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Experimentierfreudig ins Praetorius-Jahr
Ein feste Burg

Heute kennt man ihn vor allem als Komponist von weihnachtlicher Musik. Aber Michael Praetorius, der Organist, Kapellmeister und Musik-Enzyklopädist in der Umbruchszeit um 1600 hat weit mehr zu bieten. Das junge Ensemble La Protezione della Musica beweist es auf seiner neuen CD.

Am Mikrofon: Bernd Heyder |
    Das Ensemble in schwarzer, legerer Konzertkleidung befindet sich auf einer grünen Wiese in der Stadt, manche halten ihre Streich- und Zupf-Instrumente in der Hand, sie laufen auf den Fotografierenden zu. Abgebildet sind 10 Personen.
    Das Ensemble La Protezione della Musica hat sich 2015 gegründet, noch bevor die Musikerinnen und Musiker überhaupt angefangen hatten, zu studieren (Jörg Sander)
    Über das Geburtsjahr von Michael Praetorius ist sich die Forschung nicht ganz einig: War es nun 1571 oder -72? Zweifellos ist der rührige Kapellmeister, Komponist und Musik-Enzyklopädist aber vor 400 Jahren gestorben, am 15. Februar 1621.
    Wir haben also ein "Praetorius-Jahr", und das junge Ensemble "La Protezione della Musica" unter der Leitung von Jeroen Finke hat dazu gerade eine bemerkenswerte CD vorgelegt. Die Produktion beim Label Arcantus bietet unter dem Titel "Ein feste Burg ist unser Gott" Vokalwerke und Orgelmusik.
    Musik: La Protezione della Musica: Michael Praetorius - "Ein feste Burg" a 8
    Ursprünglich sollte er wohl Pfarrer werden wie sein Vater, der noch bei Martin Luther studiert hatte, und wie sein älterer Bruder, der als Theologie-Professor in Frankfurt an der Oder lehrte.
    Dann hat Michael Praetorius aus Creuzburg an der Werra die Lehre Luthers aber doch auf eigene Weise gepredigt, nämlich musikalisch: mal vielstimmig, mal in kleinen und kleinsten Besetzungen.

    Ein Faible für Choräle

    Das Ensemble "La Protezione della Musica" lotet die große stilistische Bandbreite von Praetorius beispielhaft aus. Sie ist typisch für die Zeit des musikalischen Stilwandels um 1600, zwischen Renaissance und Barock.
    Ein besonderes Faible hat Praetorius darüber hinaus für die protestantischen Choräle. Aus ihren Liedweisen entwickelt er mit schier unerschöpflicher Phantasie immer wieder neue "Cantus firmus"-Bearbeitungen.
    Martin Luthers bekannter Choral "Ein feste Burg" mit seiner kämpferischen Melodie lieferte hier das Fundament für ein doppelchöriges Vokalkonzert. "La Protezione della Musica" entwirft dazu ein durchaus monumentales Klangbild; das aber mit nur fünf Singstimmen und einer überschaubaren Instrumentalgruppe.
    Es spielen ein Zink, zwei Posaunen, zwei Lauten, ein Regal mit seinen schnarrenden Zungenregister-Klängen und – gewissermaßen als Clou – die historische Schwalbennest-Orgel am Aufnahmeort, der Kirche St. Marien in Lemgo.
    Bevor das doppelchörige Vokalkonzert erklingt, ist der Choral auf der CD aber schon in anderen Praetorius-Vertonungen zu hören.
    Musik: Johann Jakob Winter (Tenor), Vincent Berger (Bass): Michael Praetorius "Ein feste Burg" a 2
    Wie ein Blick ins späte Mittelalter mutet heute dieser Bicinium-Satz an, auch wenn ihn Michael Praetorius erst 1610 veröffentlicht hat. Ihm war bewusst, dass viele seiner Zeitgenossen solche zweistimmigen Kontrapunktketten lieber mit Begleitung hören wollten, und in manchen Fällen legte er seinen Druckausgaben auch eine optionale Orgelstimme bei.
    Es hat aber auch seinen archaischen Reiz, solch ein Stück einmal unbegleitet zu hören – oder anders gesagt: hier einfach den wohlklingenden und wendigen Stimmen von Johann Jakob Winter und Vincent Berger zu lauschen.

