Sina Fröhndrich: Welche Folgen hat dieser Abgasskandal für die deutsche Automobilindustrie? Darüber habe ich mit Professor Stefan Bratzel gesprochen. Er ist Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Gehören Tricksereien oder jetzt in diesem Fall das Ausnutzen von Schlupflöchern zur Automobilindustrie dazu?
Stefan Bratzel: Nun, es macht den Eindruck, wenn man die vergangenen Wochen und Monate sieht, dass die Automobilhersteller jedes Schlupfloch nutzen, um die Kosten niedrig zu halten und auf Kosten der Umwelt dann ihre Fahrzeuge zu verkaufen. Es ist sicherlich eine sehr imagebelastende Thematik, die im Moment publik wird.
Fröhndrich: Das heißt, man kann schon sagen, Klimaschutz und Umweltschutz ist den deutschen Autobauern vielleicht egal?
Bratzel: Soweit würde ich nicht gehen. Aber Umweltschutz kostet Geld, kostet sehr viel Geld. Die Automobilhersteller investieren ein Großteil ihrer Forschung in Entwicklung. Aber vielleicht investieren sie immer noch zu wenig in diese Abgasreinigung, in das Thema Klimaschutz, und wenn man diese aktuellen Entwicklungen sieht, dann muss man den Eindruck hier tatsächlich bekommen.
"Man saß lange Zeit vielleicht auf einem zu hohen Ross"
Fröhndrich: Wenn man sich das anschaut, wie die Autobauer damit umgehen, jetzt auch VW beispielsweise in den USA. Da hat man erst mal abgewartet, so richtig offensiv wird nicht gehandelt. Sind deutsche Autobauer vielleicht besonders selbstsicher, oder im nächsten Schritt vielleicht auch besonders arrogant?
Bratzel: Ja. Ich glaube, dass man lange Zeit vielleicht auf einem zu hohen Ross saß. Sie haben den Begriff Arroganz genannt. Der ist vielleicht richtig, wenn man diese Situation im Moment sieht. Ich glaube, dass die Automobilindustrie schon weiß, dass sie enorme Herausforderungen hat nicht nur beim Thema Umweltschutz. Jetzt kommen neue Akteure wie Apples und Googles, die die Automobilindustrie belagern und auch in den Wettbewerb einsteigen. Ich glaube, man ist nicht mehr auf dem hohen Ross, aber in der Vergangenheit war man es, und ich glaube, es ist Zeit, abzusteigen und einen neuen transparenten Umgang mit der Öffentlichkeit zu pflegen.
Fröhndrich: Glauben Sie, dass die deutschen Autobauer, dass die VWs, Daimlers und so weiter bereit sind, von ihrem Ross runterzukommen und zu sagen, wir nehmen jetzt diese Abgasaffäre und wagen einen Neustart, vielleicht auch hin mehr in Richtung Elektromobilität?
Es braucht auch Druck von der Öffentlichkeit
Bratzel: Ich glaube, dass die Automobilhersteller das tun sollten. Aber damit sie es tun, braucht es auch Druck von der Öffentlichkeit, damit hier eine Berücksichtigung auch von Umweltinteressen noch viel stärker passiert, als das in der Vergangenheit der Fall war. Druck in der Öffentlichkeit braucht es, vielleicht auch von der Kundenseite, die das Thema Abgasreinigung bislang nicht so ernst nahm, dass sie weniger Fahrzeuge kaufte von den Herstellern, die betroffen waren.
Fröhndrich: Wie könnte das denn aussehen, dass man tatsächlich keine Dieselautos mehr kauft?
Bratzel: Nun, dass tatsächlich das ein wirkliches Kaufargument ist. Das war es bislang noch nicht. Da müssen sich die Kunden vielleicht ein Stück weit an die eigene Nase fassen. Man kauft im Moment hauptsächlich SUVs, man kauft hauptsächlich Diesel, unbeachtet irgendeines Abgasskandales oder einer Abgasaffäre. Ich glaube, da braucht es auch ein Umdenken in der Öffentlichkeit, vor allem aber auch - und da haben wir ja heute einen Schritt in die richtige Richtung erlebt - ein Umdenken der Politik, die eine stärkere Kontrolle auch vornimmt und das Umweltinteresse in der Abwägung Wirtschaft/Umwelt eine stärkere Bedeutung gewinnt.
Kultur des Wegschauens
Fröhndrich: Das heißt, man könnte, wenn wir jetzt noch mal auf die politische Seite schauen, schon sagen, wir hatten zuletzt vielleicht zu schwache Instanzen, zu laxe Vorgaben? Oder war die Automobilindustrie vielleicht einfach auch besonders gut, Druck auszuüben?
Bratzel: Ja, vielleicht beides. Aber es gab auf jeden Fall eine, ich nenne es gerne, Kultur des Wegschauens. Man hat Hinweise gehabt, dass Grenzwerte möglicherweise nicht eingehalten werden. Man ist dem nicht in der Konsequenz nachgegangen. Insofern hat die Politik hier eine Mitschuld an dem Skandal, und das muss sich ändern. Man braucht auch starke Kontrollinstanzen, die die Automobilindustrie auch ernst nimmt. Dann, glaube ich, können wir wieder auf normale Wege kommen.
Fröhndrich: Das sagt Stefan Bratzel. Er ist Professor für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.