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Expo-Stadt Astana
Atemberaubende Architektur mit ungewisser Beständigkeit

Astana, die Hauptstadt Kasachstans, feiert sich zum 20. Geburtstag als Expo-City 2017 selbst. Dazu hat es das ohnehin megalomanische Stadtbild erweitert. Doch Architekten sehen in den gigantischen Wolkenkratzern von heute die Slums von morgen.

Von Holger Lühmann |
    Blick auf das Gelände der Expo 2017 in Astana, Kasachstan.
    Blick auf das Gelände der Expo 2017 in Astana, Kasachstan. (imago /Xinhua)
    "Astana. The Expo 2017 Future Energy"
    So wirbt Astana in einem Trailer für das Expo-Jahr 2017. Aus der Vogelperspektive betrachtet, sieht man die Ausmaße der Stadt. Sichtachsen geben der Stadt eine markante Struktur wie auf dem Reißbrett. Neu hinzugekommen: Das 113 Hektar große Expo-Areal im Süden – ein gigantisches Glasgebäude in Kugelform, mit acht Etagen, umringt von 35 Expo-Pavillons. Der Berliner Architekt Philipp Meuser verfolgt den Um- und Ausbau Astanas zur Mega-City seit vielen Jahren.
    "Sie können jetzt einmal quer durch Astana laufen und einer Kindergartengruppe erklären, wie Städtebau funktioniert. Die Gebäude sind sehr einprägsam und in Astana ist das alles wie mit einem Fingerschnipsen in den letzten zehn Jahren entstanden."
    Atemberaubende Architektur
    Meuser hat selbst Bauprojekte in Astana realisiert, darunter die deutsche, die britische und die französische Botschaft. Nebenbei hat er einen architektonischen Reiseführer verfasst. Für ihn ist Astana der Prototyp der eurasischen Großstadt, wie sie – angefangen im Westen – vom belarussischen Minsk bis zur sibirischen Millionenstadt Omsk im Osten zu finden ist.
    "Diese Städte haben eine sowjetische Vergangenheit, sind aber durch die neue Rolle als Hauptstädte überformt worden von postsowjetischen oder turbokapitalistischen Mechanismen."
    Eine atemberaubende Architektur. Finanziert vom Reichtum Kasachstans an Bodenschätzen, vor allem Öl und Erdgas. Mit Bauten berühmter Architekten wie Norman Foster, der ein Religionszentrum in Pyramidenform entworfen hat, will man den wirtschaftlichen Aufstieg auch im Stadtbild manifestiert wissen. Peer Teschendorf, ehemaliger Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kasachstan.
    "Es gibt natürlich ein großes Interesse daran, von der Welt wahrgenommen zu werden. Und das führt dann auch dazu, dass man sich die Expo nach Kasachstan holt, und zwar nicht die große, sondern die kleine, die man selber finanzieren muss. Mittlerweile ist relativ klar, dass die Expo irrsinnige Summen verschlingt."
    Verkehrskonzept wider dem Expo-Motto
    Fast 1,6 Milliarden Euro – Gelder, die woanders fehlen. Etwa für den Bau eines Metronetzes oder für Straßenbahnen. Es gibt es lediglich Stadtbusse, denn in Astana dominiert der benzinbetriebene Autoverkehr. Angesichts des Expo-Mottos "Future Energy" ein inkonsequentes Verkehrskonzept. Doch viele Bewohner Kasachstans, wie die 31-jährige Fotografin Dinah Abishuva, üben sich gerne in Geduld. Die Expo hat Priorität als Schaufenster zur Welt.
    "Natürlich könnten wir auch erst mal in andere Dinge investieren. Aber ich verstehe auch die Position unseres Präsidenten. Er will Kasachstan auf ein neues Level heben und das Land im Ausland bekannter machen."
    Dabei soll die Expo nicht nur auf ausländische Gäste Eindruck machen. Die Expo könnte als nationales Großereignis auch sinnstiftend sein für das Selbstverständnis der Kasachstaner, meint Peer Teschendorf.
    "Es gibt nicht so viele symbolische Momente der nationalen Identität. Aufgrund der Nomadenvergangenheit gibt es wenig sozusagen Gebautes, auf das man sein nationales Bewusstsein aufbauen könnte."
    Architektonische Kontraste
    Die Nomadenvergangenheit schlägt sich in der Architektur wider, sagt Philipp Meuser:
    "Es gibt da viele Gebäude, die sehr narrativ sind. Sie sehen sie sich an und erkennen zum Beispiel, dass es sich da um die Nachbildung eines Nomadenzeltes handelt. An anderen Gebäuden erkennen Sie ganz viele Ornamente, so wie das in der Textil- und Teppichkunst der Nomadenzeit. Und dann haben sie auf der anderen Seite eine Tradition der russischen oder der sowjetischen Architektur."
    Dieser Kontrast setzt sich auch im Inneren vieler Gebäude fort, besonders in Wohnhäusern.
    "In Kasachstan gehen Sie manchmal in Appartements rein und dann suchen Sie die Möbel, aber es gibt nur ein paar Teppiche an der Wand und einige auf dem Boden. Das kommt eben noch aus der Zeit als man alles schnell zusammenpacken musste, um mit dem Vieh an einen nächsten Weideplatz zu ziehen. Ich will das überhaupt nicht bewerten, aber da kommen zwei Kulturauffassungen zusammen, die passen nicht."
    Frage nach zukünftiger Nutzung
    Vielleicht ein Widerspruch, dem man sich gerade im Rahmen der Expo offensiv stellen sollte. Doch Kritiker vermuten, dass eine solche Debatte unterbunden wird, um das Image nicht zu gefährden. Die Glasfassaden der Skyline von Astana dürfen jetzt keine Kratzer bekommen. Dabei wünscht sich Philipp Meuser endlich Antworten auf eine zentrale Frage.
    "Wie möchte ich im 21. Jahrhundert wohnen? Die Masse der Bauten, die neu entsteht, besteht aus neun- bis zwölfgeschossigen Blockbauten, die mit Keramogranit-Fassaden versehen werden, also mit dem billigsten Material, das Sie sich vorstellen können. Das sind die Slums von morgen, das muss man auch ganz klar so benennen."
    Nicht so auf der Expo, dort hat man auf die Qualität der Pavillons geachtet. Aber auch hier bleibt die Beständigkeit ungewiss, zumindest die ideelle. Denn Kasachstan will das Gelände nach dem dreimonatigen Event als Forschungszentrum nutzen – für alternative Energien. Fraglich ist jedoch, wie ernsthaft man dieses Ziel verfolgt in einem Land, das vermutlich noch für die kommenden vier Generationen von fossilen Brennstoffen leben kann.