Der frühere Verfassungsschutz-Präsident und CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen hat mit seinen Äußerungen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk innerhalb seiner Partei sehr konträre Reaktionen hervorgerufen. Während Niedersachsens Landeschef Bernd Althusmann ihm den Austritt nahelegt, hält der frühere Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, Maaßen für den "Motor einer neuen CDU". Mitsch sagte im Dlf, dass eine Kandidatur von Maaßen "vielen Konservativen wieder Hoffnung gibt, zur Union zurückzukommen".
Maaßen in der Kritik
Der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Maaßen hatte am Wochenende den öffentlich-rechtlichen Sendern einen Linksdrall vorgeworfen. Er sprach von Verbindungen von Mitarbeitern – auch bei der "Tagesschau" – zur linken und linksextremen Szene und forderte, Biografien einiger Redakteure zu überprüfen. Belege nannte er keine. Der Parteivorsitzende Armin Laschet schweigt zu dem Vorfall bisher öffentlich. Die Südthüringer CDU erklärte, sie sehe keinen Anlass, wegen dieser Äußerungen die Bundestagskandidatur Maaßens zu hinterfragen.
Das Interview im Wortlaut:
Engels: Hatte Ihr Parteichef Laschet also doch recht, die Werteunion hat nichts mit der CDU zu tun?
Mitsch: Nein, das kann man so nicht sagen. Ich glaube, es ist falsch, wenn man jetzt die Mitglieder der CDU/CSU ignorieren würde, die sich in der Werteunion engagieren. Der Gründungsgedanke der Werteunion ist, glaube ich, nach wie vor richtig: Wir brauchen eine starke Stimme innerhalb der CDU/CSU für die Konservativen, Freiheitlichen und Wirtschaftsliberalen, damit der Linkskurs der letzten Jahre korrigiert wird.
Ich glaube, das ist nach wie vor wichtig, und hier gibt es viele CDU/CSU-Mitglieder, die sich eben deshalb in der Werteunion engagieren. Wir haben ja gesehen, dass einige Probleme in den letzten Jahren aufgetreten sind. Deutschland hat eine sehr hohe Steuerlast, die Energiepolitik ist schwierig, das Migrationsthema ist immer noch nicht gelöst. Und die CDU hat ja auch tatsächlich einen Verlust an vielen Mitgliedern und auch an Wählern erlitten, sie liegt in Umfragen derzeit noch immer deutlich unter dem schon schlechten Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl.
"Abgrenzung zur AfD ist bei uns sehr klar"
Engels: Aber zumindest ging der Trend zuletzt nach oben. Sie haben einige Themen der Werteunion genannt, nun wird aber auch der Werteunion immer wieder vorgeworfen, sie grenze sich nicht deutlich genug zur AfD ab. Haben Sie das unterschätzt und war das auch für Sie ein Austrittsgrund?
Mitsch: Die Abgrenzung zur AfD, zu linken und rechten Radikalen ist bei uns sehr klar. Wir haben dazu einen Beschluss, und der gilt jetzt auch. Insofern ist auch mein Eindruck, dass die ganz große Mehrheit der Mitglieder die bisherige klare Abgrenzung gegenüber den linken und rechten Radikalen auch beibehalten will. Insofern ist das nicht das Thema.
Ich glaube, es geht eher darum, dass wir jetzt als CDU/CSU erkennen müssen, dass wir Wählern und Mitgliedern ein Angebot machen müssen, die Probleme, die es in Deutschland gibt, auch tatsächlich zu lösen. Und da haben einige Mitglieder eben Schwierigkeiten, wenn sie konservativ und wirtschaftsliberal sind, auch das klare Profil der CDU zu erkennen.
Engels: Das haben Sie nun deutlich gemacht, dass Ihnen dieser Akzent wichtig ist. Aber wenn Sie sagen, die Mehrheit der Werteunion grenzt sich deutlich ab von zu viel AfD-Nähe, wie erklären Sie sich dann, dass man doch mit Mehrheit Max Otte im Frühjahr zum Vorsitzenden gewählt hat? Da war ja die Vorgeschichte klar, der war zwischenzeitlich Vorsitzender der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, also hat eine Mehrheit ihn gewählt, also stützt doch die Mehrheit diese Vorgeschichte und damit auch eine gewisse AfD-Nähe, oder?
