Geschlossene Grenzen, drastische Reisebeschränkungen, Verwerfungen im weltweiten Handel - die deutschen Exporte sind als Folge der Rezession in der Coronakrise so stark eingebrochen wie noch nie. Im April verkauften die deutschen Unternehmen Waren im Wert von nur noch 75,7 Milliarden Euro ins Ausland und damit 31,1 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. Der Einbruch fällt sogar noch stärker aus, als von vielen erwartet worden war.
Ziel müsse es jetzt sein, die europäische Konjunktur anzuschieben, sagte der Ökonom Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, im Deutschlandfunk. Daran habe Deutschland ein massives Interesse. Exporteinbrüche von 40 bis 50 Prozent in unsere großen europäischen Märkte seien dramatisch.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Ist das auch Ihre Einschätzung, der Einbruch ist im Grunde noch schlimmer als erwartet?
Gabriel Felbermayr: Wir hatten ja gestern schon sehr üble Zahlen zur Industrieproduktion. Die ist im April um 18 Prozent eingebrochen. Das hat uns schon überrascht. Insofern war die neue Überraschung heute mit dem starken Einbruch der Handelszahlen nicht ganz so groß. Wir gingen immer davon aus, wenn die Produktion um ein Prozent fällt, dass der Handel dann um eineinhalb Prozent ungefähr nachgibt, und da stimmen die Relationen. Aber es sind natürlich insgesamt fürchterliche Zahlen, die Industrieproduktion und der Handel.
Dass die Importe ein bisschen stabiler sind – sie sind auch eingebrochen, aber weniger stark -, das zeigt, dass es der deutschen Konjunktur auch in dieser Krise ein bisschen besser geht als rund herum, weil im Inland die Nachfrage offenbar ein klein wenig stabiler ist.
Barenberg: Aber insgesamt - so hat es jedenfalls jemand im Beitrag gesagt - der schlimmste Monat für Jahrzehnte? So viel steht schon fest?
Felbermayr: Es ist der größte Exporteinbruch seit Beginn der Statistik und bei den Importen ist es ungefähr so schlimm wie im Juli 2009. Wie man es dreht und wendet: Es sind historische Zeiten mit historisch großen negativen Effekten.
"Coronakrise auch in den Schwellenländern angekommen"
Barenberg: Jetzt haben wir gerade auch im Beitrag von Brigitte Scholtes aus Frankfurt viel über die verschiedenen Szenarien gelernt, die die Wirtschaftswissenschaftler seit Wochen drehen und wenden, mit der Frage, wie kommen wir möglicherweise aus dieser tiefen Rezession wieder raus. Das V, das L, das U sind die Buchstaben, die das ein bisschen deutlich machen sollen. Verändert sich Ihre Einschätzung jetzt, wenn wir mehr und mehr harte Zahlen bekommen über die Entwicklung?
Felbermayr: Ja. Wir haben im März schon die ersten Einschätzungen abgegeben. Da waren wir noch recht optimistisch, dass es ein symmetrisches V sein kann. Wir haben in der Zwischenzeit zweimal unsere Konjunkturprognose revidiert. Das V ist zwar noch immer da, aber es wird immer asymmetrischer. Die rechte Seite, der rechte Schenkel des V verläuft immer flacher.
Ein Grund dafür ist sicherlich, dass wir jetzt miterleben müssen, wie die USA in die Krise gerutscht sind, stärker als wir es gedacht haben. Die USA sind für uns der wichtigste Exportmarkt. Da ist wahrscheinlich im April noch nicht der Boden erreicht. Jetzt sehen wir, dass die Coronakrise auch in den Schwellenländern angekommen ist. Die sind nicht so wichtig quantitativ für Deutschland, aber dort kam das Wachstum her in den letzten Jahren, und wenn die Schwellenländer hier länger leiden und stärker leiden, als wir das bisher prognostiziert haben, dann ist das auch für den deutschen Export natürlich sehr problematisch.
In diesem zweiten Quartal 2020 werden wir wohl deutlich mehr insgesamt als 20 Prozent Einbruch sehen bei den Exporten. Bisher haben wir gedacht, es wird so die 20 sein, aber es könnte in die Richtung 25 Prozent werden. Der Mai wird wahrscheinlich nicht viel besser sein als der April, selbst wenn wir feststellen, dass Dinge wie der LKW-Frachtindex sich verbessern, aber der verbessert sich hauptsächlich, weil die nationale Konjunktur, der Binnenkonsum etwas anschiebt. Aber wenn Sie auf den Container-Schiffverkehr etwa schauen – da gucken wir uns zum Beispiel den Verkehr im Roten Meer an -, dann sehen wir hier leider noch keine Erholung. Der Mai wird noch mal düster und dann im Juni vielleicht eine kleine Erholung.
Barenberg: Das heißt, Sie sind sich noch gar nicht sicher, ob wir sagen können, dass der Tiefpunkt erreicht ist, möglicherweise durchschritten ist, und wann es Hoffnung auf tatsächlich substanzielle Erholung geben kann?
Felbermayr: Was den Export angeht?
Barenberg: Was den Export angeht.
"Europäische Konjunktur anschieben"
Felbermayr: Ich glaube schon, die Binnenwirtschaft erholt sich schon. Das sehen wir am Stromverbrauch, das sehen wir auch am Lkw-Frachtindex, das sehen wir in den Passanten-Frequenzen in den deutschen Innenstädten, in Einzelhandelsumsätzen. Wir sehen auch die Stimmungsindikatoren, die sich verbessern. Aber das bezieht sich wirklich auf die Binnenwirtschaft.
