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Experte zu Stromversorgung
Schwankungen im System steigen durch Ausbau Erneuerbarer Energien

Nach Ansicht des Energie-Experten und ENBW-Angestellten Georgios Stamatelopoulos ist die Energieversorgung in Deutschland nicht gefährdet. Das System werde aber durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien stärker von Wetterlagen abhängig, sagte er im Dlf. Man brauche weiter flexible Leistung aus konventionellen und erneuerbaren Quellen.

Georgios Stamatelopoulos im Gespräch mit Christoph Heinemann |
Blick auf den Offshore-Windpark von Neeltje Jans im Morgennebel.
"Wir müssen eine Methode finden, eine Technologie finden, wo wir kein CO2 produzieren bei der Stromerzeugung, dafür sind die erneuerbaren Energien prädestiniert", sagte der Energieexperte Georgios Stamatelopoulos im Dlf (imago / Blickwinkel / W.Pattyn)
Am 8. Januar gab es einen Frequenzeinbruch im europäischen Stromnetz – ausgelöst durch Störungen in Osteuropa. Ein Stromausfall konnte noch vermieden werden. Georgios Stamatelopoulos vermutet, dass der Vorfall nichts mit den Erneuerbaren Energien zu tun hatte. Vor dem Hintergrund des Ausstiegs aus der Energiegewinnung durch Kohle und Atomkraft könnte so etwas in Zukunft dennoch zum Problem werden. Der Strombedarf wird nicht zuletzt durch Elektroautos steigen. Georgios Stamatelopoulos leitet die Geschäftseinheiten Erzeugung, Betrieb und dezentrale Energiedienstleistungen beim Energie-Unternehmen ENBW. Er ist außerdem der Vorsitzende des VGB Power Tech, dem technischen Verband der Energie-Anlagenbetreiber. Der Energie-Experte sagte im Dlf, dass das Netz durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien volatiler werde - also abhängiger von Wetterlagen. "Deswegen werden wir immer dazu disponible Leistung brauchen, also Leistung, die uns zur Verfügung steht, wenn wir den entsprechenden Bedarf haben." Dieser Bedarf könne einerseits durch konventionelle Energien wie Kohle und Gas gedeckt werden. Andererseits aber auch durch Biomasse, Biogas und auch die grünen Gase wie zum Beispiel Wasserstoff.
Starkstrommasten, Stromleitungen am Umspannwerk Wolmirstedt, Sachsen-Anhalt, Deutschland, Europa *** Power poles, power lines at Wolmirstedt substation, Saxony-Anhalt, Germany, Europe Copyright: imageBROKER/StephanxSchulz iblssz05948651.jpg Bitte beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Urheberrechtes hinsichtlich der Namensnennung des Fotografen im direkten Umfeld der Veröffentlichung!
Strombranche in Coronazeiten - Vorbereitet für den Ernstfall
Privathaushalte, Supermärkte, Krankenhäuser: In Krisenzeiten ist die Stromversorgung in diesen Bereichen wichtig. Die Energiebranche ist darauf vorbereitet und übt regelmäßig den Notfall.

Das Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: War die Stromversorgung in Deutschland heute vor zwei Wochen, am 8. Januar, in Gefahr ?

Georgios Stamatelopoulos: Es gab einen deutlichen Frequenzabfall in der nordwestlichen Zone unseres Netzsystems und eine Trennung quer durch Europa. Wir wurden von Südosteuropa getrennt. Allerdings haben die Übertragungsnetzbetreiber das relativ schnell in den Griff bekommen. Die haben abschaltbare Lasten im Umfang von zirka 1,7 Gigawatt vom Netz genommen, in Österreich und auch in Italien, und dazu haben sie durch zusätzliche Einspeisung aus Großbritannien und aus Skandinavien das Ganze in den Griff bekommen, so dass das eigentlich eine sehr gute Reaktion war auf einen Vorfall, der passieren kann.
Meines Wissens hatte auch dieser Vorfall mit den Erneuerbaren, mit der Volatilität der Erneuerbaren nichts zu tun. Es muss einen technischen Defekt gegeben haben in Südosteuropa. Die Analyse läuft weiter. Genaueres wissen wir noch nicht.