Mitsch: Ja, es war ja eine sehr, sehr knappe Entscheidung.
"Einige inhaltliche Differenzen mit Herrn Otte"
Engels: Aber es war eine Entscheidung.
Mitsch: Genau, es war eine sehr knappe Entscheidung von etwa 250 Mitgliedern von über 4.000, die da waren, also es waren 250 da von über 4.000. Ich glaube nicht, dass man damit eine Aufweichung der Abgrenzung gegenüber linken und rechten Radikalen wählen wollte, sondern ich glaube, man wollte damit der Werteunion eine klare, deutliche, laute Stimme geben innerhalb der CDU/CSU. Es hängt ja auch ein bisschen damit zusammen, dass die Parteiführung in den letzten Jahren die Mitglieder der Werteunion doch sehr stark ignoriert hat, dass sie sie auch teilweise diffamiert hat, und ich glaube, dass es auch ein Stück weit ein Hilferuf war, jetzt nehmt uns endlich mal etwas ordentlich wahr.
Engels: Wenn es aber nur um einen Hilferuf ginge oder auch um die Person Otte ginge, dann hätten Sie doch, Herr Mitsch, in der Werteunion Mitstreiter finden und versuchen können, ihn schnellstmöglich abzulösen, aber nein, Sie geben auf. Warum, wenn Sie nicht fürchten, dass Ihre Positionen nicht mehr mehrheitsfähig sind?
Mitsch: Ich habe ja den Verband vier Jahre geführt, hab ihn in eine Wachstumsphase geführt und hab dann vor mehreren Monaten entschlossen, dass ich nicht mehr kandidieren werde. Ich glaube, es gehört sich auch, dass ein Vorgänger dem Nachfolger jetzt nicht unbedingt reinregiert.
Engels: Aber Sie müssen ja nicht direkt austreten. Ist das nicht doch deshalb, weil in Wahrheit die Werteunion mit zu vielen Kräften zu weit rechts steht, auch für Ihr Bild?
Mitsch: Ich hatte in der Vergangenheit bereits einige inhaltliche Differenzen mit Herrn Otte, aber für mich war jetzt der entscheidende Punkt auszutreten, weil er eben Angriffe gegen Herrn Merz gefahren hat. Diese finde ich inhaltlich falsch, die finde ich schädlich, und das geradezu, nachdem die Werteunionsmitglieder noch im Frühjahr sich mit 95 Prozent für Herrn Merz ausgesprochen haben. Ich glaube, Herr Merz ist ein Hoffnungsträger für viele Unionsmitglieder und -wähler, und es war auch immer einer meiner wesentlichen Themen, dass wir diesen Hoffnungsträger mit unterstützen. Von daher war das für mich der Austrittsgrund.
"Herr Maaßen ist der Motor einer neuen CDU"
Engels: Herr Mitsch, Sie hatten auch die Wahl von Thomas Kemmerich von der FDP zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit Unterstützung von CDU und AfD im Jahr 2020 gutgeheißen. Haben Sie sich auch selber vorzuwerfen, dass Sie die Werteunion zu nahe mit AfD-Sympathie geführt haben?
Mitsch: Keinesfalls. Unter meiner Amtszeit wurde ja genau dieser Abgrenzungsbeschluss gegenüber linken und rechten Radikalen gefasst, und ich bleibe nach wie vor dabei, dass es besser ist, einen FDP-Ministerpräsidenten zu haben als einen Ministerpräsidenten der umernannten SED.
Engels: Aber mit AfD-Unterstützung, das hätten Sie auch nach wie vor heute, nach heutigem Blick auch für einen richtigen Kurs gehalten?
Mitsch: Ich glaube, es ist besser, wenn ein demokratischer Ministerpräsident gewählt ist aus der Partei der FDP, als wenn ein Ministerpräsident im Amt ist, der der umbenannten SED angehört.
