Ohne die globale Erwärmung wäre sie "praktisch unmöglich" gewesen - die enorme Hitzewelle im pazifischen Nordwesten Nordamerikas. Zu diesem Ergebnis kommt die Spontan-Studie der Forschungsinitiative World Weather Attribution. Ihr Ziel ist es, weltweite Wetterextreme besser einzuschätzen: wie stark der Klimawandel sie verstärkt und wie häufig man mit Extremen dieser Ausprägung rechnen muss.
Im Fall der nordamerikanischen Superhitze mit beispiellosen Temperaturen von fast 50 Grad Celsius sei die Analyse besonders schwierig gewesen, sagt Geert Jan van Oldenborgh, Ko-Leiter des Forschungsprojektes: "Dieses Ereignis war selbst im heutigen Klima extrem unwahrscheinlich. Es lag weit außerhalb der jemals beobachteten Temperaturspannen für die Region. Wir haben trotzdem unser Bestes versucht. Weil eine solche Hitzewelle bisher ohne Beispiel ist, können wir nicht genau sagen, wie selten sie in dieser Form auftritt. Aber nach unserer besten Schätzung war es ein Ereignis, dass statistisch nur einmal in tausend Jahren vorkommt."
Sjoukje Philip war ebenfalls an der Ad-Hoc-Analyse beteiligt. Wie van Oldenborgh arbeitet sie beim Niederländischen Wetterdienst und macht deutlich: Die globale Erwärmung erhöht das Risiko für solche Hitzeextreme immer mehr und verkürzt ihre statistischen Wiederkehrzeiten:
"So eine Hitzewelle wäre früher, bevor der menschengemachte Klimawandel einsetzte, zwei Grad kühler ausgefallen. Und wenn wir in die Zukunft schauen, dann zeigen unsere Modellrechnungen: Erwärmt sich die Welt um weitere 0,8 Grad Celsius und erreicht dann die globale Zwei-Grad-Schwelle, dann würde eine Hitzewelle wie jetzt in Nordamerika alle fünf bis zehn Jahre auftreten, und sie wäre noch ein Grad heißer!"
Irritierender Temperatursprung
In den Großstädten Vancouver, Seattle und Portland wurden die bisherigen Hitzerekorde auf einen Schlag um bis zu fünf Grad Celsius übertroffen. Geert Jan van Oldenborgh ist irritiert, dass der Temperatursprung so extrem war:
Geert Jan van Oldenborgh: "Die Welt ist groß, und hier und da kommt es immer wieder mal zu ganz unwahrscheinlichen Ereignissen. Die Leute im pazifischen Nordwesten hatten vielleicht einfach riesiges Pech, dass so etwas diesmal in ihrer Region geschah. Es könnte aber auch sein, dass Hitzewellen durch den Klimawandel doch nicht bloß Schritt für Schritt extremer werden, wie wir das bisher beobachten und auch für die Zukunft annehmen. Sondern dass es jetzt auch zu plötzlichen Temperatursprüngen kommen kann, weil neue Prozesse im Spiel sind."
Böse Überraschungen wahrscheinlicher
Das sei beunruhigend und müsse unbedingt weiter untersucht werden, sagt der niederländische Physiker. Solche verstärkenden Prozesse könnten zum Beispiel Veränderungen in der atmosphärischen Luftzirkulation sein oder langanhaltende Dürren, die dazu führen, dass Böden ihre Feuchtigkeit verlieren und damit auch ihre Kühlwirkung. In Summe führt das dann zu einer Art Hebelwirkung, das Klima schaltet einen Gang höher. Oldenborgh: "Wenn es so sein sollte, dann müssen wir auch untersuchen, ob so etwas auch hier passieren kann, in Deutschland oder in den Niederlanden."
Temperaturrekord in Kanada
Die Hitze war historisch. Im kanadischen Lytton kletterte das Thermometer nach örtlichen Berichten auf über 49 Grad Celsius – solche Werte hatte niemand zuvor jemals in einer kanadischen Stadt gemessen. Im US-Bundesstaat Washington wurden bisherige lokale Temperaturrekorde um bis zu elf Grad Fahrenheit übertroffen.
