Silvia Engels: Gestern legte die Beauftragte für die neuen Bundesländer, Ines Gleicke von der SPD, die Ergebnisse einer Studie vor, die sie im vergangenen Jahr beauftragt hatte. Es ging darum, gezielt zu untersuchen, wo die Ursachen für Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland liegen. Auslöser war der Anstieg rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten 2015. Damals hatte sich gezeigt, dass davon im Bundesländervergleich die meisten neuen Länder ziemlich weit vorne lagen.
Am Telefon ist nun Michael Kretschmer. Er ist seit 2005 Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen und er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Kretschmer.
Michael Kretschmer: Guten Morgen.
Engels: Die Forscher aus Göttingen machen in ihrer Studie ja deutlich, dass Rechtsextremismus eben kein rein ostdeutsches Phänomen sei, und sie konzentrieren sich, weil sie nur eine begrenzte Zahl von Interviews geführt haben, auf die Untersuchung bestimmter Regionen – unter anderem in Sachsen. Sie haben den Forschern gestern dennoch Stereotype vorgeworfen. Warum?
Kretschmer: Ich weiß gar nicht, ob man da von einer wissenschaftlichen Studie sprechen kann, wenn ein Urteil über 16 Millionen Menschen in neun Ländern erhoben wird anhand von 40 Interviews in zwei Bundesländern und man dann zu dem Ergebnis kommt, in Thüringen ist alles wunderbar, in Sachsen gibt es große Probleme, und das machen wir jetzt mal zur Blaupause für Gesamt-Ostdeutschland. Ich muss sagen, ich bin entsetzt. Ich mache seit vielen Jahren Wissenschaftspolitik. Aber so etwas als wissenschaftliche Arbeit zu verkaufen, ist mir, ehrlich gesagt, noch nicht untergekommen.
Engels: Gehen wir noch mal zurück zu der Studie. In Sachsen haben sich ja nun die Forscher bewusst mit der kommunalen Ebene befasst, und zwar mit den Regionen Freital und Heidenau. Hier sehen sie Muster. Zum einen schüchtere in dieser Region auf lokaler Ebene die rechte Szene politische Gegner gezielt ein. Ziehen Sie daraus nicht Lehren, wenn Sie auf der einen Seite vielleicht nicht die Pauschalierung anerkennen wollen, aber auf der anderen Seite hier doch eine sehr konkrete Aussage getroffen wird?
Kretschmer: Aber die Pauschalierung ist das erste Problem und man muss sich fragen, warum eine Aufbau-Ost-Beauftragte der Bundesregierung solche Studien in dieser Qualität in Auftrag gibt und dann noch verteidigt. Das ist der erste Punkt. So geht das nicht!
Das Zweite ist: Es wird hier eine Vermischung vorgenommen zwischen Straftätern, Kriminellen, die Steine werfen, die gesetzliche Regelungen überschreiten. Da sage ich immer ganz klar, dafür ist Staatsanwaltschaft und Polizei zuständig mit aller Härte des Gesetzes. Und so zu tun, als würde nicht auch nur in einem Teil des Landes in Deutschland dieser Kampf intensivst geführt werden und das auch eine Priorität sein der Politik, das finde ich schofelig.
Das Dritte ist: Es wird eine ganz bewusste Vermischung vorgenommen von Straftätern, Extremisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Menschen, die sich Sorgen machen, die Fragen stellen, die sich über Werte, Leitkultur, Patriotismus, Heimat unterhalten wollen, und denen wird pauschal Rechtsextremismus unterstellt, und so geht das doch nicht. So kann man doch nicht umgehen. Was soll denn das Ergebnis einer solchen Diskussion sein.
"Wenn man selber in Sachsen lebt weiß man, dass die Situation eine ganz andere ist"
Engels: Die Macher der Studie sagen dagegen, es sei eine gewisse Schieflage entstanden, weil es doch ein Unterschied sei in Sachsen, dass man hier einen gewissen Vorbehalt bei der Verfolgung rechtsextremer Straftaten zumindest habe. So äußerte sich gestern einer der Macher der Studie, Herr Lührmann. Auf der anderen Seite gäbe es eine Stigmatisierung, wenn Gegenwehr gegen rechts käme. Gibt Ihnen das gar nicht zu denken?
Kretschmer: Es sind 40 Interviews geführt worden, davon ein kleinerer Teil in meinem Heimatbundesland, und das kann ja gar nicht wissenschaftlich dabei herauskommen. Und wenn man selber in Sachsen lebt weiß man, dass die Situation eine ganz andere ist. Bereits in den 90er-Jahren haben wir mit Sonderkommissionen gegen Rechtsextremismus angefangen zu agieren. Wir haben Programme, wir investieren deutlich auch noch mehr in den letzten Jahren in die politische Bildung. Und man muss sich ja immer vorstellen: Wenn man jemand unterstellt, er würde den Rechtsextremismus als Problem, als Gefahr für unser Land nicht ernst nehmen, dann ist das ein so ungeheuerlicher Vorwurf. Und dass der von einer Studie erhoben wird, die von der Bundesregierung bezahlt wird, und man sich nicht davon distanziert, das ist nicht in Ordnung!
Und Sie sehen ja, wenn Sie das ein bisschen weiterlesen, auch, wessen Geistes Kind diese Leute sind, wenn sie ernsthaft formulieren, dass man doch für den Kampf gegen Rechtsextremismus auch Linksextremisten, Antifa verwenden soll, dass man den Leuten unterstellt, wenn sie ein Problem mit Antifa haben in Heidenau, dass sie dann schon auch gedanklich irgendwo rechts sind. Das kann doch alles nicht wahr sein.
