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Ex-Verkehrsminister Wittke zum Dieselskandal
"Ein gemeinsames Versagen von Politik und Industrie"

Es bestehe die Gefahr, dass der gesamte Wirtschaftsstandort Deutschland Schaden nehme, sagte der CDU-Verkehrspolitiker Oliver Wittke mit Blick auf den Abgasskandal. "Wir hätten mehr tun müssen, um die Situation, wie wir sie heute in den Innenstädten haben, zu beseitigen", sagte er im Dlf.

Oliver Wittke im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der CDU-Politiker Oliver Wittke im April 2017 beim Landesparteitag in Münster.
    Der CDU-Politiker Oliver Wittke beim Landesparteitag in Münster (imago / Rüdiger Wölk)
    Tobias Armbrüster: Oliver Wittke ist CDU-Bundestagsabgeordneter und war von 2005 bis 2009 Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Tag, Herr Wittke.
    Oliver Wittke: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Wittke, reichen die Rechtfertigungen der Automobilindustrie?
    Wittke: Nein, die reichen nicht. Wir müssen natürlich jetzt aufklären, mit welchem Ziel diese Versuche in Auftrag gegeben sind. Wissenschaft muss am Ende den Menschen dienen und Wissenschaft darf nicht dazu missbraucht werden, irgendwelche PR-Aktionen oder Beruhigungspillen zu erarbeiten, und darum haben wir noch viele Fragen.
    Armbrüster: Wer hat denn hier mehr Schuld auf sich geladen, die Autohersteller oder die beteiligten Forschungsinstitute?
    Wittke: Ich glaube, das ist ein Sowohl-als-auch. Auch das muss man ganz genau analysieren. Wissenschaft um ihrer selbst willen, Forschung um ihrer selbst willen, insbesondere an Lebewesen, an Menschen oder an Tieren, müssen ganz hohe ethische und moralische Ansprüche an sich gelten lassen. Das scheint hier nicht der Fall gewesen zu sein.
    Wir können nicht grundsätzlich gegen Tierversuche sein. Wir haben auch bei der Arzneimittelzulassung Versuche mit Menschen. Das dient aber am Ende den Menschen und das darf nicht Selbstzweck sein und erst recht nicht zu PR-Zwecken eingesetzt werden. Das scheint hier der Fall gewesen zu sein und darum müssen diese Vorgänge jetzt umfassend aufgearbeitet werden.
    Ich erinnere nur daran, dass der Verein, der diese Untersuchungen durchgeführt hat, mittlerweile aufgelöst ist. Da stellt sich beispielsweise die Frage, ob er vielleicht nur gegründet worden ist, um einmalig solche Studien zu erarbeiten. Das wäre in der Tat dann eine völlig falsche Richtung, in die man da marschiert ist.
    Schaden für den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland
    Armbrüster: Jede andere Branche, in der es zu solchen Fällen und zu solchen Skandalen kommt, die würde sofort unter strengste Beobachtung gestellt. Warum passiert den deutschen Autokonzernen in dieser ganzen Sache gar nichts?
    Wittke: Ich glaube schon, dass die deutschen Autokonzerne spätestens seit dem Dieselskandal unter besonderer Beobachtung im Übrigen nicht nur der Öffentlichkeit und der Medien, sondern auch des Staates stehen. Meines Erachtens ist es in dem einen oder anderen Unternehmen ein Problem der Unternehmenskultur, was wir da erleben. Da scheinen Unternehmen immer noch in den 70er-Jahren zu verweilen, wo Dinge möglich waren und auch akzeptiert waren, die heute nicht mehr möglich sind. Wie sich beispielsweise Politik verändert hat, wie viele Unternehmen auch diesen Schritt in die neue Zeit hinbekommen haben, so erwarte ich das auch von anderen Unternehmen. Sonst nimmt im Übrigen nicht nur eine Marke Schaden, sondern der gesamte Wirtschaftsstandort Deutschland.
    Armbrüster: Aber die Politik macht da ja überhaupt keinen Druck.
    Wittke: Die Politik macht Druck. Die macht Druck, beispielsweise durch Grenzwerte, beispielsweise durch neue Anforderungen. Aber ich sage auch ...
    Armbrüster: Herr Wittke, entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Grenzwerte - das haben wir jetzt schon mehrfach gehört -, die ja offenbar nicht eingehalten werden. Und ganz klar: Man kann aus den letzten zwei Jahren nicht unbedingt sagen, dass irgendeinem Automanager in Deutschland etwas passiert wäre. Das Meiste passiert tatsächlich in den USA. Hier wird das alles so durchgewunken.
    Wittke: Ich sage nicht, dass die Politik nicht Gutes unterlassen hat. Wir hätten mehr tun müssen, um die Situation, wie wir sie heute in den Innenstädten haben, zu beseitigen. Aber wir haben ja zwei Sorten von Grenzwerten. Wir haben einmal die Belastungsgrenzwerte in den Städten. Die halten wir an vielen Stellen in Deutschland nicht ein. Das ist ein gemeinsames Versagen von Politik und der Industrie - ich sage ausdrücklich auch der Politik, die da nicht ausreichend Maßnahmen unternommen hat.
    "Da kann sich keiner reinwaschen"
    Armbrüster: Und wenn Sie sagen Politik, meinen Sie dann Bundesregierung?
    Wittke: Ich meine sowohl die Bundespolitik, auch die Kommunalpolitik, die da eine Rolle spielt, denn auch verkehrslenkende Maßnahmen vor Ort können eine wesentliche Rolle bei der Entlastung spielen. Da kann sich keiner reinwaschen, da hat jeder sein Bündel zu tragen und da muss jeder seinen Beitrag dazu leisten, dass wir das abstellen, um das klar und deutlich zu sagen.
