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Experte wertet Chinas steigenden Militäretat als Symbolpolitik

Eberhard Sandschneider, China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, sieht in den deutlich steigenden chinesischen Militärausgaben keinen akuten Grund zur Besorgnis. Die Armee komme von einem sehr niedrigen Niveau, sagte Sandschneider. Die Militärausgaben der USA seien Schätzungen zufolge etwa fünfmal so hoch.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Einmal im Jahr kommen mitten in der großen Halle des Volkes in Peking 3000 Delegierte für zehn bis zwölf Tage zum Nationalen Volkskongress zusammen. Formell ist es das oberste Staatsorgan, und es beschließt wichtige Gesetze. Heute Morgen lauschten die Delegierten zunächst dem Regierungschef.

    Am Telefon ist nun Professor Eberhard Sandschneider, China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sein Buch "Globale Rivalen" ist dieser Tage in den Buchhandlungen erschienen. Guten Tag, Herr Sandschneider!

    Eberhard Sandschneider: Schönen guten Tag!

    Spengler: Herr Sandschneider, vielleicht erst mal zur Einordnung: Ist die Volksrepublik China bei aller wirtschaftlichen Liberalisierung der letzten Jahre noch die alte Ein-Parteien-Diktatur, oder tut sich auch in politisch-demokratischer Hinsicht etwas?

    Sandschneider: Politisch-demokratisch tut sich in diesem Land noch nichts. Das ist das eigentliche Phänomen an China. Das ist das erste kommunistische System, das wir erleben, das seit 25 Jahren wirtschaftlich erfolgreich ist. Bei den anderen kommunistischen Systemen war das genaue Gegenteil der Fall. Das macht das Besondere an China aus. Aber das muss man schon immer wieder klar sagen: Politisch bewegt sich deshalb nichts. Die Partei setzt weiterhin auf die unmittelbare Kontrolle allen politischen Lebens und versucht, diese Kontrolle auch in die Zukunft zu bringen, wobei Stabilität das entscheidende Kriterium ist.

    Spengler: Das heißt doch für die Lehre der politischen Theorie: Wirtschaftliche Liberalisierung hat nicht automatisch Demokratie zur Folge?

    Sandschneider: Bislang war es so, dass früher oder später solche Systeme auch unter Demokratisierungsdruck gekommen sind. In China ist das noch nicht der Fall. Und die eigentliche Herausforderung für uns im Westen ist, dass wir zum ersten Mal mit erfolgreichen Autokratien konfrontiert sind. Wir konnten in all den letzten Jahren immer darauf hinweisen, dass Systeme die nicht demokratisch waren letztlich wirtschaftlich nicht vergleichbar erfolgreich waren. China ist eine Ausnahme, und insofern stellt China eine besondere Herausforderung für uns dar.

    Spengler: Das heißt, dieser Volkskongress ist tatsächlich ein Scheinparlament, so könnte man sagen?

    Sandschneider: Das ist das große Etikett, das man diesem Volkskongress zu Recht umhängt. Es ist relativ einfach. Ein Kongress, der diese Größe hat traditionell, kann kein entscheidungsfähiges Organ sein. Die wichtigen politischen Entscheidungen sind alle vorab in der Partei und in mehr oder weniger geschlossenen Sitzungen gefallen.

    Spengler: Mich erinnert diese Tagung so ein bisschen an die alten Volkskammer-Sitzungen in der DDR. Da haben die journalistischen Beobachter auch wie gebannt auf die Steigerungsrate des Rüstungshaushalts gewartet, wohl wissend, dass das eigentlich eine Schimäre war, weil ja viele Militärausgaben in anderen Haushaltstiteln versteckt wurden. Wenn jetzt die Volksrepublik China vor diesem Kongress schon angekündigt hat, die Verteidigungsausgaben um 18 Prozent anheben zu wollen, dann ist das doch eine sehr, sehr beeindruckende Zahl. Muss uns die besorgt machen?