"Ich bin entsetzt über das, was da aufgeschrieben ist und welche Schlüsse gezogen werden"
Engels: Vielleicht könnte man ja in solche Studien mehr Substanz bekommen, wenn auch die sächsische Staatsregierung offener wäre. Die Forscher jedenfalls beklagen, sie hätten sowohl bei den Stadtverwaltungen in ihren Arbeiten keine Unterstützung erfahren und auch nicht bei der sächsischen Staatsregierung. Vielleicht muss man hier gemeinsam über Schatten springen?
Kretschmer: Kann ich nicht beantworten. Ich will Ihnen nur sagen, ich halte von diesen Leuten nichts. Ich habe das jetzt gelesen. Ich bin entsetzt über das, was da aufgeschrieben ist und welche Schlüsse gezogen werden. Wir haben im Freistaat Sachsen dieses Thema Rechtsextremismus seit vielen Jahren als Thema, so wie es in Hessen, in Bayern, in Nordrhein-Westfalen erkannt worden ist. Ich sehe da überhaupt keine Unterschiede. Jede Straftat, die da passiert, ist eine zu viel. Wir müssen da mit aller Konsequenz vorgehen.
Auf der anderen Seite dürfen wir nicht mit Stereotypen und Verallgemeinerungen ganze Bevölkerungen in Misskredit bringen und dürfen auch – und das ist ja auch der Vorwurf – beispielsweise denjenigen, die sich über Leitkultur, über Heimat, über Identität beschäftigen, nicht pauschal unterstellen, sie hätten rechtes Gedankengut. Das kommt doch eigentlich aus einer Zeit, wo ich schon gedacht hätte, dass es längst überwunden ist. Wir haben doch heute ein ganz anderes, auch unverkrampftes Verhältnis zu unserem Vaterland und ich finde, man muss wirklich intensiv über dieses Machwerk sprechen und es auseinandernehmen. So was kann nicht der Standard sein, wenn man sich überlegt, wie lange jetzt in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist und welcher Schaden damit für den Ruf der neuen Bundesländer entstanden ist. Das ist mit Sicherheit nicht Aufgabe einer Aufbau-Ost-Beauftragten.
Engels: Aber, Herr Kretschmer, übersehen Sie da nicht den Ausgangspunkt? Der war ja derjenige, dass gerade die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten 2015 so deutlich angestiegen war, und da waren nun mal viele der neuen Bundesländer im Fokus. Deshalb ja überhaupt diese Studie. Das heißt, machen Sie es sich nicht doch etwas zu einfach zu sagen, wir sind da längst drüber hinweg? Denn es gibt ja auch einfach immer wieder Vorfälle in Sachsen- nicht nur dort, aber auch dort.
Kretschmer: Nein. Ich mach's mir nicht leicht. Wir sind alle mit rechtsextremistischen Straftaten konfrontiert gewesen in den vergangenen Jahren, aber auch mit linksextremistischen und mit auch religiöser Gewalt, und wir müssen die Demokratie in unserem Land aus der Mitte der Gesellschaft heraus verteidigen. Dazu müssen wir die Menschen stark machen und pauschale Unterstellungen, Stereotypen, die schaden dabei. In den neuen Bundesländern gibt es Landesregierungen und Staatsregierungen, die demokratisch gewählt worden sind, verantwortliche Persönlichkeiten. Denen zu unterstellen, sie würden eines dieser Themen nicht ernst nehmen, das ist nicht in Ordnung.
"Man muss die Menschen stark machen und sie nicht vor den Kopf stoßen"
Engels: Auf der anderen Seite stellt sich Stanislaw Tillich, Ihr Ministerpräsident, ja auch recht offen dieser neuen Studie dahingehend hin, dass er dort zwar keine wirklich neuen Erkenntnisse sieht, auf der anderen Seite aber Änderungen im Schulunterricht ankündigt, aber auch tatkräftige Unterstützung verlangt. Wie könnte die aussehen?
Kretschmer: Wir investieren ja wie gesagt in die politische Bildung. Wir haben dazu ein eigenes Landesprogramm. Die Gelder für die Landeszentrale für politische Bildung sind aufgestockt worden. Und die politische Bildung auch in den Schulen soll verstärkt werden, die Arbeit mit der Zivilgesellschaft in der Breite, auch über Initiativen im Sport. Da passiert eine ganze Menge und das ist auch richtig und notwendig. Man muss die Menschen stark machen und sie nicht vor den Kopf stoßen.
"Dieses Gegeneinander, Ost und West, das halte ich für komplett überholt"
Engels: Und wie kommt man über das Misstrauen gegenüber westdeutschen Forschern hinweg?
Kretschmer: Da gibt es überhaupt kein Misstrauen. Im Gegenteil: Wir haben eine Kultur, denke ich, in den neuen Bundesländern des Miteinanders. Auch dieses Gegeneinander, Ost und West, das halte ich für komplett überholt und schädlich, gibt es in meiner Generation schon gar nicht mehr. Deswegen ist es auch ärgerlich, dass jetzt wieder diese Studie zu Ostdeutschland gemacht worden ist. Wenn, dann muss man doch über unser gesamtes Land reden.
Engels: Michael Kretschmer war das. Er ist Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Danke für das Gespräch.
Kretschmer: Bitte schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.