"Rindfleischettikettierung" oder REWE - auf einer wandbreiten Collage hat Ammar al-Beik seine Eindrücke von Berlin gesammelt: sein Vokabelheft aus dem Deutschunterricht ist da zu sehen, Fotos von Grafitti, das Logo des Supermarkts, in dem er einkaufen geht und ein Zitat von Martin Kippenberger: "Lieber Maler male mir".
Ammar al-Beik: "Ich mag Martin, den deutschen Maler. Er ist sehr stark und lustig, er hat mich inspiriert. Und der Satz bedeutet viel. Er meint, wenn man eine Leinwand hat, dann kann man andere Leute bitten, etwas darauf zu schreiben. Es bedeutet, es gibt keine Regeln in der Kunst. Can you write one word?"
Ammar al-Beik drückt mir einen Stift in die Hand, damit ich in sein Bild hinein schreibe. "What does it mean?" - "Tonaufnahme. Soundrecording." - "Sie schreiben etwas, und Sie tun das jeden Tag und zwar mit Leidenschaft."
Visuell Poetisch und hochpolitisch
Es ist eine überbordende Bilderwelt mit Videos, Wandprojektionen und Installationen, die der Filmemacher Ammar al-Beik im Berliner Haus am Waldsee zeigt. Collagen und Montagen, in denen Realität und Reflektion ineinanderfließen. Die weichen schwarz-weiß Choreographien seiner frühen Kurzfilme, für die der Regisseur berühmt wurde, gleichen bewegten Gedichten. Aber ihnen ist schon die Dringlichkeit anzumerken, der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. In Beirut zum Beispiel traf der Filmemacher Abu Hani, einen über 70jährigen Schuhputzer aus Syrien, der mit seiner Arbeit noch immer seine Familie ernähren muss. Jetzt ist ein ganzer Raum im Haus am Waldsee der Arbeit des Schuhputzers gewidmet. Im Mittelpunkt: ein blauer Schuhputzkasten, daneben Schuhcreme, abgenutzte Bürsten.
"Ich habe ihm gesagt, dass ich eine Ausstellung über ihn machen will. Und er war glücklich. Deshalb habe ich seine blaue Kiste gekauft und alles heraus genommen und habe hier die echten Objekte ausgestellt. Für mich ist das ein Weg zu sagen: da stehen Menschen dahinter, da hängen Erinnerungen dran. Und das erzählt, wie er die Schuhe geputzt hat."
Vielfach ausgezeichneter Filmemacher und Fotograf
In Ammar al-Beiks Filmen wird die Erzählweise schneller und härter nach der gewaltsamen Reaktion des Regimes auf die Straßenproteste in Syrien. Der Künstler hat die Monitore wie Skulpturen auf Sockel gestellt. Für "La dolce Siria", den letzten Film, den al-Beik in Syrien drehte und in Berlin fertigstellte, beobachtet der Regisseur zwei Kinder, die auf einem Balkon mit einer Kamera spielen, während über ihnen die Scud-Raketen rattern. Dazwischen sieht man die feixenden Gesichter von Soldaten, die aus dem Flugzeug Bomben abfeuern.
"La dolce Siria" – eine Hommage an Frederico Fellini - wurde 2015 beim Forum Expanded der Berlinale gezeigt. Trotzdem war der Start in Berlin für den Filmemacher nicht leicht. Acht Monate lebte er in einem Container Wohnheim. "Am ersten Tag war es furchtbar, es ist eine große Anlage im Wald. Dann habe ich mich entschieden, dass ich - wenn ich schon hier bin - mit den Leuten sprechen und sie filmen muss. Ich habe viel gefilmt. Aber ich habe den Film nicht produziert, weil ich nicht unser Leid verkaufen will."
Ammar al-Beiks Kunst lebt von der Empathie, von der Zugewandtheit, von der Überzeugung ihrer existenziellen Bedeutung. Weil er an der Lage seiner Landsleute nichts ändern konnte, fühlt sich der Regisseur gescheitert und nennt sich einen Ex-Künstler. Jetzt bezieht er syrische Freunde in seine Projekte mit ein. Ein nächster Film ist trotz der Vergeblichkeit in Arbeit, drei Stunden sind schon fertig.