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Extremistische Parteien
AfD "mehr und mehr eine offen rechtsradikale Partei"

Die Linke und die AfD könne man nicht gleichsetzen, sagte der Extremismusforscher Alexander Häusler im Dlf. Es gebe einen absoluten Unterschied zwischen den Forderungen der Linken nach einer Sozialisierung der Wirtschaft einerseits und dem völkischen Nationalismus der AfD andererseits.

Alexander Häusler im Gespräch mit Rainer Brandes | 02.11.2019
03.10.2019, Thüringen, Mödlareuth/Töpen: Der Spitzenkandidat der AFD-Thüringen Björn Höcke hält eine Rede. Am Tag der Deutschen Einheit hat die AFD bei einer Kundgebung im ehemals geteilten Dorf Mödlareuth eine "Wende 2.0" gefordert.
In der AfD in Thüringen habe sich ein rechter Radikalisierungsprozess entwickelt, so Alexander Häusler. (dpa / picture alliance / Nicolas Armer)
Rainer Brandes: Man nennt sie die Hufeisentheorie. Wenn man von der Mitte eines Hufeisens zu den Rändern geht, dann bewegt man sich unten wieder aufeinander zu – und genau so, so geht die Theorie, sei das eben auch bei den politischen Rändern. Wenn man von der Mitte nach links und rechts marschiert, dann treffen sich unten die Radikalen wieder.
Diese Theorie verwendet unter anderem die CDU, um zu begründen, dass sie weder mit der Linken noch mit der AfD zusammenarbeiten könne, denn beide Parteien seien eben gleichermaßen radikal. Beim Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring und bei der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Julia Klöckner klang das in dieser Woche so:
Mike Mohring: Links und rechts schaukeln sich gegenseitig hoch, kriegen sogar Mehrheiten, für die politische Mitte ist kein Platz mehr. Und dass die Liberalen kämpfen mussten um den Einzug in den Landtag, die Grünen abgestürzt sind, die SPD und wir auch abgestürzt sind zeigt ja, die Mitte hat massiv verloren, weil sie Vertrauen verloren hat.
Julia Klöckner: Wir werden überflüssig, wenn wir, egal, mit der Linkspartei oder der AfD koalieren würden, dann braucht es uns nicht mehr. Ganz gleich, wie die Situationen sind, es gibt Momente, da ist Haltung gefragt.
Brandes: Sagt Julia Klöckner. Umstritten ist allerdings, was da die richtige Haltung ist. Ich konnte darüber gestern mit dem Extremismusforscher Alexander Häusler von der Hochschule Düsseldorf sprechen. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich unter anderem mit der AfD. Guten Tag, Herr Häusler!
Alexander Häusler: Guten Tag!
Carsten Linnemann (CDU), Vorsitzender der Mittelstandsvereinigung der Unionsparteien
Unionsbeschluss zu Koalition mit der Linken - "Das wäre das Ende der Volkspartei CDU"
Mit der Linken dürfe es nach der Wahl in Thüringen keine Verträge und keine Abmachungen geben, sagte CDU-Fraktionsvize Carsten Linnemann im Dlf. Die Absage an eine Koalition mit der Linken sei für die CDU existenziell.
Brandes: Mal unabhängig von der Frage, ob eine Zusammenarbeit der CDU mit der Linken politisch klug ist oder nicht, kann man die Linke und die AfD gleichermaßen als extremistisch bezeichnen?
Häusler: Mit Sicherheit nicht. Das von Ihnen auch gerade vorgestellte Extremismusmodell ist eigentlich der Ausdruck einer mehr politisch motivierten Klassifizierung, als dass das wirklich auf den Gegenstand anzuwenden wäre. Gucken wir uns das doch einfach mal genau an, schauen wir uns das Profil der Linkspartei an, schauen wir uns das Profil der AfD an. Was dort an beiden kritisiert wird, was problematisch ist, das sind unterschiedliche Phänomene.