    Junge Leute für Alte Musik

    Das Ensemble "La Protezione della Musica" besteht seit 2015. Gerade einmal 17 Jahre alt war der Ensembleleiter Jeroen Finke, als er sich mit einigen Freunden und Freundinnen zusammentat, die wie er von der Musik aus dem Frühbarock fasziniert sind. Als Perkussionist hat sich Finke auf historische und orientalische Schlaginstrumente spezialisiert; seit 2017 studiert er aber in Bremen auch Alte Musik mit Hauptfach Gesang.
    Auf der CD betätigt er sich in Alt-, Tenor- und Baritonlage. In "Christe, der du bist Tag und Licht" singt die Sopranistin Erika Tandiono an seiner Seite. Daniel Seminara begleitet auf der Erzlaute, Tom Werzner spielt die Truhenorgel. Er hat auch den Begleitsatz zu diesem Vokal-Bicinium erstellt.
    Musik: La Protezione della Musica: Michael Praetorius - "Christe, der du bist Tag und Licht" a 2
    Die meisten Mitglieder von "La Protezione della Musica" sind im Alter von Jeroen Finke und studieren ebenfalls noch. Ihren Leistungen nach sind sie aber schon echte Profis. "Jugendlich" wirkt auf der CD vor allem die frische, rhetorische Musizierweise und die Lust am Experiment.
    Dafür ist Michael Praetorius aber auch genau der richtige Komponist. Er spart in seinen Ausgaben nicht mit Hinweisen, wie sich die einzelnen Werke effektvoll aufführen lassen; er lässt aber gleichzeitig reichlich interpretatorischen Spielraum.
    Ein Choral-Bicinium steht auch am Anfang des Programms. Lisa Bork spielt es auf der Orgel, und zwar auf Anregung des Komponisten "auf zweyen Clavieren". Dazu zieht sie das Prinzpialregister "Praestant 4 Fuß" auf dem einen Manual und den eine Oktave tieferen "Praestant 8 Fuß" auf dem anderen.
    Das Stück dient hier als Präludium zu einem 8-stimmigen Vokalkonzert über dieselbe Choralweise, "Vater unser im Himmelreich". Da singt der eine vokal-instrumentale Chor im Kirchenschiff, der andere von der Schwalbennestempore der Orgel herab.
    Musik: La Protezione della Musica, Lisa Bork (Orgel): Michael Praetorius - "Vater unser im Himmelreich" a 2 organico / "Vater unser im Himmelreich" a 8
    Ebenso groß wie der kompositorische Schaffensdrang des Michael Praetorius war sein pädagogischer Impuls. Grundsätzliches, aber auch viele Details zur Aufführungspraxis stellte er in seiner vierbändigen Musikenzyklopädie "Syntagma musicum" zusammen. Dafür ist ihm die "historische informierte Musizierpraxis" bis heute dankbar.
    Praetorius schöpfte aus der praktischen Erfahrung, die er zunächst als Organist an der Universitätskirche in Frankfurt an der Oder gesammelt hatte, dann als Hoforganist und später Kapellmeister in Wolfenbüttel.
    Von 1613 bis -16 war er am kursächsischen Hof in Dresden ein Kollege von Heinrich Schütz. In den wenigen verbleibenden Lebensjahren reiste er fast unablässig als Berater verschiedener Fürstenresidenzen quer durch Mitteldeutschland.

