Am 1. Mai öffnet die Expo 2015 in Mailand ihre Tore. Eine ganz andere Weltausstellung als alle Bisherigen soll es werden. Keine reine Ausstellung, sondern ein Austausch von Ideen rund um die Themen Ernährung, Nachhaltigkeit, Ressourcenschutz. "Feed the planet, energy for life" lautet das Motto. Workshops und Debatten für das Publikum, gezieltes Zusammenführen von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern – so das Konzept.
"Die Vision war ein Weltereignis mit sozialem Anspruch nach Mailand zu holen", sagt der Architekt Andreas Kippar.
"Mailands damalige Bürgermeisterin wollte alles allein entscheiden, so wie eine Gräfin in der Renaissance das getan hätte", sagt der Journalist Gianni Barbacetto.
"Das eigentliche Thema: Mailand, wohin? Sie hat es als Einzige so verinnerlicht, dass sie gemerkt hat: Wir brauchen einen großen Event, um Mailand zu positionieren."
Mailand: wohin? Italien: wohin? Das Land sucht nach Wegen aus der Wirtschaftskrise, die nun schon sieben Jahre andauert und die das Selbstbewusstsein der Italiener massiv erschüttert hat. Von der einstmals sechst-stärksten Industrienation der Welt ist Italien auf einen Platz irgendwo knapp vor oder schon neben Griechenland geschlittert. Ein Schock, ein Wendepunkt in der historischen Entwicklung des Landes. Statt weiter aufwärts, ging es mit einem Mal rasant abwärts, wirtschaftlich und moralisch. Viele Unternehmen mussten schließen, und die Politiker stritten um ihre Bezüge und Privilegien. Die Bürger verloren das Vertrauen und die Arbeiter ihre Jobs. Dann kam Matteo Renzi, der einen radikalen Wandel versprach, eine Revolution. Seit einem Jahr regiert der 40-Jährige nun mit seiner jungen Mannschaft das Land - und der Eindruck drängt sich auf, dass die versprochene Revolution sich, wenn überhaupt, dann schleichend vollzieht. Italien hängt in der Schwebe und sucht nach seiner Identität, nach seiner Zukunft. Und die Expo spaltet die Italiener in Befürworter und Gegner einer bestimmten Vorstellung von der Zukunft. Der Landschaftsarchitekt Andreas Kippar, seit fast 30 Jahren in Mailand tätig, ist ein engagierter Befürworter.
"Für die Stadt hat es schon geklappt. Mailand hat einen Termin, es wird gearbeitet. Es ist Leben, weil man weiß, es kommen viele Menschen und weil man weiß, wir sind in einem Prozess, wir sind noch nirgendwo angekommen. Mailand gibt sich nicht als die Stadt, die schon irgendwo angekommen ist, sondern als eine Stadt, die sucht."
Schwierige wirtschaftliche Lage
Kippar verbreitet genau die Begeisterung und den Optimismus, den sich Italiens Regierungschef Matteo Renzi wünscht, ja, den er dem Land verschrieben hat, als Rezept gegen die Krise. Renzi hängt einem Teil der Italiener inzwischen zum Hals heraus. Einen Sprücheklopfer, nennt ihn der Mailänder Journalist Gianni Barbacetto.
"Renzi hat eine große Tat vollbracht: Er hat Italien von Berlusconi befreit, das muss man ihm zugestehen. Aber er ist Berlusconi leider sehr ähnlich. Ich erinnere mich, dass er eine Reform pro Monat versprach. Gesehen habe ich davon bisher wenig. Kleine Veränderungen, meines Erachtens nach vor allem Verschlechterungen, mehr nicht."
Gianni Barbacetto ist ein Gegner der Expo. Seiner Meinung nach hätte man angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der Italien ist, besser daran getan, auf das Großevent zu verzichten.
"2008, als Mailand den Zuschlag für die Expo bekam, waren alle begeistert. Aber die Ernüchterung kam mit der Erkenntnis, dass wir dafür Schulden aufgenommen haben, die noch lange auf uns lasten werden."
160 Millionen Euro, um genau zu sein. Für diese Summe haben die Stadt Mailand und die Region Lombardei das Expo-Gelände an der nördlichen Peripherie gekauft.
"Statt die Expo auf einem brachliegenden Gelände der Stadt Mailand zu veranstalten, das den Steuerzahler nichts gekostet hätte, wurde ein Grundstück ausgewählt, das man kaufen musste. Und was für eins. Mehr als eine Million Quadratmeter eingezwängt zwischen zwei Autobahnen, einer Bahntrasse, einem Friedhof und einem Gefängnis. Der Wert lag damals bei maximal 20 bis 25 Millionen Euro."
