Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Volker Rühe von der CDU. In den 90er-Jahren war er Bundesverteidigungsminister, ein langjähriger Kenner der NATO, und er ist natürlich auch ein Kenner der transatlantischen Beziehungen. Schönen guten Morgen, Herr Rühe.
Volker Rühe: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
Armbrüster: Herr Rühe, was sagen Sie zu diesen Auftritten?
Rühe: Wir müssen uns fragen, ob wir wirklich diese monströsen Trump-Shows brauchen, damit die Bundeswehr das bekommt, was ihr zusteht, damit sie eine leistungsfähige deutsche Armee ist. Das heißt, die Verantwortlichen in Deutschland, die sollten sich dort nicht länger vorführen lassen, sondern aus eigenem Antrieb, aus eigenem Interesse das tun und der Bundeswehr das geben, die notwendigen Finanzen, aber auch anderes, was sie braucht, um eine leistungsfähige Armee zu sein. Die deutsche Politik hat die Bundeswehr zum Stiefkind der deutschen Politik gemacht. Der General Vaatz, früher der Berater der Bundeskanzlerin im Kanzleramt, hat neulich gesagt, die Bundeswehr ist vielen in der deutschen Politik egal, und das muss sich ändern und nicht wegen Trump, sondern aus ureigenem deutschen Interesse heraus.
Mehr eigene Verantwortung übernehmen
Armbrüster: Herr Rühe, verstehe ich das jetzt richtig? Sie sagen ungefähr, das Vorgehen von Donald Trump war vielleicht etwas fragwürdig, aber was er will und was er erreicht hat, das ist durchaus gut?
Rühe: Es mehren sich ja auch die deutschen Stimmen. Auch Schäuble und andere sagen, er hat nicht ganz Unrecht, und das zeigt ja das deutsche Versagen. Ich glaube auch, dass manche glauben, wenn Trump mal nicht mehr da ist, dann geht es zurück zur Normalität, aber das ist Unsinn. In der Politik gibt es das nicht. In der Geschichte gibt es das nicht. Das heißt, es ist schon lange klar, auch bei seinen Vorgängern, die viel eleganter waren wie Obama, dass wir Europäer mehr eigene Verantwortung für unsere Sicherheit übernehmen müssen, um auch in diesem Jahrhundert ein angemessener Partner für die USA zu sein. Deswegen liegt das eigentliche Versagen in der deutschen Politik und das muss sich ändern, und es gibt ja auch Initiativen des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion, Herrn Wadephul, der deutlich gemacht hat, dass man noch in dieser Legislaturperiode, um ein Minimum für die Bundeswehr zu erreichen, 1,5 Prozent braucht, und das muss durchgesetzt werden. Die CDU/CSU-Fraktion hat verhindert das Auseinanderfallen von CDU und CSU und sie muss jetzt auch den Druck auf die Regierung machen, damit die Bundeswehr ihren Weg in die Zukunft finden kann und sie nicht länger ein Stiefkind der deutschen Politik bleibt.
"Würde mir wünschen, dass man selbstbewusster auftritt"
Armbrüster: Herr Rühe, lassen Sie uns über die Militärausgaben in Deutschland gleich ausführlich sprechen. Zunächst aber noch mal zu Donald Trump. Ist das wirklich in Ordnung? Kann man so umgehen mit Partnern in der NATO, wie der Präsident das gemacht hat?
Rühe: Nein, natürlich nicht, und ich würde mir manchmal auch wünschen, wenn ich diese freundlichen Flötentöne von Frau von der Leyen höre, dass man selbstbewusster auftritt. Auch der NATO-Generalsekretär – das war mal das europäische Gegengewicht zu der militärischen Führung in der NATO durch die USA -, der sieht eher wie ein Schuljunge aus, wenn er neben Trump steht. Also mehr Selbstbewusstsein. Trump werden wir nicht ändern, aber wir müssen das, was notwendig ist, selbst machen, uns nicht von Trump länger vorführen lassen. Hier liegt das Versagen auch der deutschen Politik.