Engels: Bleiben wir bei prägenden Personen. Sie haben 2018 auch gesagt, dass Sie sich Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen als Innenminister vorstellen können. 2019 haben Sie ihn als, Zitat, "Sprachrohr konservativer Christdemokraten" verteidigt. Sehen Sie das immer noch so?
Mitsch: Das sehe ich absolut noch so, ich würde sogar sagen, Herr Maaßen ist der Motor einer neuen CDU. Ich glaube, die CDU wird sich nach der Ära Merkel, die einige Schwierigkeiten gebracht hat, deutlich verändern – dafür spricht einiges –, und Herr Maaßen wird hier eine wesentliche Rolle spielen.
"Auf jeden Fall wichtig, dass Herr Maaßen in den Bundestag kommt"
Engels: Hans-Georg Maaßen, Sie wissen es, er kandidiert in Südthüringen für die CDU, er hat in einem Interview jüngst die "Tagesschau"-Redaktion angegriffen. Er sprach von Verbindungen von NDR-Mitarbeitern in die linksextreme Szene, er blieb allerdings bislang Belege dafür schuldig, er brachte einen NDR-Untersuchungsausschuss ins Gespräch. Später bekannte er sich dann zur Pressefreiheit, aber diese zuerst genannte Wortwahl erinnert schon sehr an die Wortwahl, die auch AfD-Funktionäre nutzen. Sollte er mit solchen Positionen und auch solcher Sprachwahl für die CDU im Bundestag sitzen?
Mitsch: Ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass Herr Maaßen in den Bundestag kommt. Er hat sich, wie Sie gesagt haben, ja auch klar zur Pressefreiheit bekannt, und er hat sich auch zu einem unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekannt. Ich glaube, es ist wichtig, dass in unserem Staat an entscheidenden Stellen immer mal wieder drauf geschaut wird, wo es Verbindungen zu Extremisten, zum Beispiel zur Antifa gibt.
Wir müssen da aus gutem Grund darauf achten, genauso wie bei der Polizei und bei der Bundeswehr gehört es auch in anderen wichtigen Funktionen dazu. Insofern finde ich das absolut in Ordnung, dass man darauf hinweist, dass solche Verbindungen überprüft werden sollten, wenn sie denn existieren. Insofern stehe ich sehr dahinter, wenn Herr Maaßen sich zur Pressefreiheit bekennt, aber andererseits auch Probleme anspricht.
Engels: Aber er bleibt Belege für etwaige Antifa-Verbindungen schuldig. Ist das gerade für einen ehemaligen hohen Beamten angemessen, mit solchen Verdächtigungen in den Raum zu treten, in der Kombination eben Linksdrall zu vermuten bei der Berichterstattung oder gar gefärbte Berichterstattung. Ist das auch Ihre Position, kritisieren Sie das auch?
Mitsch: Was ich auf jeden Fall kritisieren würde, wäre, wenn es keine objektive Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gäbe. Ich glaube, das ist eine wichtige Aufgabe, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat, und ich glaube, es ist auch schwierig, diese Aufgabe immer entsprechend auszuführen. Zum Beispiel dann, wenn der überwiegende Anteil der Verantwortlichen nach eigener Aussage Grün und Rot zuneigt, dann ist es natürlich schwierig, hier objektiv zu berichten.
Ich finde es vollkommen in Ordnung, wenn man in einem demokratischen Land auch darauf achten, dass eben keine Verbindungen zu Extremisten und zu Radikalen bestehen, da muss man sich auch klar abgrenzen. Herr Maaßen hat vorgeschlagen, dass hier entsprechende Dinge untersucht werden, das ist doch absolut in Ordnung.
"Wir brauchen einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk"
Engels: Wollen Sie Gesinnungsüberprüfungen von öffentlich-rechtlichen Journalisten?
Mitsch: Nein, keinesfalls, und da hat sich auch Herr Maaßen klar dagegen gewandt, gegen Gesinnungskontrollen.
Engels: Aber erst im zweiten Schritt, zu Anfang sprach er davon, Biografien zu überprüfen.