    Sandschneider: Zunächst einmal haben Sie völlig Recht. Diese Zahl ist natürlich eine Schimäre. Wesentliche Dinge des Militärs stecken in anderen Haushaltstiteln und bleiben insofern verborgen. Die Zahl ist nicht so dramatisch verändert zu den letzten Jahren. Im vergangenen Jahr waren es 17 Prozent. Trotzdem spielt China hier die Karte der symbolischen Politik. Jetzt nach vielen Jahren, in denen die Militärs warten mussten, bis sie am Zuge waren, ist das Signal nach innen wie nach außen, dass China Kraft seiner Wirtschaftsleistung auch beginnt, seine militärische Modernisierung voranzutreiben. Das muss nicht zwangsläufig eine Bedrohung sein, denn diese Armee kommt noch von einem sehr, sehr niedrigen Niveau. Technologisch kann sie sich mit den USA nicht vergleichen.

    Vielleicht ist es ganz geschickt, einmal absolute Zahlen ins Spiel zu bringen. China gibt nach unterschiedlichen westlichen Schätzungen maximal 90 Milliarden US-Dollar im Jahr für seine Rüstung aus, die Vereinigten Staaten immer noch letztlich das Fünffache, bis zu 500 Milliarden. Also die Schere zwischen den USA und China schließt sich nicht; sie geht weiter auf.

    Spengler: Aber es ist mehr als eine symbolische Politik?

    Sandschneider: Es steckt auch effektive militärische Modernisierung dahinter, aber die chinesische Führung weiß natürlich, dass sie mit solchen Zahlen international, auch vor allen Dingen bei ihren Anrainerstaaten, auf der symbolischen Ebene Botschaften setzt, die auch schnell zu politischen Veränderungen führen können. Staaten wie Japan, aber auch Süd-Korea werden auf solche Entwicklungen dauerhaft reagieren müssen.

    Spengler: Nun hat heute der Regierungschef mehr soziale Gerechtigkeit und mehr Umweltschutz angekündigt. Wie muss man solche Ankündigungen einschätzen? Halten sich die Chinesen daran?

    Sandschneider: Die muss man mittlerweile ernst nehmen, weil China in genau diesen beiden Bereichen seine vielleicht größten innenpolitischen Probleme hat. Das soziale Gefälle in dem Land ist dramatisch, und je nach Schätzungen gehen wir davon aus, dass einige Zehnmillionen Menschen in China Ökologieflüchtlinge sind, das heißt ihre Heimat verlassen müssen, weil man dort wegen schlechter Luft, untrinkbarem Wasser schlicht nicht mehr leben kann. China hat in beiden Bereichen erhebliche Probleme. Dass der Ministerpräsident das so offen anspricht, ist nicht nur Ankündigungspolitik gegenüber der Weltöffentlichkeit, sondern Reaktion auf die drängendsten Probleme innenpolitischer Natur.

    Spengler: Wenn es diese Probleme gibt, warum gibt es keine Unruhen, oder gibt es möglicherweise Unruhen und wir erfahren davon nichts?

    Sandschneider: Die Unruhen gibt es, und die Unruhen werden sogar mittlerweile von der kommunistischen Partei ganz offen zugegeben und beziffert. Im vergangenen Jahr lagen sie bei etwa 84.000 Zwischenfällen, die die kommunistische Partei oder die Regierung selbst gemeldet hat. Das heißt, das Unruhepotenzial im Lande ist schon beachtlich. Noch gelingt es der Regierung, durch politische Maßnahmen, aber auch durch sehr rigorose und harte Kontrolle diese Unruhen im Griff zu behalten. Das allerdings ist das Spannende an China. Wie lange das gut geht, vermag niemand zu sagen. Und ein Ereignis kann sehr schnell aus dem Ruder laufen, und dann hat China ein größeres Stabilisierungsproblem.

    Spengler: Professor Sandschneider, haben wir im Westen schon die passende Antwort auf die aufstrebende Großmacht China gefunden?

    Sandschneider: Nein. Die haben wir weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch gefunden. Das hat viele Gründe. Zum Teil kann man keine Antwort im Sinne von Abwehr oder Verteidigung gegenüber China finden. Was China tut in Anbetracht des Erfolges des Landes, aber auch seiner Größe ist natürlich eine besondere Herausforderung, aber ein wesentlicher Teil der Antwort liegt auch darin, dass westliche China-Politik unkoordiniert von unterschiedlichen Interessen und viel zu viel von Konkurrenz, denn von abgestimmter Reaktion geprägt ist. Das ist die eigentliche Krux. Das gilt sowohl für die Europäische Union als auch für das transatlantische Verhältnis.

    Spengler: Das war Professor Eberhard Sandschneider, China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Danke für das Gespräch, Herr Sandschneider.

    Sandschneider: Bitte sehr.