Warum mehr als das Sechsfache bezahlt wurde? In seinem Buch über die Hintergründe der Expo-Vorbereitungen beschreibt Gianni Barbacetto, wie der damalige Präsident der Region Lombardei Roberto Formigoni die Kassen der verschuldeten Messegesellschaft, der er vorsaß, sanieren wollte und in der Expo die richtige Gelegenheit dazu fand. Denn ein nicht unerheblicher Teil des Geländes, das er für die Weltausstellung auswählte, gehörte der Messegesellschaft.
"Stadtrat und Regionalregierung verstecken sich hinter der Bewertung durch eine ebenfalls öffentliche Agentur und sagen, sie hätten den Preis nicht bestimmt, sondern das bezahlt, was die Agentur als Marktwert angab. Sie hätten das Gelände wesentlich günstiger haben können, indem sie es im Interesse der Allgemeinheit verstaatlichten; die italienischen Gesetze erlauben das. Stattdessen haben sie entschieden, 160 Millionen Euro zu bezahlen."
Finanza allegra
Roberto Formigonis vierte Amtszeit als Präsident der Region Lombardei wurde von Korruptionsskandalen überschattet. Mehrere Mitglieder seiner Regierung kamen in Untersuchungshaft, auch gegen ihn selbst wurde Anklage erhoben, wegen Korruption und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Und was in Mailand geschah, wurde in Rom kopiert. In noch größerem Stil. Der dortige rechte Bürgermeister Gianni Alemanno hatte die öffentliche Verwaltung mit Günstlingen besetzt, befreundete Unternehmer mit Aufträgen versorgt, den Staatsapparat aufgebläht und die römische Stadtkasse schwer belastet. "Finanza allegra" hieß das zu Andreòttis Zeiten, was so viel bedeutet wie: "fröhliches Schuldenmachen".
Aber "Finanza allegra" kann sich Italien nicht mehr leisten, seitdem die EU wie eine strenge Gouvernante die Haushaltsführung überprüft. Gianni Alemanno hinterließ einen wirtschaftlichen Scherbenhaufen, den der auf ihn folgende Bürgermeister aus dem linken Spektrum immer noch aufkehrt. Auch in Mailand regiert inzwischen ein linker Bürgermeister: Giuliano Pisapia. Als der Anwalt und Intellektuelle die Stadt nach fast 20 Jahren den Berlusconi-treuen Politikern entriss, dachten viele, er würde die Expo absagen. Zum Glück hat er das nicht getan, meint Landschaftsarchitekt Andreas Kippar.
"Vielleicht ist es heute noch schwierig, die Gesamtlage zusammenzufassen, aber das wird schön rauskommen und viele der Besucher werden mit einem ganz anderen Bild von Mailand zurückfahren."
Und auch von Italien? Bisher legte die Expo eigentlich genau den Finger in die Wunde, warf ein Schlaglicht auf die typischen Probleme Italiens und sorgte für negative Schlagzeilen im In- und Ausland. Verschwendung öffentlicher Gelder, Korruption, Mafia. Verhaftungswellen, Razzien im großen Stil. Die Mailänder Staatsanwältin Ilda Boccassini ist den Bossen auf der Spur. Sie hat Jahre lang in Palermo gegen Cosa Nostra ermittelt und eine ganze Reihe von Festnahmen in Zusammenhang mit der Expo 2015 veranlasst. Aber nicht nur Mafiosi landeten hinter Gittern, auch Politiker und hohe Angestellte der Region Lombardei, die die Bauaufträge vergaben. Ohne Verbindungen in die Politik könnten die Kriminellen nicht so agieren wie sie es in der Lombardei tun, erklärt Ilda Boccassini.
"Im Unterschied zur Cosa Nostra, die linke Parteien hasst, ist die Ndrangheta politisch neutral. Sie unterstützt jeden Politiker, der ihr bei ihren Geschäften hilft."
Eine große Hilfe für die Organisierte Kriminalität war auch die Dringlichkeit, mit der die Bauten für die Expo zum Schluss vorangetrieben werden mussten. Denn unter dem Vorbehalt der Dringlichkeit lassen sich eine Reihe von Gesetzen und Normen umgehen. Der Mailänder Journalist Gianni Barbacetto.