Die Linkspartei ist eine Partei, die sich im Zuge ihrer Entwicklung und auch ihres Zusammenschlusses mit der WASG mehr oder weniger linksreformistisch entwickelt hat. Was jetzt noch an ihr kritisiert wird, das ist mehr oder weniger ihre zum Teil noch marxistische Ausrichtung, ihre zum Teil antikapitalistische Ausrichtung. Hingegen hat die AfD eine andere Form von Verlauf genommen, den man als eine rechte Radikalisierung bezeichnen kann. Dort ist der Weg genau umgekehrt, deswegen kann man diese Phänomene eben nicht gleichsetzen, sondern sie sind unterschiedliche Phänomene und sie müssen auch unterschiedlich gewertet werden.
"Ganz unterschiedliche Gefährdungs- und Problembereiche"
Brandes: Nun hat aber auch die Linke in ihren Reihen die sogenannte kommunistische Plattform, der Verfassungsschutz stuft diese als offene extremistisch ein. Bei der AfD gibt es den rechtsextremen Flügel um Björn Höcke, den führt der Verfassungsschutz als Prüffall. Wo würden Sie also sagen aus wissenschaftlicher Sicht, wo sind da die Unterschiede im Extremismus dieser beiden Pole?
Häusler: Sie liegen auch gerade schon in dem, was Sie dort benannt haben. Was an der Linken argwöhnisch beäugt wird, ist eben ihre zum Teil deutlich promarxistische Ausrichtung, aber es ist eben ein absoluter Unterschied vom Phänomen her aus gesehen, ob man Forderungen nach Sozialisierung der Wirtschaft, nach einem marxistischen Wirtschaftsmodell das ausrichtet oder ob man einen völkischen Nationalismus predigt, wie ihn die AfD predigt. Und wenn man es noch mal ganz konkret auf den Gegenstand anwendet, muss man deutlich sagen: In Thüringen ist unter Ramelow weder eine sozialistische Planwirtschaft ausgebrochen noch eine Diktatur des Proletariats, sondern was dort passiert ist, ist, dass unter Führung der Linken ein linksreformistisches Regierungsbündnis sich gegründet hat, das keinerlei Anzeichen dafür hat, dass dort verfassungsfeindliche Politik betrieben wird.
Im Unterschied – und zwar im deutlichen Unterschied – zu dem, was in der AfD in Thüringen vor sich geht. Dort hat sich ein rechter Radikalisierungsprozess entwickelt, der mit dem Protagonisten Björn Höcke, dem Landesvorsitzenden der AfD, quasi einen Vorläufer hat, dem schon deutlich protofaschistische Ansichten zugesprochen werden und der mit seiner Politik, die er in Thüringen betreibt, eine deutliche rechtsextreme Erhebungsrhetorik verfolgt, der selber als seine Partei als fundamental oppositionelle Bewegungspartei bezeichnet, als eine, O-Ton Höcke, letzte friedliche Chance für unser Land. Was dort passiert ist eben eine rechte Radikalisierung auf der Straße, wir können beobachten ein Zusammengehen von Parteifunktionären mit einem offen rechtsextremen Mob. Und das sind ganz unterschiedliche Gefährdungs- und Problembereiche, die auch ansonsten unterschiedlich betrachtet werden müssen.
"Einbruch der Parteien aus dem demokratischen Spektrum"
Brandes: Weil Sie gerade Bodo Ramelow schon angesprochen hatten, da sagt die CDU ja, der ist quasi nur das bürgerliche Feigenblatt der Linken, die Linke hat ja auch in diesem Wahlkampf geworben: Bodo oder die Barbarei. Ist das nicht doch eine radikale Sprache, die sich auch außerhalb des demokratischen Spektrum bewegt?
Häusler: Man kann das eher als eine populistische Zuspitzung von Argumenten bezeichnen. Das hat mit Verfassungsfeindlichkeit nichts zu tun – im Unterschied zu dem, was eben am rechten Rand vor sich geht.