    Bordaunen, Waldpfeiff und Scharff im Schwalbennest

    Ein schlichter Kantionalsatz zum Weihnachtslied "Es ist ein Ros entsprungen" dürfte heute seine bekannteste Komposition sein. Repräsentativ für sein Schaffen ist sie nicht. Kaum präsent ist uns Praetorius als Orgel-Komponist. Die CD gibt auch davon einen Eindruck.
    Die ausladende Choralfantasie "Ein feste Burg" muss sich in ihrer Virtuosität und ihrem Ideenreichtum vor den prominenteren Beispielen der frühbarocken norddeutschen Organistenschule nicht verstecken.
    Lisa Bork setzt die unterschiedlichen Stimmen der Scherer-Orgel wirkungsvoll ein. Die Register klingen so bunt wie ihre Namen: "Bordaunen"- und "Bassunen-Bass", "Trumpet" und "Zinke", "Quintatien" und "Hohlfloyte", "Waldpfeiff" und "Scharff".
    2010 hat Rowan West das Instrument auf der Basis der noch vorhandenen alten Pfeifen und einiger historischer Dokumente im Zustand von 1613 rekonstruiert.
    Musik: Lisa Bork (Orgel): Michael Praetorius - "Ein feste Burg" pro Organo
    Die Produktion in der Marienkirche von Lemgo fand im November 2020 statt – unter Corona-Beschränkungen, wie man im Booklet erfährt. Vielleicht wäre das Ensemble sonst in dem einen oder anderen Stück auch in etwas größerer Besetzung angetreten. Aber wie gesagt: Praetorius lässt da unterschiedlichste Möglichkeiten zu.
    Die bis zu sechsstimmige Vertonung des Psalms 147 "Lobet den Herren" ist auch mit nur zwei Sopranen, Alt, Tenor und Bass sowie dem Regal als Begleitinstrument berückend gelungen. Dass Praetorius den zweiten Vers für zwei dreistimmige Chöre konzipiert, legt der Text nahe: "Singet gegeneinander dem Herrn mit Danken."
    Die Aufnahmetechnik führt die Zuhörenden ganz nahe an die Musizierenden heran, macht aber gleichzeitig die Tiefe des gotischen Kirchenraumes erfahrbar.
    Musik: La Protezione della Musica: Michael Praetorius - "Lobet den Herren" a 6

    Schlank, klar und leuchtend

    Unter der Leitung von Michael Praetorius sangen um 1600 in der Kirche nur Knaben- und Männerstimmen. Ob das dann immer so schlank und klar, aber auch so intensiv leuchtend klang wie jetzt bei "La Protezione della Musica"?
    Das Ensemble hat einen eigenen Weg und ein eigenes Timbre gefunden, um diese Musik lebendig zu gestalten, ohne die historische Distanz von 400 Jahren seit ihrer Entstehung zu ignorieren. Die Klänge der Scherer-Orgel waren da sicher inspirierend. Mit der zeitüblichen Ornamentierung der Noten hälten sich das Ensemble allerdings zurück.
    Musik: La Protezione della Musica: Michael Praetorius - "Herr Gott, dich loben wir" a 6
    Dies sind nur einige Verse aus der umfangreichsten Komposition auf der CD: der Vertonung von Luthers Übersetzung des altkirchlichen Te-Deum-Hymnus. 20 Minuten nimmt das Werk für zwei bis sechs Stimmen in Anspruch.
    Neun mächtige Notenbände mit geistlicher Musik unterschiedlichster Art hat Praetorius zwischen 1605 und 1610 unter dem Serientitel "Musae Sioniae" veröffentlicht – nicht auf dem "heidnischen Olymp" weilen hier die sprichwörtlichen Musen, sondern in einem "himmlischen Jerusalem". In diesen Bänden fand Jeroen Finke das Gros der eingespielten Werke.
    Für die dritte Strophe des Chorals "Ein feste Burg", mit der das Programm schließt, greift er dann aber auf den Druck der "Polyhymnia caduceatrix et panegyrica" von 1619 zurück. Darin finden sich die modernsten Kompositionen von Praetorius; er schrieb sie für besondere höfische Festlichkeiten.
    Zwei Alt- und zwei Bassstimmen treten in diesem geistlichen Konzert mit martialischen Gesten auf. Das hat sich der Komponist in der vokalen Darbietung vielleicht etwas dramatischer vorgestellt, als es hier zu hören ist. Aber dann sorgt schon die Orgel mit ihren sonoren Bässen dafür, dass die CD doch auch überzeugend endet, obwohl das Stück nicht das prachtvollste des Programms ist.
    Musik: Michael Praetorius - "Ein feste Burg" a 5
    Michael Praetorius
    Ein feste Burg ist unser Gott. Vokal- und Orgelmusik
    La Protezione della Musica, Leitung: Jeroen Finke
    Arcantus 21027