Heinemann: Was meinen Sie mit der Volatilität der Erneuerbaren?

Stamatelopoulos: Die Erneuerbaren produzieren abhängig von der Wetterlage. Die Windenergie produziert nur, wenn der Wind weht, und Solar produziert nur, wenn die Sonne scheint. Das meine ich mit Volatilität. Die sind nicht bedarfsorientiert wie die klassischen, wie die konventionellen Erzeugungstechnologien, sondern eher volatil, abhängig von der Wetterlage.

Versorgungssicherheit in Deutschland "ist gewährleistet"

Heinemann: Diesmal konnte das Netz schnell stabilisiert werden, haben Sie gesagt. Deutschland steigt bis Ende 2022 aus der Atom- und bis Ende 2038 aus der Kohlestromgewinnung aus. Sie haben eben gesagt, dieser Vorfall von vor zwei Wochen hatte damit nichts zu tun. Dennoch grundsätzlich die Frage: Erwarten Sie, dass zum Beispiel im nächsten Winter der Strom knapp werden könnte?

Stamatelopoulos: Nein! Ich rechne damit, dass auch im nächsten und auch im übernächsten Winter die Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet sein wird. Die Erneuerbaren, die decken mittlerweile zirka die Hälfte des Bedarfs ab, und darüber hinaus gibt es noch ausreichende disponible Leistung im System und es besteht nach wie vor die Möglichkeit, Strom von unseren Nachbarn zu beziehen. Sicher ist es aber, dass durch einen weiteren Ausbau der Erneuerbaren die Volatilität im System steigt. Deswegen werden wir immer dazu disponible Leistung brauchen, also Leistung, die uns zur Verfügung steht, wenn wir den entsprechenden Bedarf haben.

Heinemann: Das sind dann konventionelle Energieformen?

Stamatelopoulos: Es gibt drei Möglichkeiten, die wir da haben. Erst mal sind das die Konventionellen auf Basis von fossilen Brennstoffen. Das ist Kohle und Gas. Wie Sie wissen, ist es mittlerweile gesellschaftlicher Konsens, dass wir diese Energiequellen minimieren sollen und auf null fahren sollen bis zum Jahr 2050.
Eine weitere Quelle von disponibler Leistung sind die Speicher. Davon gibt es Pumpspeicherkraftwerke und auch Batterien. Die Speicher können einen Beitrag leisten für die disponible Leistung. Allerdings ist dieser Beitrag kurzfristig. Die können eine längere Phase, wo wir volatile Erneuerbare, wo wir Erneuerbare aus Wind und aus Sonne nicht zur Verfügung haben, nicht abdecken. Dafür gibt es den Begriff der 14tägigen Dunkelflaute. Das heißt, für 14 Tage scheint die Sonne nicht oder nicht besonders, es ist dunkel, und es herrscht eine Flaute, es gibt keinen Wind, von daher auch keine Windenergieerzeugung. Für diese Fälle sind die Speicher nicht geeignet.
Dann bleibt als dritte Quelle von disponibler Leistung die disponiblen erneuerbaren Energien, weil es solche auch gibt. Das ist Biomasse, Biogas und auch die grünen Gase. Prominenter Vertreter der grünen Gase, der in den letzten Monaten auch sehr stark in Diskussion ist in Deutschland, ist der Wasserstoff.

"Mittel- bis langfristig wird Wasserstoff eine wesentliche Rolle spielen"

Heinemann: Wasserstoff ist speicherbar. Welche Rolle wird diese Technologie spielen?

