Jürgen Liminski: Angeblich soll der sogenannte Tiefkühlwinter in unseren Breitengraden noch bis März andauern. Da fragt sich mancher Wetterlaie, wo denn die viel gefürchtete Erderwärmung geblieben ist, die die Atmosphäre so dramatisch anheizen soll, dass die Meeresspiegel steigen und ganze Küstenstaaten überschwemmen würden. Genau diese Frage hat mein Kollege Rainald Bieck dem Diplom-Meteorologen in Mainz, Gunther Tiersch, gestellt, der vielen als der Wetterfrosch aus den ZDF-Sendungen "heute" und "heute-journal" bekannt ist. Die erste Frage an Gunther Tiersch lautete also: Spricht der kalte Winter nicht doch gegen die These von der globalen Erderwärmung?
Gunther Tiersch: Ja, wenn wir tatsächlich nur Deutschland betrachten und unser Gefühl nehmen und nicht über den Horizont schauen, dann natürlich – dann können wir das annehmen, dann haben wir einen gesenkten Blick. Aber letztendlich müssen wir immer das sehen, was auf der ganzen Erde passiert, und da ist es eben nicht so, sondern die Erwärmung geht letztendlich ja weiter. Wir haben wohl das Jahr 2010 das drittwärmste seit den Wetteraufzeichnungen. Also wenn wir eine kalte Periode bei uns betrachten, dann müssen wir einfach mal gucken: Wie sieht es denn in Amerika aus, wie sieht es in Osteuropa aus, wie in Asien? Und dann kann man sich auch, wenn man das weiß, schon mal ein Bild machen, dass es nicht unbedingt kälter werden muss wie bei uns, sondern eben unter Umständen wärmer, oder es bleibt sogar gleich.
Rainald Bieck: Woher kommt denn jetzt eigentlich unser Wetter oder dieser kalte Winter?
Tiersch: Na ja, unser Wetter normalerweise kommt ja immer auch häufig aus Westen, ja, Westwindwetterlage, das kennt jeder irgendwie, Azorenhoch ist so eine Sache, Islandtief, dazwischen rutscht irgendwie die Luft aus Westen zu uns. Das ist ein bisschen unterbrochen derzeit. Wir beobachten eigentlich so seit einem guten Jahr, vielleicht sogar schon seit zwei Jahren verstärkt Wetterlagen, die uns so von Norden her die Luft bringen, oder auch vom Süden her. Dann wird es natürlich warm von Süden, wenn die Luft kommt, wie im Sommer – Anfang Juli hatten wir Extremtemperaturen. Danach, im August, hatten wir dann Nordwest-Lagen, da wurde es dann wieder kühler und regnerischer.
Und in diesem Winter, aber auch im letzten Winter haben wir extreme Lagen, die uns sehr kalte Luft vom Nordpolarmeer bringen, und zwar direkt über die Nordsee und Skandinavien. In diesem Jahr war das besonders auffällig, weil es schon Ende November, Anfang Dezember der Fall war. Und wenn Sie dann Luft haben, die in fünf Kilometern Höhe minus 40 Grad beträgt, dann ist das eine sehr kalte, extreme Luft, die wir eigentlich aus dieser Richtung gar nicht so kennen, sondern eher aus Nordosteuropa, aus Osteuropa, und dann auch meist erst Ende Dezember oder auch im Januar.
Bieck: Ist das denn nun ein temporäres Phänomen, oder müssen wir mit dieser Wetterlage in Zukunft öfter rechnen?
Tiersch: Ja, das ist ja jetzt die entscheidende Frage. Man stellt halt jetzt bestimmte Zusammenhänge fest. Man beobachtet, dass das arktische Eis schmilzt, vor allen Dingen in den Sommermonaten nimmt es sehr stark ab, aber es nimmt auch in der Dicke ab und nicht nur in der Ausdehnung. Und jetzt hat man durch diese Untersuchungen festgestellt, dass, wenn dieses arktische Eis vermindert ist in der Ausdehnung, dass sich dann tatsächlich diese Westwindwetterlage abschwächt und damit verstärkt Nord- oder Südlagen auf der Nordhalbkugel auftreten, die dann eben mal Kälte bringen oder auch Hitze. Ich meine, die Hitze kennen wir aus Moskau, aus Osteuropa, aus Russland in diesem Sommer. Und diesen Zusammenhang, den scheint es irgendwie zu geben. Und dann kann man natürlich daraus schließen, aber ganz vorsichtig: Die Klimaerwärmung könnte bei uns auch, sagen wir mal, kältere Winter bringen, das muss sich nicht widersprechen.
Bieck: Aber bedeutet so ein kalter Winter nicht wenigstens so eine Art Atempause fürs Weltklima? Es wird doch auch im Frühjahr länger dauern, bis die Böden dann wieder aufgeheizt sind.
Tiersch: Ja, aber jetzt gucken Sie mal nach Osteuropa: Irgendwo muss ja wieder … Wenn die Kälte hier runterkommt, dann kommt ja irgendwo die Wärme wieder nach Norden, und dann gucken Sie zum Nahen Osten, der hatte in diesem frühen Winter eine Hitzeperiode, dann gucken Sie ans Schwarze Meer, wo es wesentlich milder ist. Dort haben Sie Tauwetter und das reicht dann hoch bis zum Ural, wo es relativ mild ist. Das wird sich jetzt ändern, weil die Wetterlage sich jetzt Ende Dezember umstellen wird, aber bisher war das so. Und Sie haben ganz genauso über den Osten Amerikas eher die Warmluft, die nach Grönland geführt wurde, Grönland war teilweise sehr viel wärmer bisher. Also das sind die Zusammenhänge, insofern kann man überhaupt nicht davon sprechen, dass so ein kalter Winter hier Auswirkungen auf das Weltklima hat.
