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Extremismus als Theaterstück
Kampf mit eigenen Zweifeln im Glauben

Schon mit "Die Lücke" hatte der Regisseur Nuran David Calis eine kluge theatralisch-authentische Aufarbeitung des NSU-Nagelbombenattentats auf der Kölner Keupstraße inszeniert. Nun hat er sich am Schauspiel Köln an ein vielleicht noch brisanteres Thema gewagt. Mit "Glaubenskämpfer" erforscht er den Abgrund des Glaubens und die Ursachen von Extremismus. Mit auf der Bühne: ein Ex-Salafist.

Von Dorothea Marcus |
    Über ihnen wölbt sich ein Sternenhimmel aus Theater-Glühbirnen. Oder ist es jene gewaltige Unendlichkeit des Alls, vor der sich wohl jeder schon einmal selbst zum eigenen Glauben befragt hat? Darunter, auf einem dreiteiligen, drehbaren Buch der Bühnenbildnerin Anne Ehrlich, haben sich sechs Gläubigen versammelt: eine Christin, ein Jude, vier Muslime. Letztlich ist das Wort der Ursprung aller drei Weltreligionen. Nur, dass das Buch hier leer ist: Am Schauspiel Köln sollen die Protagonisten selbst ihren Glauben in Worte fassen. Befragt werden sie von skeptischen, mehr oder weniger säkularen Schauspielern um sie herum, hier etwa Annika Schilling und der Jude Avraham Applestein:
    "Aber jetzt werd ich neugierig. Wie ist das, wenn man hundertprozentig an etwas glaubt? Avi, gibt Gott eine Richtung vor, wohin man sich entscheiden sollte? – Da springe ich an das Ende der Thora, dort sagt Gott: Leben und Tod habe ich vor dir gelegt, und du sollst das Leben nehmen."
    Über weite Strecken bewegt sich die Inszenierung von Nuran David Calis irgendwo zwischen öffentlicher Privatdiskussion und religionswissenschaftlichem Proseminar, immer wieder garniert mit inszenierten Streits, in denen sich die Vertreter der Religionen über einander aufregen. Etwa die Muslime darüber, dass die Konvertierung zum Judentum so lange dauert. Eindrücklich ist, wie viel Glück und Kraft aus den Zeugnissen spricht, etwa bei der katholischen Nonne Johanna Domek:
    "Als ich vielleicht neun Jahre war, habe ich das erste Mal das Kreuz mit dem Mensch, der da hängt, erstmals bewusst wahrgenommen. Aber das Leid, ich konnte das nicht sehen und nicht ertragen. Habe ich das Kreuz von der Wand genommen, zu mir unter die Decke und habe zu dem gesagt, der da dran hängt: Helfen kann ich dir nicht, aber warmhalten kann ich dich."
    "Glaubenskämpfer", das hat der Regisseur Calis eindeutig nicht nur als Untersuchung von religiösem Extremismus verstanden, es ist auch ein Kampf mit eigenen Zweifeln im Glauben. Das ist ihm hoch anzurechnen, denn es lotet die Komplexität des Themas aus. Ist es nicht auch ein Unglück, nicht zu glauben? Dennoch läuft alles an diesem Abend auf die eine Frage zu: Wie kann der Gott, der bei allen Vertretern vor allem mit Liebe und Mitgefühl verbunden ist, so schnell missbraucht werden? Erst werden in Einspielern rechte Aktivistinnen wie Melanie Dittmer und Ester Seitz gezeigt, die sich ebenfalls auf das Christentum berufen. Haltlos plappern sie vom linken Guerilla-Krieg gegen sie. Krieg, stellt der Jude Applestein dagegen, sei etwas ganz anderes, und erzählt die Geschichte seines in Auschwitz getöteten Großvaters. Das letzte überlieferte Bild von ihm, seine Zwangsrasur kurz vor seinem Tod, wird lange auf der Bühne gezeigt und greift tief an. Nichts könnte die besinnungslose Kriegs-Dampfplauderei westlicher Luxus-Tussis stärker entkräften.
    Theater als Gegenpol zur gesellschaftlichen Dauerhysterisierung
    Und bald zeigen die Einspieler auch muslimische Hassprediger oder ein IS-Rekrutierungsvideo in kompletter Länge. Und dann kommt endlich Dominic Schmitz zu Wort.
    "Mein Name ist Musra, ich war Salafist. Und ich versteh dich. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, nicht wertgeschätzt zu werden. Ich habe gekifft, mir die Anerkennung über Frauen und Klamotten geholt. Und wusste genau: Mein Leben geht so den Bach runter. Und im Sommer stand da auf einmal dieser marokkanische Typ vor dem Fenster… und war total glücklich. Und hat erzählt, dass er Halt und Kraft im Glauben gefunden hat."
    Heute hat Schmitz seine Erfüllung als sozialpädagogisch aktiver Vorbild-Aussteiger gefunden. Als die während der Probenzeit auf Facebook aufgelaufenen Hasskommentare gegen ihn einblendet werden, wünscht man ihm Polizeischutz. Und so steht am Ende dieser gut zwei Stunden Gesprächstheater auf einmal das ganze Spektrum vom Glück bis zum Horror des Glaubens im Raum. Undenkbar wäre heute, dass Muslime zu jüdischen Metzgern gehen, um Fleisch zu kaufen oder das Ramadan-Gebet im Dom sprechen, so wie es vor 50 Jahren selbstverständlich war, wie es zum Schluss Kutlu Yurtseven von der Keupstraße erzählt. Was ist nur seitdem passiert? Die Frage gibt der Regisseur als Hausaufgabe auf den Heimweg. Und so theoretisch und trocken der Abend auch immer wieder erscheint: Kraftvoll und komplex hat sich das Theater behauptet als Gegenpol zur gesellschaftlichen Dauerhysterisierung.