Der Export läuft ein bisschen nach – auch deswegen, weil wichtige Exportmärkte wie die USA zum Beispiel oder auch dann die Schwellenländer erst jetzt so richtig in die Krise kommen und die Erholung in China langsamer ausfällt, als wir uns das gewünscht haben. Insofern liefert der Export etwas mehr Grund für Sorge zurzeit, als das die binnenwirtschaftliche Entwicklung tut.
Barenberg: Und ist es auch richtig anzunehmen, dass wir uns über den traditionell starken Export in Deutschland nicht werden aus der Krise hieven können, sondern dass vor allem die Nachfrage im Inland dafür ausschlaggebend sein wird oder stärker ausschlaggebend als bisher?
Felbermayr: Stärker ausschlaggebend als bisher, das ist klar. In der Krise vor zehn Jahren, nach der Pleite der Lehman-Brüder, war es vor allem der Export, der geholfen hat, und vor allem der Export in Drittländer außerhalb der Europäischen Union, nach China. China hatte 2009 das größte Konjunkturpaket bisher in der Geschichte aufgelegt und die USA kamen auch relativ gut und schnell aus der Krise. Das hat den deutschen Export gestützt und damit auch Industrieproduktion in Deutschland und Beschäftigung. Diese beiden Lokomotiven, China und USA, die sind wesentlich schwächer in dieser Krise und kommen wahrscheinlich auch wesentlich langsamer heraus.
Wir müssen jetzt nicht nur auf den deutschen Binnenmarkt schauen, sondern vor allem auch auf Europa. Hier ist, glaube ich, ganz wichtig, dass es gelingt, die europäische Konjunktur anzuschieben. Da hat Deutschland ein massives Interesse daran. Exporteinbrüche von 50 Prozent, 40 Prozent in unsere großen europäischen Märkte, das ist dramatisch. Ich bin aber hier guter Dinge, dass es gelingt, gerade in Europa anzuschieben, so dass ein Teil der deutschen Erholung auch über höhere Exporte in die europäischen Länder zustande kommen kann.
Auf "Selbstheilungskräfte" großer Volkswirtschaften vertrauen
Barenberg: Das heißt, was die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, jetzt mal für die deutsche Volkswirtschaft, als letztes noch mal ein weiteres Hilfspaket, um die Wirtschaft anzukurbeln, in der Größenordnung von 130 Milliarden Euro, und was in Europa im Gespräch ist, ein Paket von 750 Milliarden Euro, das sind Größenordnungen, von denen Sie sagen, das wird uns helfen, so schnell es geht, abhängig von der Entwicklung in den anderen Regionen der Welt, wieder aus der Krise zu kommen?
Felbermayr: Ja. Ich würde sagen, dass das gut kalibrierte Pakete sind. Mehr braucht es hoffentlich nicht. Aber man weiß natürlich nicht, ob es nicht eine zweite Phase der Epidemie geben kann, wir in eine zweite Welle hineinlaufen und noch mal in unseren großen Export-Partnerländern oder gar in Deutschland eine Lockdown-Phase notwendig wird. Dann wird man auch bei diesen Paketen noch nachbessern müssen.
Ein Problem mit den europäischen Programmen, die 750 Milliarden, die Sie angesprochen haben, ist, dass dieses Geld ja frühestens ab Januar 2021 fließen kann. Hier müssen wir schon auf die Selbstheilungskräfte auch der großen europäischen Volkswirtschaften vertrauen können. Ich glaube, dass der Einbruch, den wir jetzt gesehen haben, in Frankreich, auch im Vereinigten Königreich, Italien mit mehr als 40 Prozent bei den Exporten, dass das schon jetzt die Talsohle beschreibt und dass diese Länder, die jetzt ja aus dem Lockdown kommen, die auch ihre eigenen Konjunkturprogramme angeschoben haben, dass die jetzt langsamer, als wir uns das wünschen würden, aber doch in eine Phase der Erholung eintreten, und das zieht dann auch jedenfalls die Exporte Deutschlands in die Eurozone und nach Europa wieder etwas aus der Krise heraus.
Börsianer optimistischer als Ökonomen
Barenberg: Herr Felbermayr, wir als Laien schauen nicht auf diese ganzen Indikatoren, über die Sie gesprochen haben, sondern orientieren uns möglicherweise am DAX oder am Dow Jones in New York. Und wir stellen fest: Beide Indizes haben sich in recht schneller Geschwindigkeit einigermaßen oder doch erheblich gar erholt. Was bilden diese Börsen denn im Moment überhaupt ab? Die fragile Lage kann es ja nicht sein.
Felbermayr: Die Börsen sind natürlich Zukunftsmärkte. Die spekulieren mit einer zukünftigen Entwicklung. Und man sieht sicherlich etwas mehr Optimismus bei den Börsianern, was die Zukunftsentwicklung angeht, als vielleicht unter Ökonomen. Jedenfalls ich wäre nicht so optimistisch.
Und, was man natürlich auch sagen muss ist, dass die Aktienkurse massiv getrieben werden durch die sehr laxe Geldpolitik in der Europäischen Union und in allen anderen großen Regionen der Welt. Die Europäische Zentralbank hat ja ihr großes PEPP-Programm, die ersten 750 Milliarden, schon wieder vergrößert um weitere 600. Das heißt, da ist sehr, sehr viel Liquidität da. Die wird angelegt und das treibt die Börsenkurse in die Höhe, ungeachtet der Malaise, die wir in der Realwirtschaft haben. Da ist ein Decoupling passiert, eine Entkoppelung passiert, die einem durchaus auch Sorge machen kann. Ich denke, dass der Optimismus, der auf den Börsen herrscht, kein wirklich realwirtschaftlich fundierter ist, sondern ein Stück weit eine Blase abbildet, die sich da jetzt möglicherweise aufbaut.
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