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Expertentagung auf der Gamescom
Games-Technologie für Innovationen in der Medizin

Auf dem Gamescom-Kongress am Rande der Spielemesse geht es auch um wirtschaftliche Trends. So kommt Technologie aus der Games-Branche zunehmend auch bei innovativen Behandlungsmethoden in der Medizin zum Einsatz, etwa in Form von spielerischen Apps für Diabetiker oder VR-Brillen in der Chirurgie.

Maximilian Schönherr im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Virtual-Reality-Brille im Operationssaal am Honghui Hospital im chinesischen Xi'an Foto: Lao Qiang/Imaginechina/dpa |
    Virtual-Reality-Brille im Operationssaal (Imaginechina / dpa)
    Lennart Pyritz: Zur Zeit findet in Köln die größte Messe für Computerspiele statt, die Gamescom. Parallel dazu, in einem abgetrennten Bereich, und nur gestern, der Gamescom Congress. Schon die eigentliche Messe wurde am Dienstag von politischer Prominenz eröffnet. Auch der Kongress startete am Mittwoch mit einer "Debattle Royal" - hohen Vertretern von CDU, SPD, den Grünen, der FDP und der Linkspartei. Was, Maximilian Schönherr, haben die mit Computerspielen zu tun?
    Maximilian Schönherr: Der kulturelle Wert und damit die Förderung von Computerspielen steht im Koalitionsvertrag. Dass die Spiele damit aus der Schmuddelecke heraus und vorzeigbar sind, auch unter älteren Politikern, die allenfalls einmal Tetris gesehen haben, hat auch knallharte wirtschaftliche Gründe. Eine Branche mit einigen Millionen Euro Umsatz kann man wahrnehmen, eine mit einer Milliarde Euro muss man wahrnehmen. Auf der Podiumsdiskussion gestern kam man schnell auf mindestens so große Themen: Um online zu spielen, braucht es einen Netzausbau. Der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil wies ganz richtig darauf hin, dass man in vielen ländlichen Gegenden Deutschlands nicht einmal Youtube-Videos gucken kann. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte, beim Netzausbau fehlten genügend hochwertige Glasfasern - und Tiefbaufirmen, die sie unterirdisch verbauen. Sogar die Zuwanderungspolitik spielte mit herein: Wir brauchen talentierte Menschen, gleich welchen Alters und welcher Herkunft, mit und ohne Hochschulabschluss, die den deutschen Computerspielemarkt nach vorn bringen können.
    Augmentierte Realität - auch in der Chirurgie einsetzbar
    Pyritz: Reagiert auch die Wissenschaft auf den Erfolg dieses Genres?
    Schönherr: Ja, sie reagiert. Sie könnte auch agieren, aber sie reagiert, ganz wie die Politik. Ein zentrales Thema ist die Medizintechnik. Davon handelte gestern auf dem Gamescom-Kongress der ganze Nachmittag. Moritz Queisner von der Humboldt-Universität stellte eine Augmented Reality-Visualisierung für die Herzkranz-OP an der Charité vor. Der Chirurg blickt durch eine spezielle Brille auf den realen, geschlossenen Brustkorb des Patienten und sieht eingeblendet das Herz im Inneren genau dieses Patienten.
    Pyritz: Wird das schon eingesetzt?
    Schönherr: Noch lange nicht im Operationssaal, aber schon jetzt in der Schulung - wo ja klassisch mit sehr guten Videos gearbeitet wird, aber ohne ein Gefühl für den Raum, also wie das Herz in 3D im Brustkorb sitzt. Queisner sagte gestern, man braucht das Wissen aus der Games-Branche, um die "tradierte Sehschule in den Kliniken" aufzubrechen.
    Pyritz: Worin besteht das technische Problem, die Augmentierte Realität im OP-Alltag einzusetzen?