Maarten van Aalst leitet das Klimazentrum des internationalen Roten Kreuzes in Den Haag. Unsere Gesellschaft müsse sich viel besser gegen Hitzewellen wappnen, rät der Atmosphärenforscher und Mitautor der neuen Studie. Nicht nur die hohen Temperaturen seien eine Gefahr: "Wir haben in diesem Fall gesehen, dass es zusätzliche Risiken gibt. In der Nähe von Vancouver führte die Hitze zu einer starken Eisschmelze und zu Überschwemmungen. Es gab etliche Waldbrände mit starker Rauchentwicklung, so dass den Leuten empfohlen wurde, ihre Fenster zu schließen. Dadurch wurde es drinnen noch heißer! Das alles müssen wir berücksichtigen, wenn wir unser Risiko-Management an den Klimawandel anpassen wollen.
Kraftloser Jet Stream
Normalerweise sorgt der Jet Stream dafür, dass Hoch- und Tiefdruckgebiete nicht auf der Stelle kleben bleiben. Der Höhenwind weht von Westen nach Osten um die ganze Nordhalbkugel und schlenkert dabei in riesigen Schwüngen nach Norden und Süden. In diesen Ausbuchtungen entwickeln sich Hochs und Tiefs. Aber sie verziehen sich auch wieder. Denn der Jet Stream verändert sein Strömungsmuster ständig wie eine Ziehharmonika, und treibt die Druckgebilde dadurch immer wieder von der Stelle. Im Moment allerdings steckt er wie ein mäandrierender Fluss in seinem Bett fest - und die Hochdruck-Kuppel in einer seiner Schleifen über dem Südwesten von British Columbia. Dass sie so extreme Hitze hervorbringt, hat noch andere Gründe.
Extremjahre immer häufiger
Die Meteorologin Karin Gearson von der NOAA, der US-Fachbehörde für Wetter und Ozeane: "Wir haben mehrere Gebirgszüge im Nordwesten wie zum Beispiel die Kaskadenkette. Sie verlaufen parallel zur Pazifikküste. Über diese Gebirgsrücken strömt zusätzlich kontinentale Luft aus Osten in die Region, und wenn sie in die Täler absinkt, heizt sie sich sehr schnell auf. Diese Luftmassen sind eh schon sehr warm, denn im Osten von Washington und Oregon herrscht Dürre. Die Böden dort sind sehr trocken und wirken nicht mehr abkühlend. Hier kommen also mehrere Dinge zusammen, die für die Rekordtemperaturen sorgen."
Was den Jet Stream immer häufiger in seinem Bett hält, ist noch nicht klar und Gegenstand der Forschung. Jedenfalls häufen sich sommerliche Hitzewellen und andere Wetterextreme auf der Nordhalbkugel. Auch in den USA, wo so viele den Klimawandel nicht wahrhaben wollen. Eine Untersuchung der NOAA ergab: Die fünf Jahre mit den meisten Wetterextremen seit 1910 fielen alle in das zurückliegende Jahrzehnt. Und nach einer Studie der Duke University gibt es in den USA schon heute schätzungsweise 12.000 hitzebedingte Todesfälle pro Jahr.
Ähnlichkeiten zu Europa
Auch wenn die Situation derzeit einzigartig sei – im Prinzip unterscheide sich Nordamerika nicht von Europa, sagt Geert Jan van Oldenborgh: "Hier spricht man zwar nicht von ,Wärmekuppeln‘. Aber auch bei uns gibt es diese Wetterblockaden als Auslöser von Hitzewellen. Sie sind sich sogar ziemlich ähnlich. Die große Frage ist deshalb: Kann so etwas auch in Europa passieren? Solange wir aber nicht wissen, warum es diesmal zu einem so extremen Temperatursprung kam, können wir auch nicht sagen, ob so etwas bei uns auftreten wird."
Immerhin: Der Sommer 2010 war ganz ähnlich. Da klebte ein Hochdruckgebiet wochenlang über Osteuropa und Westrussland, die Temperaturen stiegen über 40 Grad Celsius. Und in Moskau lagen die Monatswerte für Juli und August damals schon um 16 bis 18 Grad über dem langjährigen Mittel. Insofern könnte man fast sagen: Ein Extrem wie jetzt in Nordamerika gab es hier bereits. Auch damals befeuerten ausgetrocknete Böden nach einer Dürre die Hitze zusätzlich.
(Quelle: Volker Mrasek)