"Du hast einen Wust von Regeln vor dir, die viel zu kompliziert sind und geändert gehören, aber statt die Regeln zu vereinfachen, setzt du dich mithilfe von Dekreten einfach über sie hinweg. Das Schöne an der Dringlichkeit ist, dass du plötzlich eine unglaubliche Entscheidungsgewalt bekommst. So brauchst du keine regulären Ausschreibungen machen und kannst der Korruption Tür und Tor öffnen. Und auch noch Mafiaunternehmen mit Aufträgen versorgen."
Blamage vorprogrammiert?
Doch damit war Schluss, als Matteo Renzi vor einem Jahr den Chef der Anti-Korruptions-Behörde Raffaele Cantone nach Mailand schickte. 60 Firmen wurden von der Riesenbaustelle im Norden der Stadt ausgeschlossen, weil sie nicht sauber waren. Die Arbeiten haben sich dadurch natürlich weiter verzögert. Mailand war damals schon spät dran, und ist es heute umso mehr. Weniger als einen Monat vor Eröffnung ist das Expo-Gelände keineswegs fertig. 3.500 Arbeiter sind auf der Baustelle im Einsatz. Gearbeitet wird sieben Tage die Woche, Tag und Nacht, aber es ist zu spät. Der italienische Pavillon, einer der größten, wird am 1. Mai nur etwa zur Hälfte fertig sein. Statt fünf Stockwerke werden nur zwei öffentlich zugänglich sein. Staatspräsident Sergio Mattarella hat die Einladung nach Mailand wohlweislich ausgeschlagen, eine Blamage scheint vorprogrammiert. Der Expo-Verantwortliche Giuseppe Sala:
"Die Frage, die mir sowohl mein Obsthändler als auch der Ministerpräsident stellen ist: Werden wir fertig? Sagen wir so: Der Teil der Arbeiten, den wir betreuen, also die Plattform und die Infrastruktur, ist an einem guten Punkt. Die Pavillons sind natürlich ein anderes Thema."
Italien hat bereits eine Firma beauftragt, Unfertiges geschickt, zu verbergen, und lässt sich die Camouflage eine Million Euro kosten.
Wichtiger als die Äußerlichkeiten sind für die Befürworter der Expo die Inhalte. Es gehe darum, der Welt zu zeigen, wie innovativ und vorne mit dabei Italien ist und das Thema Ernährung sei dafür gut gewählt, sagt Paolo Zanetti Vizepräsident des Verbandes der Italienischen Lebensmittelindustrie.
"Im Lebensmittelbereich sind wir Spitze. Wir dürfen uns der Welt erhobenen Hauptes zeigen, das können wir uns erlauben. Wir haben kaum Rohstoffe, aber viele geniale Ideen. So sind wir beispielsweise Weltmarktführer beim Kaffee, weil wir den Espresso erfunden haben. Wir haben auch weltbekannte Unternehmen, die Kakao verarbeiten. Das Verarbeiten und Veredeln liegt uns, darin sind wir gut. Das ist 'Made in Italy'."
Hoffnung in die Expo
Paolo Zanetti setzt große Hoffnungen in die Expo. Sein Verband hat einen eigenen Pavillon, wo Delegationen aus dem Ausland bewirtet und Geschäftsbeziehungen geknüpft und intensiviert werden sollen.
"Die Lebensmittelindustrie ist der zweitwichtigste Wirtschaftszweig in Italien, nach Maschinenbau und Feinmechanik. Mit 127 Milliarden Euro Umsatz ist sie ein Schlüsselsektor für die gesamte italienische Wirtschaft. Aber unsere Unternehmen konnten nur dank des gestiegenen Exports überleben. 20 Prozent der Produktion gehen mittlerweile ins Ausland und unser Ziel ist, das weiter zu steigern und der größte Lebensmittelexporteur Europas zu werden."
Italien als post-industrielles Agrarland. Mit High-end-Lebensmitteln, die im Land weiterverarbeitet und dann exportiert werden. Kann das funktionieren? Umgekehrt fragt der Landschaftsarchitekt Andreas Kippar:
"Wo wollen denn die Italiener 2030 stehen? Wollen wir zu dem Agrarstaat der Nachmoderne werden, was Kultur, Boden, Nachhaltigkeit, Energie fürs Leben verbindet oder wollen wir so weiterwurschteln, von allem etwas? Das wird in Zukunft nicht mehr gehen."
Andreas Kippar sieht Italiens Zukunft in der Vergangenheit.
"Dieses 'back to the future' im paradoxen Sinne wäre ja genau das, was man in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts verpasst hat. Mit einer forcierten Industrialisierung: im Golf von Neapel! Da gab es damals auch Gegenstimmen, doch bitte kein Stahlwerk! Da hat sich aber diese industrielle, fortschrittsorientierte Fraktion durchgesetzt."