Und ich glaube, was zum Beispiel die Sozialdemokraten angeht - es ist nicht nur eine Aufgabe von CDU und CSU. Es gibt große Verteidigungsminister in der Geschichte der Bundeswehr. Wir haben der Bundeswehr unendlich viel zu verdanken seit 1955 und auch nach der Wiedervereinigung: Schorsch Leber, Helmut Schmidt und in diesem Jahrhundert Peter Struck. Das waren große Verteidigungsminister und diese Tradition darf auch von den Sozialdemokraten heute nicht vergessen werden. Deswegen brauchen wir jetzt eine neue Initiative in Deutschland, der Bundeswehr das zu geben, was sie braucht, um einen sicheren Weg in die Zukunft zu finden, und dass wir damit aufhören, dass wir länger vorgeführt werden von Trump. Und dass viele sagen, er hat ja eigentlich Recht, aber sein Stil ist unangemessen, das ist alles richtig, zeigt er jetzt ja auch in England. Aber wir müssen endlich handeln in Deutschland. Die politisch Verantwortlichen müssen dieses Stiefkind Bundeswehr erlösen.
"Noch in dieser Legislaturperiode zu 1,5 Prozent kommen"
Armbrüster: Nun wissen wir nicht genau, was gestern tatsächlich vereinbart wurde in dieser Runde. Vielleicht haben Sie ja noch weitergehende Informationen. Vielleicht können Sie es auch mal kurz abschätzen. Glauben Sie, dass das jetzt tatsächlich auf Deutschland zukommt, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Bundeswehr bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts? Das wären im Vergleich zu heute zirka 80 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Glauben Sie, dass das auf uns zukommt?
Rühe: Das ist nicht zu schaffen. Das ist auch gar nicht zu organisieren. Aber realistisch ist es, noch in dieser Legislaturperiode – und das ist ganz konkret bis 2021 – zu 1,5 Prozent zu kommen. Das ist noch nicht die Politik der Regierung, aber schon die Politik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und das muss die Politik Deutschlands werden. Das ist eine Summe, die man vernünftig investieren kann, ohne sich zu überfordern, und das wäre wirklich auch ein entscheidender Schritt, um der Bundeswehr wieder die Chance zu geben, den Weg in die Zukunft zu finden und dass sie eine leistungsfähige Armee ist.
Es kommen andere Dinge dazu, die in der deutschen Politik gelöst werden müssen, nicht nur die Finanzen, damit die Bundeswehr wieder auf einen guten Weg kommt.
"Lücken in der Bundeswehr müssen gefüllt werden"
Armbrüster: Das heißt aber auch, Herr Rühe, massive Ausrüstung und wahrscheinlich auch goldene Jahre für die Rüstungsindustrie.
Rühe: Nein, überhaupt nicht. Das ist keine Aufrüstung, sondern die Lücken in der Bundeswehr, die müssen gefüllt werden. Sie muss wieder stärker Verantwortung übernehmen in der Bündnis- und Landesverteidigung, und dafür sind diese Ausgaben notwendig. Sie sehen ja, wie die Zustände sind im Heer, in der Luftwaffe und in der Marine, und das ist ein finanzielles Volumen, wo man nicht sagen kann, dass es nicht bewältigbar ist und dass es zu einer unnötigen Aufrüstung führt. Wenn man Streitkräfte hat - und ich glaube, wir sind uns einig, dass wir die brauchen -, dann muss man sie auch so ausrüsten, dass sie funktionieren.
"Dasselbe Risiko übernehmen wie unsere europäischen Nachbarn"
Armbrüster: Donald Trump würde jetzt an dieser Stelle wahrscheinlich sagen, wenn ihr in dieser Legislaturperiode noch 1,5 Prozent hinkriegt, warum dann nicht bis 2024 tatsächlich zwei Prozent. Was spricht dagegen? Was spricht gegen eine solche Steigerung?
Rühe: Das ist eine gewaltige Schere, eine gewaltige Steigerung, und in drei Jahren können Sie das nicht noch mal entsprechend erhöhen. Da müssten dann auch weitere Schritte gemacht werden. Aber mir ist auch egal, was Donald Trump dann sagt. Dann haben wir eine Bundeswehr, die sich wieder sehen lassen kann und ihre Aufgaben auch erfüllen kann.