    Schönherr: Man muss den Raum und den Patienten vorher volumetrisch vermessen, also ein komplettes 3D-Modell des OP-Szenarios aufbauen. Diese Vorbereitung ist komplex und passt nicht in den Routine-Alltag eines Chirurgen. Die Sterilität der Geräte, der Brille, der angeschlossenen Kabel, ist ungeklärt. Und vor allem fehlen Machbarkeitsstudien. Sprich: Stimmt das projizierte Bild auch mit dem überein, was sich tatsächlich im Inneren des Patienten befindet? Wird mir ein Blutgefäß als intakt gezeigt, obwohl ich es bereits laparoskopisch durchtrennt habe? Denn die Verzögerung – Latenz – ist bei Tätigkeiten, die schnell und präzise vonstatten gehen sollen, nicht tolerierbar, bei Augmented Reality aber ein Problem der Rechenpower, das auch Computerspieler gut kennen.
    "Serious Games" - nicht nur für junge Patienten
    Pyritz: Auf anderen Gebieten ist die Medizin mit Computerspielen schon weiter, nämlich etwa bei den spielerischen Hilfestellungen für Diabetiker?
    Schönherr: Das Beispiel wurde gestern von der Pharmakologin Ursula Kramer als vorbildlich genannt. Sie leitet eine Bewertungsplattform für Gesundheitsapps. Im Fall von Diabetes lizenziert der Patient eine App und die dazu gehörige Peripherie, also Blutzuckermessgerät, Teststreifen. Die App motiviert, bilanziert, und sie erklärt Zusammenhänge. Ganz wie bei einem Computerspiel tauchen darin Comicfiguren auf, die man vielleicht nicht lieb gewinnt, aber an die man sich gewöhnt. Solche Spiele heißen "Serious Games", also ernste Spiele, und sie enthalten auch interaktive Elemente, als Figuren, die man streicheln oder über Hindernisse bewegen kann. Denn die Zielgruppe sind auch Kinder mit Schwachsichtigkeit, ADHS, für krebskranke Kinder, für Jugendliche mit schweren Depressionen und vieles mehr.
    Pyritz: Würde so etwas auch eine klassische Computerspiele-Firma, die Autorennspiele vermarktet, herstellen? Oder sind das zwei Welten?
    Schönherr: Sie wird es selbst nicht tun, sondern ihr Know-how einbringen, eine an sich trockene Anwendung ansprechend zu gestalten. Ihr, wie man sagt, ein ordentliches UX-Design zu verpassen, und die Game Engine zu programmieren. Was einer klassischen Game-Firma fremd ist, sind die Zertifizierungsmechanismen. Denn es handelt sich nämlich um Medizinprodukte. Wenn eine Smartwatch den Blutdruck überwacht, fällt die App, die wie ein Computerspiel aussieht, nicht mehr in die Medizin-Zulassungskategorie 1, unter die zum Beispiel ein Schrittzähler fiele, sondern in Klasse 2A, wo es um die Patientensicherheit geht. Es gibt über Bluetooth mit dem Handy verknüpfte Spirometer, um Asthmapatienten zu unterstützen, zu warnen, zu informieren. Ulrich Schulze-Althoff, Gründer einer eHealth-Firma, sagte in seinem Vortrag gestern Nachmittag: Klassische Medizinprodukte haben eine Einsatzdauer von zehn Jahren, bis man eine neue Version auf den Markt bringt. Bei Medizin-Apps gelten dagegen wie bei Computerspielen Aktualisierungszyklen von wenigen Wochen. Und jedes Update muss wieder die Zertifizierung als Medizinprodukt durchlaufen. Seine Firma zahlt nur für den Unterhalt und die Updates pro Monat 30.000 €, und die muss man erst einmal verdienen.
    Pyritz: Wenn man bis zum Wochenende auf die Gamescom geht, kann man Medizin-Spiele sehen?
    Schönherr: Ob man im enormen Trubel der Messe überhaupt etwas sieht, sei dahingestellt. Sie ist so voll wie nie zuvor. Medizinspiele habe ich nicht gesehen, aber Landwirtschaftssimulationen.
    Pyritz: Für Biobauern?
    Schönherr: Also der Farming Simulator 19 kommt aus der Schweiz, zielt aber auf den typischen Computerspieler. Und der will Maschinen, die in kurzer Zeit viel ernten. Der reitet über seine Farm und sieht in den Schweinen keine Lebewesen, sondern Kapitalanlagen. Immerhin wird jetzt Sonnen- und Windenergie gefördert – im Landwirtschafts-Simulator.