheidenden Stelle im Artikel 21, sondern es sagt, dass eine Partei verfassungswidrig ist, die darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Das sind die Worte, auf die es rechtlich ankommt. Und deswegen muss das Material, wenn es zum Verbot führen soll, etwas für die Antwort auf diese Frage hergeben. Das heißt, es müsste aus dem Material klar werden, dass es das Ziel der NPD ist, diese Grundordnung entweder zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Also nicht nur einzelne Bestimmungen oder einzelne Teile, sondern es müsste wirklich um den Kern des Grundgesetzes gehen.

    Barenberg: Und da wären gewissermaßen rassistische Einstellungen und eine ausländerfeindliche Programmatik nicht hinreichend?

    Grimm: Ausländerfeindlichkeit und Rassismus wird prinzipiell im Strafrecht bekämpft und dafür gibt es genügend Mittel. Äußerungen dieser Art, erst recht Handlungen dieser Art sind verboten und werden bestraft. Es gibt natürlich Verbindungslinien. Eine Partei, die rassistisch und ausländerfeindlich ist, ist wahrscheinlich eine Partei, die es auch mit Grundrechten nicht besonders ernst nimmt. Und derjenige, der etwa die Grundrechte beseitigen will, hat natürlich die Absicht, einen ganz wesentlichen elementaren Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu beseitigen. Aber wie gesagt, das müsste sich klar ergeben aus den Materialien. Und es kommt auch darauf an, dass die Absicht als die Absicht der Partei erkenntlich wird, nicht nur als die Absicht einzelner Mitglieder. Natürlich kommt man nur über die Äußerungen von Individuen an die wahren Absichten einer Partei heran, aber es muss sich erkennbar zeigen als das Vorhaben der Partei als solcher.

    Barenberg: Ich höre da aus Ihren Worten ein gewisses Maß an Skepsis durch, was einen zweiten Verbotsantrag in Karlsruhe betrifft?

    Grimm: Das kann ich gar nicht sagen, solange ich nicht weiß, welches Material die Innenminister wirklich zusammengestellt haben. Was ich nur sagen kann ist: Die Hürden, die das Grundgesetz aufstellt, sind nicht niedrig, sondern sie sind hoch. Und das hat ja auch einen guten Grund, denn man muss nur überlegen: Hinter den Antragstellern - Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung sind die möglichen Antragsteller -, hinter diesen Antragstellern stehen ja auch wieder politische Parteien. Das heißt also, es unternehmen Parteien es, einen Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Und deswegen muss man die Hürden hochhalten, damit nicht Missbrauch mit diesem Instrument getrieben wird und sich nur Mehrheiten eines missliebigen Konkurrenten entledigen. Deswegen ist es aus gutem Grund so, dass das Grundgesetz die Hürden hochgesetzt hat.

    Barenberg: Herr Grimm, eine Frage möchte ich gerne noch mit Ihnen kurz besprechen. Die Belege müssen für die Richter ja auch belegen, dass die NPD eine Partei mit einem kämpferisch-aggressiven Charakter ist. Das ist jedenfalls immer wieder in der Diskussion. Wie könnte ein solcher Beleg aussehen?

    Grimm: Das bedeutet zunächst mal, dass es nicht ausreicht, wenn man bloß abfällige Meinungen über das Grundgesetz äußert. Man darf in der Bundesrepublik der Meinung sein, das Grundgesetz sei schlecht. Ich bin es natürlich nicht. Aber man darf dieser Meinung sein und darf die auch verbreiten. Man darf auch auf Verfassungsänderungen aus sein. Alles, was mit legalen Mitteln an Verfassungsänderungen versucht wird, kann nicht zum Verbot führen. Kämpferisch-aggressiv meint nicht notwendig militant, meint nicht notwendig mit Gewalt. Auch Hitler ist ja nicht mit Gewalt an die Macht gekommen, sondern er hat seinen Wahlsieg benutzt, um dann mit seiner Mehrheit das Mehrheitsprinzip abzuschaffen. Also die Absicht, auf Beseitigung auszugehen und das zu tun, wenn man die Möglichkeit dafür bekommt, wie auch immer, das ist, was gemeint ist damit.

    Barenberg: Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Dieter Grimm. Vielen Dank für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.