Mitsch: Also er hat sich immer von Gesinnungskontrollen distanziert, das finde ich absolut in Ordnung so, aber es bleibt dabei, wir brauchen einen unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wir brauchen die Pressefreiheit, und wir brauchen aber gleichzeitig auch ein offenes Auge dort, wo eventuell Verbindungen zu Extremisten bestehen, und wir brauchen eine objektive Berichterstattung.
Engels: Ihr Parteivorsitzender Armin Laschet sieht laut Teilnehmern der CDU-Präsidiums- und -Bundesvorstandssitzung gestern mittlerweile auch aufgrund dieser Äußerungen von Herrn Maaßen die Kandidatur des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten für die CDU in Südthüringen als Belastung. Liegt Herr Laschet falsch und warum?
Mitsch: Ich glaube, dass die Kandidatur von Herrn Maaßen eine Kandidatur ist, die vielen Konservativen wieder Hoffnung gibt, zur Union zurückzukommen. Ich spüre, dass er sehr viel Zuspruch bekommt, auch aus der Bevölkerung, und es tut der CDU gut, wenn sie auch den konservativen Flügel wieder einbindet. Ich würde mir wünschen, dass Herr Laschet sich klar bekennt zu Herrn Maaßen und dass er ihn möglicherweise auch in sein Wahlkampfteam holt als klares Zeichen: Schaut her, wir sind bereit, die Konservativen auch einzubinden, bei uns in der Volkspartei CDU/CSU haben auch Meinungen Platz, die vielleicht in den letzten Jahren in der CDU/CSU so den Platz nicht mehr hatten.
"Wir brauchen eine Koalition, die ohne die Grünen auskommt"
Engels: Herr Laschet hat bis jetzt eine offene Abgrenzung von Herrn Maaßen vermieden, auf der anderen Seite ist er weit davon entfernt, Herrn Maaßen zu unterstützen. Unterstützen dann Sie wiederum Herrn Laschet im Bundestagswahlkampf oder ist das nicht Ihr Parteivorsitzender?
Mitsch: Na ja, als CDU-Mitglied ist Herr Laschet natürlich mein Parteivorsitzender, und ich wünsche mir, dass die CDU/CSU die Bundestagswahl gewinnt, damit eben nicht eine Koalition aus Grün/Rot/Links Deutschland regiert – das wäre schädlich für Deutschland. Und deshalb muss auch verhindert werden, dass die Grünen in eine Koalition kommen mit der CDU, und deshalb wünsche ich mir, dass die CDU ein möglichst gutes Wahlergebnis bekommt. Deshalb unterstütze ich das natürlich auch, ich möchte verhindern – und da weiß ich viele an meiner Seite –, dass die Grünen in die Regierung kommen. Wir brauchen eine Koalition, die ohne die Grünen auskommt. Insofern ist für mich vollkommen klar, dass ich die CDU unterstütze.
Engels: Sie wurden gestern auch mit dem Gedanken zitiert, sich vorstellen zu können, einer neuen Plattform beizutreten, in der sich ausgetretene Mitglieder der Werteunion zusammenfinden. Haben Sie solche konkreten Pläne, und wie viele, denken Sie, sind auf Ihrer Seite?
Mitsch: Ich habe im Moment diese Pläne so nicht, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Gründungsgedanke der Werteunion weiterleben muss, nämlich dass wir die CDU wieder auf einen vernünftigen Kurs bringen, wo auch Wirtschaftsliberale und Konservative wieder ihre Heimat finden können. Insofern beobachte ich mit großem Wohlwollen, dass viele ehemalige Mitglieder der Werteunion, aber auch andere sich überlegen, wie sie sich organisieren, welches Netzwerk sie bilden, um eben diesen Kurswechsel zu erreichen. Der ist wichtig, damit die CDU wieder auf Kurs kommt. Es gibt einige Probleme, die sind zu lösen, und dafür brauchen wir eine breite Volkspartei, dazu gehören auch die Konservativen und Wirtschaftsliberalen mit einer sehr starken Stimme. Ich glaube, eine solche starke Stimme ist wichtiger denn je.
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