Es kommen aber zwei weitere Dinge dazu, die deutsche Probleme sind. Das eine ist: Wir müssen dasselbe Risiko übernehmen wie unsere europäischen Nachbarn. Wir können nicht Drohnen haben mit Kameras und die anderen mit Bomben. Wir können nicht Flugzeuge schicken im Kampf gegen ISIS, die fotografieren, und die anderen werfen die Bomben. Deutschland muss eine vergleichbare europäische militärische Kultur entwickeln, wenn es darum geht festzustellen, wenn militärische Gewalt angewendet werden muss. Sonst isolieren wir uns in Europa. Sonst machen wir Europa handlungsunfähig.
Und das Dritte: Ich habe ja selbst eine Kommission geleitet, die den deutschen Weg, dass nämlich das Parlament die letzte Entscheidung über den Einsatz hat, aussöhnt mit der Tatsache, dass wir heute Teile in der Bundeswehr haben, die uns nicht mehr alleine gehören. Aber zweimal ist die Regierung aus den AWACS-Flugzeugen, gemeinsame Aufklärungsflugzeuge, ausgestiegen. Hier muss endlich ein Weg gefunden werden, dass, wenn andere sich auf uns verlassen - und nicht jeder Staat sollte alle militärischen Fähigkeiten haben -, dann muss man sich darauf verlassen, dass die deutschen Streitkräfte auch zur Verfügung stehen. Das ist bisher gescheitert, auch an der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Das ist der dritte Punkt, der sich ändern muss, die gesicherte Zurverfügungstellung von militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr, auf die sich andere europäische Nationen verlassen. Das ist übrigens auch ein Weg, um Mittel einzusparen, oder vor allen Dingen, um Mittel vernünftig einzusetzen.
"Regierung ist zweimal ausgestiegen aus AWACS"
Armbrüster: Herr Rühe, können Sie uns das etwas genauer sagen? An wem ist das gescheitert? An wem ist ein solcher Ausbau gescheitert?
Rühe: Das ist am Kanzleramt gescheitert und auch an der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Es ging darum, dass wir vorgeschlagen haben, dass die Regierung einmal im Jahr dem Parlament berichtet, welche militärischen Fähigkeiten der Bundeswehr uns nicht mehr alleine gehören und auf die sich andere verlassen. Dadurch entsteht eine politische Bindungswirkung und diese Bindungswirkung natürlich auch für die Regierung, denn die Regierung ist zweimal ausgestiegen aus AWACS, nicht das Parlament. Das wollte offensichtlich diese Regierung nicht.
Wer aber Arbeitsteilung, militärische Arbeitsteilung in Europa will, dass das Geld vernünftig ausgegeben wird und die Staaten miteinander kooperieren, sich gegenseitig ergänzen in ihren militärischen Fähigkeiten, der muss auch die gesicherte Zurverfügungstellung garantieren. Sonst sagen die anderen, auf die Deutschen können wir uns nicht verlassen und wir müssen alle Teile der militärischen Fähigkeiten selbst haben. Dieses muss sich ändern. Hier ist dringend Handlungsbedarf von Seiten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die Sozialdemokraten waren damals bereit, vor zwei, drei Jahren, diesen Weg mitzugehen.
"Die anderen leiden unter mangelnden militärischen Fähigkeiten"
Armbrüster: Herr Rühe, könnte es denn auch sein, dass das einigen unserer Nachbarn in Polen, vielleicht auch Frankreich, sicher auch in anderen Ländern gar nicht so unbedingt recht wäre, wenn Deutschland seine Verteidigung so massiv ausbaut, Milliarden-Beträge neu hineinsteckt und eine so schlagkräftige Armee bekommt?
Rühe: Das Gegenteil ist richtig. Da leben Sie in der Vergangenheit.
Armbrüster: Ich stelle nur die Frage. Ich frage mich das nur.
