Nach den Weihnachtsfeiertagen soll in Deutschland geimpft werden. Klar ist: Der verfügbare Impfstoff wird nicht sofort für alle reichen. Deshalb hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag vor Weihnachten (18.12.2020) eine Impfverordnung unterzeichnet. Anders als von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen unterscheidet diese nur drei Gruppen, nicht fünf, die nacheinander geimpft werden sollen. Höchste Priorität haben dabei Hochbetagte, Heimbewohner und Pflegekräfte.
Cornelia Betsch ist Professorin für Gesundheitskommunikation an der Uni Erfurt. Drei oder fünf Kategorien - Betsch sieht in Spahns Verordnung die von Stiko, Deutschem Ethikrat und Leopoldina empfohlenen Kriterien erfüllt und glaubt, diese Prioritätensetzung werde auch auf die Akzeptanz der Bevölkerung treffen. Auch weil sie einfach sei.
"Einfache Regeln sind besser als komplizierte"
Nichtsdestotrotz mahnt Betsch gute und transparente Kommunikation an. Die Menschen wollten eine informierte Entscheidung treffen - bisher fehlten noch die Portale, bei Verbrauchern und auch Ärzten seien viele Fragen offen. Politik und Medien müssten auch sensibel kommunizieren. Berichte über Impf-Nebenwirkungen werden durch die Medien gehen, glaubt Betsch. Dabei gehe es um Transparenz, wie Wissenschaft und Politik damit umgehen - und darum, dass Medien nicht unangemessen zuspitzen und etwa Impfmüdigkeit herbeischreiben.
"Ich habe jetzt durchaus schon Zeitungsartikel gesehen, wo ich mich auch geäußert habe, wo ich mir dann die Haare raufe, was für Überschriften generiert werden. Es werden Zweifel gesät, es wird Unsicherheit propagiert", kritisierte Betsch im Interview mit dem Dlf.
Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Jens Spahn hat sich hinweggesetzt über die Empfehlungen der Impfkommission, der Wissenschaftler der Leopoldina und des Ethikrates. Wie bewerten Sie diese Entscheidung des Bundesgesundheitsministers, nur drei statt der empfohlenen fünf, sechs Kategorien?
Betsch: Na ja. Letztendlich macht es das Ganze vielleicht erst mal einfacher. Das, was wir in den Studien, die wir jetzt ja seit März durchführen, immer wieder sehen ist, dass einfache Regeln immer besser sind als komplizierte Regeln. Wenn ich mir anschaue, was die Bevölkerung sagt, welche Gruppen sollen eigentlich priorisiert werden, dann sind die Gruppen, die auch nach der Ansicht der Bevölkerung ganz vorne stehen, jetzt auch ganz vorne. Vor allem das Personal, das gefährdet ist, und ältere Menschen – und die sind ja jetzt auch priorisiert. Ich denke, dass das schon auf Akzeptanz treffen wird, zumindest in der breiten Bevölkerung.
Heinlein: Die Wissenschaft macht es kompliziert, die Politik macht es dann einfacher, und das ist richtig aus Ihrer Sicht, Frau Betsch?
Betsch: Na ja, so ist es ja meistens, wenn Wissenschaft anfängt, dass erst mal sehr viele Wenns und Abers und "Das müssen wir auch noch bedenken" mitschwingen. Ich denke, das muss am Ende auch umgesetzt werden. Wir sehen ja auch immer, dass Impfen besonders einfach gemacht werden sollte. Das ist eigentlich ein Leitspruch, der über allem stehen sollte. Das ist jetzt eher so eine anekdotische Evidenz. Ich weiß, dass viele Leute sich fragen, wann bin ich eigentlich dran, und es ist jetzt auch noch nicht so klar, wo man eigentlich hingeht für gute Informationen. Es fehlen irgendwie noch die Portale. Es ist zwar versteckt auf verschiedenen Seiten, aber auch wenn man Hausärzte fragt, wissen die auch noch nicht ganz genau, wie es weitergeht. Da besonders einfache Regeln zu haben, ist, glaube ich, jetzt besonders für den Anfang eine sehr gute Idee.
Empfohlene Kriterien erfüllt
Heinlein: Damit sind wir beim Stichwort Akzeptanz und beim Stichwort Gerechtigkeit. Beides haben Sie gerade schon genannt in Ihren Antworten. Lässt sich denn mit so einem Impfkatalog überhaupt Gerechtigkeit herstellen, oder wird es immer Menschen oder auch Gruppen von Menschen geben, die sich durch eine solche Priorisierung benachteiligt fühlen?
Betsch: Menschen, die dagegen sind und sich benachteiligt fühlen, wird es letztendlich immer geben. Man kann es am Ende nicht immer allen recht machen. Aber es gab ja von der Leopoldina und dem Ethikrat sowie der Stiko festgelegte Kriterien und die werden sowohl durch die Spahn-Version als auch durch die Stiko-Version erfüllt. Das waren vier Kriterien: der Schutz von Personen, die einen besonders schweren Verlauf haben könnten oder ein höheres Infektionsrisiko aufgrund ihres Berufes, dann die Übertragung des Corona-Virus soll verhindert werden und das öffentliche Leben soll aufrecht erhalten bleiben. Diese Kriterien haben wir auch abgefragt und gerade der Schutz der vulnerablen Gruppen, der ist für alle Leute besonders wichtig, und das spiegelt sich jetzt auch in letztlich beiden Versionen der Priorisierung wieder.
