Der Begriff klingt nach Mittelalter und tiefster Rückständigkeit - Exorzismus. Unter Exorzismus wird die rituelle Vertreibung böser Mächte oder Geister aus Menschen, Tieren oder Gegenständen verstanden. In der katholischen Kirche war der Exorzismus von "Besessenen" im Mittelalter gang und gäbe. Mit dem Mittelalter ist die Praxis mitnichten untergegangen.
Daran erinnert jetzt auf schreckliche Weise ein Todesfall in Frankfurt am Main. In einem Hotelzimmer stirbt eine Frau. Ihr Körper ist von Hämatomen übersät. Die Ermittler vermuten eine besonders brutale Teufelsaustreibung als Ursache. Die Staatsanwaltschaft teilte am Mittwoch mit, fünf Personen aus Korea im Alter zwischen 15 und 44 Jahren seien festgenommen worden. Sie sollen dem vermeintlich von Dämonen besessenen Opfer am vergangenen Samstag immer wieder auf den Bauch und den Brustkorb geschlagen haben. Um die Schreie der 41-Jährigen zu unterdrücken, steckten sie ihr ein Handtuch in den Mund. Wie die Obduktion ergab, erstickte die Frau.
Ex-Dschihadist, der sich als schwul outet, soll besessen sein
Weltweit sterben Menschen bei Teufelsaustreibungen. Erst vor einer Woche wurde der Tod einer 21-Jährigen im zentralamerikanischen Belize gemeldet. In einer Kirche erlitt sie offenbar einen Herzstillstand, während die Eltern versuchten, sie mithilfe einer religiösen Zeremonie von Dämonen zu befreien. In Hebron, in den Palästinensergebieten, wurde im Sommer ein 19-Jähriger von zwei Wunderheilern zu Tode geschlagen. Der Wiesbadener Kriminologe Rudolf Egg sagt: "Die Täter glauben, etwas Gutes zu tun."
Exorzismus ist kein rein christlichen Phänomen. Auch in anderen Religionen gibt es die Vorstellung der Besessenheit. Im November berichtete die britischen "Times" über einen jungen muslimischen Ex-Dschihadisten. Nachdem dieser bekannt gegeben habe, dass er homosexuell sei, soll sein Vater ihn gezwungen haben, zu einem islamischen Wunderheiler zu gehen, der ihm die Dämonen austreiben sollte. Der Vater meinte, die Homosexualität seines Sohnes sei Folge übernatürlicher Kräfte.
Laut Schätzungen täglich mehrere Exorzismen in Deutschland
Während in Italien und anderen südlichen Ländern Teufelsaustreibungen vergleichsweise offen angesprochen werden, begegnet man dem Thema nördlich der Alpen eher zurückhaltend. Dennoch ist es offenbar ein alltägliches Phänomen. Der Journalist Marcus Wegner, der sich seit 13 Jahren mit Exorzismus beschäftigt, ist sich jedenfalls sicher: "Wir haben derzeit zwei bis drei Teufelsaustreibungen pro Tag in Deutschland in der katholischen Kirche, die aber nicht offiziell sind. Aus Reihen der evangelikalen Szene sind es sechs bis sieben."
Verzerrte Gesichter, wilde Flüche in seltsamen Sprachen, willenlose, vom Teufel besessene Menschen und Priester, die mit vorgehaltenem Kreuz gegen das Böse kämpfen: Viele Vorstellungen von Exorzismen sind brutal und basieren auf Filmen. Die Prozeduren müssen aber nicht immer mit Gewalt verbunden sein – schon gar nicht die offiziellen. Exorzismen etwa unter Muslimen wie unter katholischen Christen bestehen in der Regel aus Gebeten beziehungsweise Koranrezitationen oder Segens- und Beschwörungsformeln.
Vatikan gibt strenge Regeln für Teufelsaustreibungen vor
Der Vatikan hat für Teufelsaustreibungen explizite Vorgaben aufgestellt. So darf der sogenannte feierliche oder "Große Exorzismus" laut dem Kirchenrecht von 1983 nur nach Genehmigung des zuständigen Bischofs von einem geeigneten Priester vorgenommen werden. Fast jedes Bistum in Deutschland verfügt auch über Anlaufstellen, die meist unter dem Oberbegriff "Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen" bündeln, was Menschen an Sorgen, Problemen und unerklärlichen Phänomenen bewegt. Dass der Teufel hier nicht mehr beim Namen genannt wird, liegt vor allem am Unbehagen und am Unverständnis, die das Thema bei vielen Menschen hervorruft. Manfred Nielen, Pressesprecher des Erzbistums Hamburg, sagte der Nachrichtenagentur dpa: "Es wenden sich natürlich ab und an Menschen mit solchen Anliegen an uns, denen wir dann mit seelsorgerischen Gesprächen zu helfen versuchen. Oder wir verweisen sie weiter an Fachmediziner oder Psychologen."
Offenkundig gibt es in der Gesellschaft also einen Bedarf an Hilfestellungen für Menschen, die sich verflucht wähnen. Unter Muslimen wird die Austreibung von Dämonen von Privatleuten in ganz normalen Wohnungen vollzogen. Diese "Wunderheiler" treten in der Regel nicht offen auf, machen also keine Werbung. Man findet über Mundpropaganda zueinander. Das liegt vor allem daran, dass auch unter Muslimen ein gewisses Unbehagen bei dem Thema besteht.
Islamische "Wunderheiler" sind häufig Privatpersonen
Während streng Konservative solche Riten als Gotteslästerung bzw. als bida' – also von Menschen eigenmächtig in die Religion eingebrachte Veränderungen – ablehnen, gehört der Dämonenglaube für viele Muslime zum religiösen Rüstzeug. Weil er weniger tabuisiert wird, ist der Dämonenglaube vermutlich deutlich weiter unter ihnen verbreitet als unter der Mehrheitsbevölkerung in Deutschland. Der offenere Zugang zu dem Thema liegt bereits in der Theologie begründet. Im muslimischen Kontext ist von "Dschinnen" die Rede, die in einen Menschen einfahren können. Diese Wesen sind neben Menschen und Engeln laut dem Koran ganz "offiziell" von Gott geschaffen worden – und zwar aus Feuer.
Im April tagten sogar an der katholischen Universität Regina Apostolorum in Rom etwa 200 Interessierte aus aller Welt, um höchst ernsthaft über Besessenheit und den Teufel zu diskutieren. Der Begriff Exorzismus stammt übrigens aus dem Griechischen und wird übersetzt mit "Hinausbeschwören". Genaugenommen ist der Exorzismus ein Gebet, das für Menschen gesprochen wird, die meinen, in irgendeiner Weise in Kontakt mit dem "Bösen" gekommen zu sein und sich nun nicht mehr zu helfen wissen.