Stamatelopoulos: Ich glaube, langfristig oder mittel- bis langfristig wird Wasserstoff eine wesentliche Rolle spielen, wird den Bedarf an disponibler Leistung abdecken müssen und wird auch dazu helfen, auch andere Sektoren zu elektrifizieren. Andere Sektoren wie zum Beispiel der Verkehr oder die Wärme, auch Industrieprozesse, die relativ schwierig sind zu dekarbonisieren, kann man über die Elektrifizierung und dann zur Verfügung Stellung von Strom, der aus Wasserstoff und erneuerbaren Energien erzeugt wird, abdecken.

"Lastmanagement wird auch zum neuen Energiesystem gehören"

Heinemann: Herr Stamatelopoulos, wenn eine Million Autos Strom tanken wollen, dann werden etwa 350 Gigawatt benötigt. Kann diese Leistung vorgehalten werden?

Stamatelopoulos: Ja! Es ist die Frage – deswegen spreche ich von disponibler Leistung -, wann der Bedarf entsteht. Sicherlich werden wir auch ein System des sogenannten Lastmanagements brauchen, so dass der Verbraucher eine Indikation bekommt, wann er sein Auto laden kann. Wenn alle Autofahrer abends oder nachts ihr Auto laden, dann wird es diesen Bedarf geben. Es kann unter Umständen sein, dass das auch nicht kritisch ist, weil nachts auch der Bedarf sonst nicht so hoch ist, und dann kann Wind, der zurzeit vielleicht sehr stark weht, sehr opportun sein, genutzt zu werden in einer bestimmten Nacht oder in mehreren Nächten. Lastmanagement wird auch zum neuen Energiesystem gehören.

Heinemann: Und im ungünstigsten Fall wäre es so, dass einige Autos dann nicht tanken könnten, wobei eine Million ja nicht viel ist bei einem Wagenpark von über 50 Millionen Fahrzeugen.

Stamatelopoulos: Ja! Deswegen sprach ich vorher von der disponiblen Leistung. Die müssen wir uns vorhalten. Die müssen wir aufbauen. Momentan sind das, was wir zur Verfügung haben, die Kohlekraftwerke und die Gaskraftwerke, also konventionelle Technologie, und wir müssen bis zum Kohleausstieg auch andere Quellen für disponible Leistungen entwickeln auf Basis von erneuerbaren Energien.

"Ich glaube, die Energiewende hat bereits die Energiewirtschaft verändert"

Heinemann: Geht das auf Basis von Erneuerbaren?

Stamatelopoulos: Ja! – Schauen Sie, es gibt den politischen Beschluss, bis 2050 klimaneutral zu sein. Deutschland ist hier nicht alleine. Auch die Europäische Union mit dem Green Deal Projekt geht in dieselbe Richtung. Und wenn man die Vorsätze des neuen Präsidenten der USA auch richtig deutet, wird es da auch Konsens geben, dass wir uns in diese Richtung bewegen und kompatibel zum Pariser Abkommen sind.
Um das zu schaffen, müssen wir CO2-neutral sein. Wir müssen eine Methode finden, eine Technologie finden, wo wir kein CO2 produzieren bei der Stromerzeugung, und dafür sind die erneuerbaren Energien prädestiniert.
Wir haben nicht viel Zeit bis 2050. Wir müssen auch schon heute starten, damit wir dieses Ziel erreichen können.

Heinemann: Wird diese Energieversorgung konkurrenzfähig und bezahlbar sein?

Stamatelopoulos: Das ist das Ziel. Auf der einen Seite brauchen Sie einen Aufbau der Infrastruktur, damit Sie das schaffen. Auf der anderen Seite haben Sie den großen Vorteil, dass Sie keine Brennstoffkosten mehr haben. Der Brennstoff ist quasi die Sonne und der Wind, die nichts kosten.