Heinlein: Ich versuche, es einmal runterzubrechen. Warum wird eine Verkäuferin an der Supermarktkasse nicht sofort geimpft, in der ersten oder zweiten Kategorie? Sie hält ja den Laden für uns alle täglich am Laufen und hat Hunderte Kontakte mit den Menschen. Ist das gerecht gegenüber einem Polizisten oder gegenüber einem Feuerwehrmann, der ja in der zweiten, dritten Kategorie auftaucht, eine Verkäuferin nicht?
Betsch: Das kann ich Ihnen jetzt sehr schlecht beantworten. Ich glaube, im Moment ist die höchste Priorität, wegzukommen von den unglaublichen Todeszahlen, die wir haben. Wir haben im Moment eine Knappheit des Impfstoffs, und deswegen, denke ich, ist es auch gerechtfertigt zu sagen, da wo das Leid am größten ist, wird jetzt als erstes interveniert. Wie es dann weitergeht, das wird ja auch immer wieder kommuniziert, dass die Stiko-Empfehlungen zum Beispiel vielleicht sogar im Januar schon wieder überarbeitet werden könnten, je nachdem wie der Impfstoff verfügbar ist und so weiter, das ist ja nicht in Stein gemeißelt für alle Ewigkeiten. Aber man muss einfach irgendwo anfangen, und gerade wenn der Impfstoff knapp ist, ist es, denke ich, aus meiner Sicht, aber auch aus dem, was ich aus den Befragungen sagen kann, wie die Bevölkerung das sieht, schon so, dass die, die am größten ein Risiko haben, erst mal als erstes geschützt werden sollen.
"Sensible Kommunikation notwendig"
Heinlein: Frau Betsch, Sie sind Professorin für Gesundheitskommunikation. Deswegen an Sie die Frage: Wenn es in den kommenden Tagen und Wochen nach Beginn der Impfungen Meldungen geben wird – und das haben wir ja schon aus Großbritannien und aus anderen Ländern, wo bereits geimpft wird, gehört – über allergische Reaktionen oder Ähnliches, welchen Effekt wird dies haben auf den Gemütszustand der Menschen und wie sollte Politik das kommunizieren?
Betsch: Das sind ganz kritische Situationen. Es ist natürlich richtig, dass man ganz genau aufpasst, was nach Impfungen passiert, und das wird ja auch getan. Das Paul-Ehrlich-Institut verfolgt die Verdachtsfälle ganz akribisch, und die werden auch sofort gemeldet. Was wir aus vorherigen Kampagnen wissen ist, dass solche Einzelfälle, wenn so was passiert, in die Medien gehen, und die machen eine sehr erhöhte Risikowahrnehmung. Das wird dann kritisch sein, wie damit umgegangen wird, und ich glaube, zwei Dinge sind da wichtig, jetzt auch vielleicht im Vorhinein schon zu kommunizieren. Das Erste ist wichtig, dass klar ist, wie wird eigentlich mit solchen Verdachtsfällen umgegangen, wie wird das nachverfolgt, wie wird versucht, da herauszufinden, ob das damit zusammenhängt. Und es ist aber auch, glaube ich, noch mal wichtig, dass wir uns klarmachen, dass jetzt auch Gruppen geimpft werden, die älter sind und wo vielleicht auch jetzt ohne Impfung eher mal was passiert.
Es gab jetzt auf Twitter schöne Beispiele dafür. Wenn Sie zehn Millionen Menschen in ein Stadion stellen und ihnen über den Oberarm streicheln, anstatt sie zu impfen, werden von diesen zehn Millionen Erwachsenen 14.000 in den nächsten zwei Monaten versterben. Dann kann man sich fragen, ist das gekommen, weil man sie gestreichelt hat, oder sind sie sowieso gestorben. Das sollte nicht das Ganze verharmlosen, aber es soll zu der Information, wie Verdachtsfälle nachverfolgt werden, noch die Information ergänzen, dass es gewisse Dinge gibt, die sowieso passieren, die auch tragisch sind, aber wo man nicht von vornherein annehmen muss, dass es zwingend mit der Impfung zusammenhängt. Da wird sicherlich eine sensible Kommunikation notwendig sein.
"Die Leute möchten informierte Entscheidungen treffen"
Heinlein: Könnte es dennoch, trotz einer sensiblen Kommunikation, die Sie fordern, zu einer steigenden Impfmüdigkeit in Teilen der Bevölkerung kommen? Denn es ist ja jetzt schon messbar – und das haben Sie unter anderem gemessen -, dass nur ein Teil der Bevölkerung sofort bereit ist, sich impfen zu lassen.
Betsch: Wir sind im Moment bei ungefähr 50 Prozent. Mir ist es aber auch ganz wichtig, dass wir jetzt hier nicht sagen, es ist alles verloren, es ist eine riesige Impfmüdigkeit, sondern wir müssen sehr genau gucken, was die Leute brauchen und wollen. Im Moment sagen die Umfragen sehr klar, die Leute möchten informierte Entscheidungen treffen, sie wollen was wissen über die Sicherheit der Impfung. Das ist ja auch ein neues Produkt, das ist auch klar, dass das ein wichtiges Entscheidungskriterium ist. Deswegen geht es im Moment wirklich um die Wurst, dass auch diese Impfmüdigkeit durch die Medien nicht herbeigeschrien wird. Ich habe jetzt durchaus schon Zeitungsartikel gesehen, wo ich mich auch geäußert habe, wo ich mir dann die Haare raufe, was für Überschriften generiert werden. Es werden Zweifel gesät, es wird Unsicherheit propagiert. Menschen haben Fragen, sie haben Recht auf Antworten und die müssen gegeben werden. Manchmal dauert es einfach eine Weile, bis diese Antworten da sind. Zum Beispiel ist die Impfung ja noch nicht zugelassen. Informationen über die Sicherheit werden kommen. Ich denke, dass das dann auch noch was an der Impfbereitschaft machen wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.