Voßkuhle sagte der "Rheinischen Post", insgesamt seien die Debatten heute weniger ideologisch geprägt. "Was wir eher erleben, ist eine gewisse Orientierungslosigkeit." Mit Globalisierung und Digitalisierung werde alles unübersichtlicher, komplexer und schneller. "Man muss lauter werden, um sich in dem damit verbundenen Klangbild durchsetzen zu können." Voßkuhle war von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.
Am Mittwoch waren im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft München und des Bayerischen Landeskriminalamts in sieben Bundesländern Wohnungen und Geschäftsräume von Aktivisten der "Letzten Generation" durchsucht worden. Der Klimaschutzgruppe wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
Vorgehen der Justiz ist umstritten
Die Frage, ob die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung ist, ist nach Auskunft des Rechtswissenschaftlers Singelnstein ungeklärt. Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe übten einerseits legalen Protest aus, sagte der Professor der Frankfurter Goethe-Universität dem Evangelischen Pressedienst. Sie seien Teil einer sozialen Bewegung, die sich am politischen Meinungsbildungsprozess beteilige. „Andererseits haben Teile dieser Bewegung auch Aktionsformen gewählt, die rechtliche Grenzen überschreiten“, sagte der Jurist. Dazu gehöre Sachbeschädigung oder Nötigung. Ob friedliche Straßenblockaden eine strafbare Nötigung seien, werde ebenfalls in der Rechtswissenschaft diskutiert und müsse immer im Einzelfall geprüft werden.
Teile der Politik positionierten sich deutlich gegen „Letzte Generation“
„Was wir gerade erleben, ist ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess darüber, wie mit solchen Klimaprotesten umgegangen werden soll“, erklärte Singelnstein. Teile der Politik positionierten sich mit drastischen Worten gegen die „Letzte Generation“. Der zunehmend schärfere Einsatz des Strafrechts und die Kriminalisierung des Protests seien weitere Schritte in diese Richtung. Insofern könne durchaus von einem politisch motivierten Einsatz des Strafrechts gesprochen werden, erklärte Singelnstein.
Das Besondere am Paragrafen 129 des Strafgesetzbuchs über die Bildung krimineller Vereinigungen sei, dass er eine starke Ausweitung und Vorverlagerung der Strafbarkeit vorsehe. Schon die Bildung einer solchen Vereinigung und die Mitgliedschaft darin seien strafbar, nicht nur konkrete schädigende Handlungen wie Sachbeschädigungen oder Nötigungen. Außerdem hätten die Behörden auf Grundlage dieses Paragrafen sehr weitreichende Ermittlungsbefugnisse.
Diese Nachricht wurde am 28.05.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.