Heinemann: Herr Stamatelopoulos, zur Energiewende gehört unter anderem der Gedanke, dass Kommunen oder sogar Bürgerinnen und Bürger etwa von Windrädern, die in ihrer Nähe errichtet werden, profitieren sollen und nicht mehr nur große Konzerne. Wie wird die Energiewende die Energiewirtschaft verändern?

Stamatelopoulos: Ich glaube, die Energiewende hat bereits die Energiewirtschaft verändert. Das sehen Sie an allen Energieversorgungsunternehmen, an allen Mitgliedern vom VGB, die sehr aktiv mittlerweile beim Aufbau der erneuerbaren Energien unterwegs sind.
Sie haben das angesprochen jetzt mit den Kommunen. Das ist auch Teil der Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, des EEG, wo ab jetzt die Möglichkeit besteht, Kommunen mit einzubeziehen und auch eine Abgabe an die Kommunen zu geben für lokale Projekte, für dezentrale Projekte, damit die Akzeptanz der erneuerbaren Energien auch erhöht wird.

"Ich glaube, die Netzstabilität ist ein Risiko"

Heinemann: Welche Rolle werden denn die jetzigen Unternehmen der konventionellen Energiewirtschaft in Zukunft noch spielen?

Stamatelopoulos: Ich glaube, die meisten von uns haben bereits angefangen Richtung Ausbau der erneuerbaren Energien und spielen mittlerweile auch eine sehr große Rolle in diesem Segment. Es gibt auch einige, die noch sehr fokussiert auf die konventionellen Energien sind. Ich glaube, für diese Unternehmen ist das Thema disponible Leistung, das ich angesprochen habe, Anlagen bauen und betreiben, die zum Beispiel für die Produktion von Wasserstoff verantwortlich sein werden. Das kann ein Geschäftsmodell sein.
Wissen Sie, wenn wir über dieses Thema Energiewende sprechen, dann sprechen wir auch über eine komplette Elektrifizierung der Wirtschaft. Ich habe vorhin über den Verkehr gesagt, alles wird am Ende mit Strom zu tun haben, und da sind die Energieversorger dafür prädestiniert, eine Rolle zu spielen in diesen Segmenten.

Heinemann: Welche sind aus Ihrer Sicht, Herr Stamatelopoulos, die größten Risiken der Energiewende?

Stamatelopoulos: Ich glaube, die Netzstabilität ist ein Risiko. Mit dem Vorfall, mit dem wir am Anfang zu tun hatten, scheinen die erneuerbaren Energien nichts zu tun zu haben. Nichts desto trotz ist es uns bewusst, dass das System volatiler wird.
Das andere Risiko ist, dass wir in eine endlose Schleife der Subventionierungen reinkommen und die Marktfähigkeit der Erneuerbaren bremsen oder immer nach hinten schieben. Zu diesem letzteren Punkt gibt es Gott sei Dank auch Zeichen, dass es anders funktioniert. Ich möchte hier zwei Projekte der ENBW benennen. Das ist ein Offshore-Windpark, der zirka 2025 ans Netz gehen soll und ohne Förderung Strom produzieren soll, und auch ein Fotovoltaik-Park in Brandenburg, auch von der ENBW, der bereits in Betrieb genommen wurde und auch ohne Förderung funktioniert, zu hundertprozentig am Markt besteht.

Heinemann: Welche Rolle sollte die Energiepolitik in der Energiewirtschaft spielen?

Stamatelopoulos: Ich glaube, wir brauchen einen stabilen Rahmen. Die Rahmenbedingungen sollen sich nicht jedes Jahr ändern oder novelliert werden, wie es leider bis jetzt der Fall war. Den stabilen Rahmen brauchen wir, weil die Investitionen, die wir tätigen, für 25 Jahre oder für 30 Jahre in Betrieb bleiben. Und dann soll dieser Rahmen auch eine Marktkomponente haben, die es den Erneuerbaren erlaubt, am Markt teilzunehmen.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.