Und ich glaube, es hilft einfach nicht weiter, diese ganze Problematik, die wir jetzt bei der Regierungsbildung in Thüringen haben, dass extremismustheoretisch fassen zu können, wir müssen vielmehr feststellen, dass es dort einen Einbruch der Parteienlandschaft aus dem demokratischen Spektrum deutlich gegeben hat, dass besonders die CDU darunter leidet, dass ihr viele Wähler abtrünnig geworden sind, die zur AfD hinübergerannt sind, dass die CDU in Thüringen aktuell kopflos ist und dass es dort Entwicklungen gibt, die möglicherweise unter dem Begriff und dem Mantel der sogenannten Bürgerlichkeit quasi ein Einfallstor darstellt für eine Politik von rechts außen, die dann immer mehr in die Mitte drängt.
Das ist eigentlich die aktuelle Problematik, die in Thüringen vonstattengeht. Und mit der Titulierung der Bürgerlichkeit sollte man sich eigentlich eher kritischer und deutlicher im öffentlichen Diskurs auseinandersetzen.
Wahlplakate mit den Spitzenkandidaten von der Linken, Bodo Ramelow und der CDU, Mike Mohring für die Landtagswahl in Thüringen 
Thüringer Landrat Henning (CDU) - "Nach Lage der Dinge könnten Linke und CDU sich einigen"
CDU-Politiker Werner Henning, Landrat im Eichsfeld, spricht sich für eine Kooperation mit der Linkspartei in Thüringen aus. Er könne sich gut vorstellen, mit den handelnden Leuten in Erfurt "gute Absprachen im Interesse des Alltages zu machen", sagte Henning im Dlf.
AfD "hat mit Bürgerlichkeit nichts zu tun"
Brandes: Und genau an dem Punkt ist die AfD ja immer so, dass sie sich offiziell in Äußerungen immer von jeder Gewalt distanziert, dann gleichzeitig aber Sprachbilder benutzt, die zumindest als Aufruf zur Gewalt verstanden werden können wie zum Beispiel Entsorgung der SPD-Politikerin Aydan Özoguz und so weiter. Ist das ein rhetorischer Trick der AfD, um von ihrer extremistischen Gesinnung abzulenken?
Häusler: Die AfD teilt mit anderen Rechtsaußenparteien in Europa eine populistische Inszenierung, die sich auch in einem Sprachduktus wiederfindet und sie folgt einer populistischen Eskalationsstrategie, indem man eben versucht, fortwährend den politischen Diskurs weiter nach rechts außen zu treiben und sich dann, wenn Kritik kommt, als die verfolgte Unschuld darzustellen – mit dem Ziel, dass man eben rechte Politikansätze versucht zu normalisieren.
Und der Gipfel dieser Entwicklung ist die Besetzung des Begriffs der Bürgerlichkeit durch diesen offen rechtsradikal ausgerichteten Flügel innerhalb der AfD. Und da muss man sagen, da sieht man deutliche historische Parallelen, es gab schon, wenn man das kritisch,-historisch zurückverfolgt, auch im konservativen Bürgertum eine gewisse Affinität zu rechtsextremen Gruppierungen, unter dem Schlagwort der konservativen Revolution gab es quasi diese Versuche, quasi auch den Konservatismus für rechtsradikale Politikansätze zu öffnen. Und das sollte eine Lehre für die Auseinandersetzung mit heute sein: Die AfD ist nicht eine bürgerliche, sondern mehr und mehr eine offen rechtsradikale Partei. Das hat mit Bürgerlichkeit und konservativen Politikansätzen so nichts zu tun.
Brandes: Betreibt man dann das Spiel der AfD, wenn man als CDU-Politiker die Linke und die AfD immer in einem Atemzug nennt?
Häusler: Man betreibt nicht nur das Spiel der AfD, sondern man betreibt eben auch eine historische falsche Gleichsetzung. Es waren ja gerade in der Vorzeit des Nationalsozialismus die Uneinigkeit der demokratischen und auch gerade der linken Kräfte, gemeinsam eine Front gegen den aufkommenden Faschismus dort zu ziehen. Und das sollte eben eine Lehre sein, die orientierungsmäßig maßgeblich ist im Umgang mit rechten Radikalisierungstendenzen auch in der heutigen Zeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.