Rühe: Ja, ich weiß! Ich sage noch mal: Das Gegenteil ist richtig. Die anderen leiden darunter, unter den mangelnden militärischen Fähigkeiten. Es gibt Deutschland und es gibt keine glaubwürdige europäische Verteidigung, ohne eine funktionsfähige Bundeswehr. Deswegen ist das ein Märchen. Das Gegenteil ist richtig. Die Polen haben uns vor einigen Jahren sogar mal aufgerufen, stärkere politische Führung zu übernehmen. Dieses Märchen sollte man nicht länger erzählen.
Wenn wir die Streitkräfte miteinander verzahnen, wie ich das gesagt habe, und die deutschen militärischen Fähigkeiten dann auch anderen zur Verfügung stehen, und zwar gesichert, wenn wir dasselbe Risiko eingehen wie andere Staaten auch, dann ist das etwas, was Europa stärkt und was dringend notwendig ist, was übrigens auch Frankreich von uns erwartet und wo völlig unabhängig von Trump Deutschland bisher nicht ein Teil der Lösung gewesen ist, sondern ein Teil des Problems, wenn es um europäische militärische Fähigkeiten geht.
"Ein glaubwürdiger Partner der USA sein"
Armbrüster: Was soll der Bundesverteidigungsminister, die Bundesverteidigungsministerin dann im kommenden Jahrzehnt bei den anstehenden NATO-Gipfeln sagen, wenn es heißt, habt ihr das Zwei-Prozent-Ziel erreicht? Nein, kriegen wir leider nicht hin? Wie muss Deutschland das erklären?
Rühe: Wenn wir den Beschluss fassen - und die Bundestagsfraktion ist bisher nicht aufgefallen, dass sie der Regierung sehr selbstbewusst gegenübersteht, vor allen Dingen der Vorsitzende nicht -, wenn die das durchsetzt und wenn die Sozialdemokraten, um auch ihr politisches Erbe zu wahren, nämlich große Leistungen für die Bundeswehr, dann bin ich ganz sicher, dass es darüber eine große Zufriedenheit in Europa und auch in der NATO gibt. Und was dann nach der Legislaturperiode geschieht, wie sich die internationale Entwicklung darstellt - wir haben ja auch noch den Gipfel mit Putin und müssen sehen, welchen Weg Russland geht -, all das wird dann auch weiter darüber entscheiden, ob die Streitkräfte, die wir dann haben werden, mit diesen zusätzlichen Mitteln ausreichend sind, oder ob dieser Weg kontinuierlich weitergegangen werden muss.
Armbrüster: Das heißt, da werden die anderen sagen, wir geben zwei Prozent aus, aber euch Deutschen erlassen wir das?
Rühe: Zwei Prozent kann man ja auch dadurch erreichen, wenn man die Wirtschaft ruiniert, zum Beispiel wie die Griechen das gemacht haben. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel: Wenn Deutschland diesen Weg geht, in den nächsten drei Jahren in der Legislaturperiode auf 1,5 Prozent zu gehen, dass das auf große Anerkennung im Bündnis stoßen würde, egal was Herr Trump dazu sagt. Und wenn die beiden anderen Dinge, die ich genannt habe, noch dazukommen, dann glaube ich, dass Europa ein glaubwürdiger Partner der USA sein wird und auch ein Partner, der nicht so tut, als ob es eine Rückkehr zum Normalen der Vergangenheit gibt, nur wenn Präsident Trump mal nicht mehr da ist. Das ist wirklich die Lösung, die wir brauchen, und da müssen jetzt die Weichen gestellt werden in Berlin und da muss man sich korrigieren, nicht wegen Trump, sondern wegen uns aus eigenem deutschen Interesse. Die haben ja alle auch ihren Eid geschworen und deswegen brauchen wir nicht Trump, um der Bundeswehr die Zukunft zu sichern.
Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" der ehemalige Bundesverteidigungsminister, der CDU-Politiker Volker Rühe. Herr Rühe, ich danke Ihnen vielmals für Ihre Zeit.
Rühe: Alles klar! – Tschüss!
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