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Experimente der Lust

In seinem neuen Film erzählt François Ozon die Geschichte einer 20-Jährigen, die aus Lust am Spiel, an Verstellung und an anonymen Begegnungen als Callgirl arbeitet. Der große Stilist des französischen Kinos zeigt damit wieder einmal, dass er einer der originellsten Erzähler des europäischen Films ist.

Von Josef Schnelle |
    "Wusstest Du, dass Isabelle wieder zurück ist. Sie duscht noch um diese Uhrzeit." - "Bei Mädchen ist das so."

    Isabelle ist 17 Jahre alt, und sie erlebt gerade das große Abenteuer der Adoleszenz. Nach den ersten schlechten sexuellen Erfahrungen mit einem gleichaltrigen Jungen fasst sie einen verwegenen Plan. Sie besorgt sich eine Lockwebsite und ein zweites Handy und zieht ein Geschäft als Callgirl für ältere Männer auf. Die trifft sie in Hotelzimmern, sagt sie sei 20, schläft mit ihnen, kassiert dabei Hunderte von Euros, bevor sie sich wieder in ihre unscheinbaren Teenieklamotten hüllt. Sie sieht sich jedoch nicht einfach als Prostituierte. Sie braucht weder das Geld, noch ist sie abhängig von Zuhältern und Zwischenhändlern. Aber das ganze Spiel, ihre Posen der Verstellung, die Anonymität der Begegnungen, sowie den Sex ohne Gefühle genießt sie als Ausbruch aus der Enge ihres elterlichen Heims. Auch vor ihren Schulfreundinnen verbirgt sie ihr geheimes Doppelleben. Nur ihrem kleinen Bruder erstattet sie regelmäßig Bericht. Schließlich muss er manchmal ihre kleinen Fluchten in die käufliche Liebe decken. Irgendwann fliegt diese Konstruktion natürlich auf. Schon das regelmäßige Duschen, wenn sie von ihren Eskapaden zurückkommt, löst einen ersten Verdacht aus. Ein tragischer Zwischenfall offenbart dann die wahre Natur ihrer Ausflüge in die mondäne Lebenswelt. Vor allem ihre Mutter hat an der skandalösen Entdeckung des unmoralischen Lebenswandels ihrer Tochter zu knabbern. Während Isabelle mit ihrem Stiefvater schon ganz direkt das Augen- und Verführungsspiel spielt, das sie für ihre heimliche Rolle eingeübt hat, versucht Patrick Distanz zu halten. Ihm ist wichtig, dass Mutter und Tochter wieder zueinanderfinden.

    "Du erinnerst mich an einen Typen, mit dem ich geschlafen hab. 'N Kunden." - "Was treibst Du für´n Spiel Isabelle?" - "Ich spiele nicht." - "Du solltest auf deine Mutter Rücksicht nehmen. Du solltest mit ihr reden, damit sie´s verstehen kann. Das ist hart für eine Mutter." - "Ich hab ihr nichts zu sagen. Das ist mein Leben." - "Gib Dir einen Ruck und sei nett. Sie ist wirklich schockiert."

    Mit dieser Szene zeigt François Ozon seine ganze Meisterschaft des "Mise en Scene", der Regiekunst. Wir sehen das Vergnügen, das Isabelle dabei empfindet, mit diesem Mann zu spielen. Es entsteht eine gewisse Intimität zwischen ihnen, die auch einige Verführungskraft entfaltet und männliches Begehren weckt. Gleichzeitig versteht Patrick die Protestbotschaft, die Isabelle an ihre Mutter sendet, und will seine Frau dann doch ernst nehmen in ihrer Schockiertheit. Reines Kino. Nicht ein einziges Gefühl, sondern mehrere, die ausgedrückt in Blicken, Gesten und Worten, gleichzeitig stattfinden. In der 23 Jahre alten Schauspielerin Marine Vacth hat François Ozon die perfekte Verkörperung der Gefühlslage des sexuellen Erwachens einer jungen Frau gefunden. Wenn sie in Stöckelschuhen durch U-Bahn-Schächte und lange Hotelflure ihrem nächsten ja durchaus riskanten Abenteuer entgegen schreitet, dann ist das ganze Glücksspiel der Sexualität schon sichtbar, und jede Tür, die sie öffnet, ist eines von Blaubarts Zimmern.

    In der Tabulosigkeit und Amoral seiner Geschichte und in der erotischen Stimmung erinnert François Ozons Film sehr an Bunuels "Belle de Jour" in dem die Hauptdarstellerin Catherine Deneuve 1967 auch erst 24 war. Eine melodramatische Wendung bekommt der Film dann doch, als George auftaucht, der Isabelle zwar bezahlt, aber auch etwas für sie zu empfinden scheint. Die Begegnung mit ihm wird die Falle öffnen, in der sich Isabelle - als Callgirl nennt sie sich Lea - verfangen hat. Auch die sexuelle Lust kehrt zurück an ihren angestammten Platz zwischen Liebe und Leidenschaft. François Ozon, ohnehin der große Stilist des französischen Kinos, hat mit "Jung und Schön" wieder einmal gezeigt, dass er einer der originellsten Erzähler des europäischen Films ist, ganz zu schweigen davon, dass er einen neuen Star entdeckt hat, in den sich die Kamera von Anfang an sichtlich verliebt hat. Ja, sie ist bezaubernd. Und wir werden noch viel von ihr sehen.

    "Herein, Bonjour Lea." - "Bonjour" - "Ich weiß, hab bei meinem Alter gelogen. Aber das machen doch alle. Stört Sie das? Sie sehen auch nicht aus wie auf den Fotos auf der Website." - "Ich weiß." - "Wollen Sie was trinken?" - "Nein, oder vielleicht ein Glas Wasser." - "Setzen Sie sich. Sie sind bezaubernd."