Und aus Italien ein Industrieland gemacht. Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder, Konsumboom, Autoindustrie, Chemieindustrie, Schwerindustrie. Regionen wie die Lombardei, das Piemont und später Venetien legten eine wirtschaftliche Blitzkarriere hin und katapultierten Italien in die erste Riege der europäischen Staaten. Der Süden blieb zurück, und die wunderschöne italienische Landschaft vielerorts auf der Strecke.
"Und dann kam Piombino, Mestre, Taranto. Und das sind alles Inseln, die wir heute abbauen. Und so wie früher wird's auch nicht mehr. Der Gedanke war ja immer noch: Vielleicht haben wir doch noch mal Glück gehabt und wenn wir heute sagen, dass wird nicht mehr so wie früher und wenn Ihr den Entwicklungen nicht immer nur hinterher laufen wollt, dann bitte setzt euch mal selber Ziele."
Nettoeinkommen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken
Welche Zukunft für Italien? Das Thema beschäftigt Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Politiker. Dabei hat die Zukunft schon begonnen und die jungen Italiener stellen sich auf sie ein. Die Pessimisten wandern aus, am liebsten nach Deutschland. Aber anders als in den 50er- und 60er-Jahren, als Bauern aus dem Veneto und Schafhirten von der Insel Sardinien nach Dortmund, Gelsenkirchen und Essen auswanderten, um Kohle zu fördern und Stahl zu kochen, sind es diesmal die Hochqualifizierten aus den Ballungszentren, die gehen. Sie wollen arbeiten und von ihrer Arbeit leben können. In Italien ist das nicht mehr selbstverständlich. Die Nettoeinkommen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken. Die Optimisten bleiben - und erfinden sich neu. Statt auf eine Festanstellung zu warten, machen sie sich selbstständig. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Italien hat heute Besitzer unter 40 Jahren. Statt in die Fabrik geht es neuerdings wieder auf den Acker. Chiara Tschavolic vom italienischen Bauernverband begrüßt diesen Trend.
"Die jungen Leute spielen dabei eine Schlüssel- und Vorreiterrolle. So haben wir das Projekt einer rein italienischen Produktionskette vom Hersteller bis zum Konsumenten vor allem mit Unterstützung unserer jungen Mitglieder lancieren können. Sie sind eher bereit, sich aus der passiven Rolle des Produzenten in einen aktiven Unternehmertypus weiterzuentwickeln."
Denn ein Problem der italienischen Bauern ist ihre Abhängigkeit von ausländischen Multikonzernen, vor allem französischen und spanischen, die ihnen die Preise diktieren und sich um Weiterverarbeitung, Vertrieb und Verkauf kümmern. Direktverkauf ab Hof, Bauernmärkte und Konsumentengruppen im Internet sollen gegensteuern. Der ehemalige Webdesigner Emanuele Pocci hat mit seinem "Orto online", einem virtuellen Gemüsegarten, großen Erfolg.
"Ich schicke einen wöchentlichen Newsletter an meine Kunden, die sich auf meiner Internetseite registriert haben und informiere sie, welche Gemüsesorten ich in der Woche ernte. Die können sie dann mit ein paar Clicks bestellen."
Ein kleines, aber wegweisendes Beispiel. Das Internet hat neue Möglichkeiten und neue Märkte auch für klein- und mittelständische Unternehmen geschaffen, erklärt Paolo Zanetti Vizepräsident des Verbandes der italienischen Lebensmittelindustrie.
"Unsere Produkte sind von bester Qualität und auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht teuer erscheinen, sind sie ihr Geld wert. In ihnen steckt schließlich das Wissen von Generationen, das wir in die Welt exportieren wollen."
Ab dem 1. Mai soll die Welt nach Mailand kommen, das wünschen sich die Italiener. Und zwar Befürworter und Gegner der Expo gleichermaßen. "Comunque vada, sarà un successo" ist ein italienisches Sprichwort. "Wie auch immer es läuft, es wird ein Erfolg" heißt es übersetzt und es besagt, man ist zum Erfolg verdammt, denn die Würfel sind ja längst gefallen. 20 Millionen Besucher werden offiziell erwartet, bisher sind acht Millionen Eintrittskarten verkauft worden. Die Hotels haben noch genügend Zimmer frei, man hofft auf eine gelungene Eröffnung, die dann massenhaft Besucher anzieht. Was nach der Expo mit dem Gelände geschehen soll, ist ungewiss. Bisher hat sich noch kein Investor, kein potenzieller Käufer gemeldet.