    Das haben wir insgesamt mit drei Dieselgipfeln bei der Bundeskanzlerin versucht, auch unter Einbeziehung der Kommunen. Das wird nur alles noch eine Zeit dauern. Da haben wir Fehler in der Vergangenheit gemacht, um das klar und deutlich zu sagen.
    Auf der anderen Seite gibt es aber noch die Grenzwerte, die Automobile einhalten müssen. Und wenn man mal vom Dieselskandal bei VW absieht, kann man feststellen, dass die allermeisten Fahrzeuge diese Grenzwerte einhalten. Da kann man den Automobilkonzernen keinen Vorwurf machen. Da wo kriminelle Energie am Werke war, wie wir es beim VW-Skandal erlebt haben, hat auch die Politik das Unternehmen zur Rechenschaft gezogen. Das ist gut und richtig so. Aber vom Grundsatz her kann man da nicht alles über einen Kamm scheren.
    Armbrüster: Das hieße dann, dass wir, wenn die Grenzwerte tatsächlich in den Innenstädten nicht sinken, Fahrverbote brauchen.
    Wittke: Wir hoffen, an Fahrverboten vorbeizukommen, denn Fahrverbote würden bedeuten, dass am Ende der Verbraucher als das letzte Glied in der gesamten Kette die Zeche zu bezahlen hätte. Das wäre falsch, denn ein Verbraucher, der sich vor drei Jahren ein neues Dieselfahrzeug gekauft hat, in gutem Glauben, dass er damit auch in den nächsten Jahren noch in die Innenstädte fahren kann, der darf jetzt nicht zur Rechenschaft gezogen werden für Fehler, die in Industrie und Politik gemacht worden sind.
    Armbrüster: Zur Rechenschaft, dazu würde ich gerne noch mal etwas wissen. Warum wird da tatsächlich niemand zur Rechenschaft gezogen?
    Wittke: Es hat ja Veränderungen auch in der Unternehmenspolitik von Automobilkonzernen gegeben. Wir haben die Nachrüstaktionen beispielsweise im Bereich der Software. Wir reden jetzt noch darüber, ob wir auch an die Hardware herangehen müssen. Ich glaube nicht, dass das bezahlbar ist, wenn wir zwölf Millionen Fahrzeuge umrüsten und damit einen zweistelligen Milliarden-Aufwand betreiben müssen. Wer das fordert, muss sagen, wer das bezahlen soll. Wir können die Industrie nicht dazu verpflichten, das zu tun. Dass es der Staat tut, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Und die Verbraucher werden es auch nicht leisten können.
    Armbrüster: Das heißt, Sie wollen die Automobilindustrie verschonen, diese milliardenschwere Industrie, weil die so wichtig ist für die deutsche Wirtschaft und für deutsche Arbeitsplätze?
    Wittke: Nein! Ich will Berechenbarkeit haben in den Vorschriften, die ich der Automobilindustrie zugrunde lege. Und wenn die Automobilindustrie die Autos liefert, die den aktuellen Grenzwerten entsprechen, kann ich nicht sagen, jetzt fordere ich von dir mehr. Dann muss ich die Grenzwerte ändern, dann werden die Fahrzeuge teurer, das ist völlig klar. Darüber kann man reden. Das wird sicherlich auch ein Diskussionspunkt sein, über den wir zu reden haben. Aber im Nachhinein die Regeln zu ändern, kann ich weder der Industrie, noch dem Verbraucher zumuten.
    Bündel von Maßnahmen soll Luftqualität in den Innenstädten verbessern
    Armbrüster: Was soll dann in deutschen Innenstädten passieren, wenn die Luftverschmutzung weiter so hoch bleibt?
    Wittke: Wir haben ja ein ganzes Maßnahmenbündel bei den Dieselgipfeln im Kanzleramt vereinbart. Wir wollen den öffentlichen Personenverkehr kräftig steigern. Wir wollen mehr in die Elektromobilität investieren. Da haben wir in der Vergangenheit auch zu wenig getan - im Übrigen nicht nur die Politik, auch die Industrie. Dass wir in der Serienfertigung in Deutschland keinen einzigen Bushersteller haben, der Elektrobusse herstellt, halte ich für schwierig. Im Ausland sind die bereits zu bekommen.
    Wir werden durch kommunalpolitische Maßnahmen, durch Verkehrslenkungen, durch andere Dinge versuchen, die Situation zu entschärfen. Das wird ein Bündel an Maßnahmen sein, die am Ende dazu führen, dass die Luftqualität in den Innenstädten sich deutlich verbessert.
    Armbrüster: Da sind Sie ja sehr optimistisch. - Wenn wir uns jetzt noch mal angucken, was wir in den vergangenen Tagen erlebt haben mit diesem erneuten Dieselabgasskandal. Man hat ja leicht den Eindruck, dass die Automobilindustrie nur scheibchenweise mit den Details rausrückt, mit ihren Strategien der vergangenen Jahre. Glauben Sie, wir werden irgendwann in den kommenden Monaten ein komplettes Bild der Lage haben, oder bleibt da alles unter Verschluss?
    Wittke: Da wage ich mich nicht, eine Prognose abzugeben. Ich kann nur die Automobilindustrie aufrufen, einen Kulturwandel herbeizuführen. Dazu gehört absolute Transparenz, absolute Offenheit. Dazu gehört auch, klar und deutlich zu sagen, was man zu leisten imstande ist und was man nicht zu leisten imstande ist. Das habe ich in der Vergangenheit vermisst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.