Interview der Woche
Explosion von Pagern im Libanon vom Kriegsrecht gedeckt? Völkerrechtler Kreß hält das Vorgehen für "problematisch"

Völkerrechtler bewerten die koordinierte Sprengung der Kommunikationskationsgeräte von Hisbollahkämpfern im Libanon unterschiedlich. Bei der Detonation von Pagern und Funkgeräten sollen fast 40 Menschen getötet und Tausende verletzt worden sein, vor allem Mitglieder der Schiiten-Miliz. Es gab aber auch zivile Opfer.

    Porträt des Völkerrechtlers Claus Kreß im Saal des internationalen Gerichtshof in Den Haag, 2019.
    Man müsse fragen, ob vom Verursacher der Explosionen im Vorfeld alles getan wurde, um die zivilen Begleitschäden zu begrenzen, sagt Völkerrechtler Claus Kreß. (Getty Images / Anadolu Agency / International Court of Justice)
    Der Völkerrechtler Prof. Claus Kreß von der Universität Köln gab im Interview der Woche des Deutschlandfunks eine vorsichtige Einschätzung ab. Noch sei vieles unklar, aber nach dem Kriegsrecht wäre das Vorgehen höchst problematisch. Gesetzt den Fall, dass Israel für die Detonationen verantwortlich ist, wovon viele Experten und Medien ausgehen, müssen nach Angaben des Völkerrechtlers folgende Fragen beantwortet werden: Waren die Sprengfallen nur gegen Hisbollah-Kämpfern gerichtet? Sie dürfe Israel nach dem Recht des bewaffneten Konflikts gezielt bekämpfen. Und hat Israel alles getan, um Schäden für die Zivilbevölkerung auf ein "nicht-exzessives Maß" zu begrenzen?
    Das seien die Maßstäbe des Kriegsrechts, sagte Kreß. Er betonte, auch der Verteidiger in einem Krieg sei an das Völkerrecht gebunden. Insbesondere dürfe er keine Kriegsverbrechen begehen. Kreß ist auch Berater des Anklägers am Internationalen Strafgerichtshof in den Haag.

    Einschätzungen gehen auseinander

    Für Andrew Clapham vom Genfer "Graduate Institute" gibt es keinen Zweifel, dass der Angriff gegen internationales Recht verstößt. Er sagte der dpa, der Einsatz von Sprengfallen - also an sich harmlosen Objekten, die man zur Waffe gemacht habe - sei verboten. Ähnlich äußerte sich im Tagesspiegel Elisabeth Hoffberger-Pippan vom Leibnitz-Insitut für Friedens und Konfliktforschung Frankfurt.
    Ihre Kollegin Elvira Rosert von der Universität Hamburg indes betonte, diese Auslegung sei mitnichten so eindeutig. Auf der Plattform X verwies sie auf Ausnahmeregelungen. Sprengfallen dürften kein "unnötiges Leid" verursachen. Auch Thomas Burri von der Universität St. Gallen äußerte sich in diese Richtung. In einem bewaffneten Konflikt - und das sei die Konfrontation zwischen Israel und Hisbollah nach seiner Auffassung - seien feindliche Kämpfer und militärisch genutzte Kommunikationssysteme legale Ziele.

    Politiker und UNO wollen diplomatische Lösung

    Auch Politiker westlicher Staaten und die UNO hinterfragen die Aktion kritisch und sprechen sich für eine diplomatische Lösung zwischen Israel und der Hisbollah aus. Ein Sprecher der UNO-Friedenstruppe Unifil im Süden des Libanon forderte eine sofortige Deeskalation. Es sei eine massive Zunahme der Feindseligkeiten über die Grenze hinweg zu beobachten.
    Ein Sprecher von US-Präsident Biden sagte gestern Abend, eine diplomatische Lösung sei die beste Option und immer noch möglich. Frankreichs Präsident Macron erklärte in einer an das libanesische Volk gerichteten Videoansprache, niemand könne Interesse an einem Krieg haben. Die Regierung in Beirut müsse dies verhindern.
    Unionsfraktionsvize Wadephul bezeichnete Israels aktuelles Vorgehen als "schwer nachvollziehbar" bezeichnet. Es stelle sich die Frage, ob wirklich alle Möglichkeiten einer friedlichen Beilegung der beiden Konflikte im Gazastreifen und im Libanon ausgeschöpft seien, sagte der CDU-Außenpolitiker im RBB. Man sehe zu wenig Schritte der Deeskalation.
    Diese Nachricht wurde am 20.09.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.