Bieck: Was bedeutet der kalte Winter – und wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass wir auch in Zukunft kältere Winter hier in Mitteleuropa haben werden – für die Vegetation? Wird sich unsere Pflanzen- und Tierwelt am Ende sogar verändern?
Tiersch: Na ja, sie wird größeren Belastungen ausgesetzt, sie muss ja mehr Extreme aushalten. Das heißt: Auf der einen Seite haben wir in den letzten 20 Jahren sehr milde Winter gehabt und auch, sagen wir mal, warme Sommer. Wenn wir die weiterhin hätten, dann würden sie auch die Pflanzen ändern, weil natürlich bestimmte Pflanzenarten ganz bestimmte Wasserzufuhr brauchen, die Fichten, die wir ja angebaut haben in den Wäldern, die haben es ja jetzt schon schwer, leiden unter Stress. Das wird natürlich größer werden dadurch. Auf der einen Seite sind diese Bäume, die wir haben, natürlich an kalte Winter auch in gewisser Weise angepasst, das ist ja gar keine Frage, aber wenn dazu dann im Sommer meinetwegen auch Trockenperioden kommen oder Hitzewellen, dann bedeutet das natürlich wesentlich mehr Stress, und dann weiß ich nicht, wie sich die Vegetation hier ändert, weil das muss man natürlich dann auch erst mal rausfinden. Das ist ja noch alles spekulativ, ob jetzt, sagen wir mal, kalten Winter häufiger sind. Das ist auch sehr schwierig dann zu sagen. Es ist nur mehr Stress für die Pflanzen und auch für die Tiere bei uns, das ist keine Frage, ja.
Gunther Tiersch: Ja, wenn wir tatsächlich nur Deutschland betrachten und unser Gefühl nehmen und nicht über den Horizont schauen, dann natürlich – dann können wir das annehmen, dann haben wir einen gesenkten Blick. Aber letztendlich müssen wir immer das sehen, was auf der ganzen Erde passiert, und da ist es eben nicht so, sondern die Erwärmung geht letztendlich ja weiter. Wir haben wohl das Jahr 2010 das drittwärmste seit den Wetteraufzeichnungen. Also wenn wir eine kalte Periode bei uns betrachten, dann müssen wir einfach mal gucken: Wie sieht es denn in Amerika aus, wie sieht es in Osteuropa aus, wie in Asien? Und dann kann man sich auch, wenn man das weiß, schon mal ein Bild machen, dass es nicht unbedingt kälter werden muss wie bei uns, sondern eben unter Umständen wärmer, oder es bleibt sogar gleich.
Rainald Bieck: Woher kommt denn jetzt eigentlich unser Wetter oder dieser kalte Winter?
Tiersch: Na ja, unser Wetter normalerweise kommt ja immer auch häufig aus Westen, ja, Westwindwetterlage, das kennt jeder irgendwie, Azorenhoch ist so eine Sache, Islandtief, dazwischen rutscht irgendwie die Luft aus Westen zu uns. Das ist ein bisschen unterbrochen derzeit. Wir beobachten eigentlich so seit einem guten Jahr, vielleicht sogar schon seit zwei Jahren verstärkt Wetterlagen, die uns so von Norden her die Luft bringen, oder auch vom Süden her. Dann wird es natürlich warm von Süden, wenn die Luft kommt, wie im Sommer – Anfang Juli hatten wir Extremtemperaturen. Danach, im August, hatten wir dann Nordwest-Lagen, da wurde es dann wieder kühler und regnerischer.
Und in diesem Winter, aber auch im letzten Winter haben wir extreme Lagen, die uns sehr kalte Luft vom Nordpolarmeer bringen, und zwar direkt über die Nordsee und Skandinavien. In diesem Jahr war das besonders auffällig, weil es schon Ende November, Anfang Dezember der Fall war. Und wenn Sie dann Luft haben, die in fünf Kilometern Höhe minus 40 Grad beträgt, dann ist das eine sehr kalte, extreme Luft, die wir eigentlich aus dieser Richtung gar nicht so kennen, sondern eher aus Nordosteuropa, aus Osteuropa, und dann auch meist erst Ende Dezember oder auch im Januar.
Bieck: Ist das denn nun ein temporäres Phänomen, oder müssen wir mit dieser Wetterlage in Zukunft öfter rechnen?
Tiersch: Ja, das ist ja jetzt die entscheidende Frage. Man stellt halt jetzt bestimmte Zusammenhänge fest. Man beobachtet, dass das arktische Eis schmilzt, vor allen Dingen in den Sommermonaten nimmt es sehr stark ab, aber es nimmt auch in der Dicke ab und nicht nur in der Ausdehnung. Und jetzt hat man durch diese Untersuchungen festgestellt, dass, wenn dieses arktische Eis vermindert ist in der Ausdehnung, dass sich dann tatsächlich diese Westwindwetterlage abschwächt und damit verstärkt Nord- oder Südlagen auf der Nordhalbkugel auftreten, die dann eben mal Kälte bringen oder auch Hitze. Ich meine, die Hitze kennen wir aus Moskau, aus Osteuropa, aus Russland in diesem Sommer. Und diesen Zusammenhang, den scheint es irgendwie zu geben. Und dann kann man natürlich daraus schließen, aber ganz vorsichtig: Die Klimaerwärmung könnte bei uns auch, sagen wir mal, kältere Winter bringen, das muss sich nicht widersprechen.
Bieck: Aber bedeutet so ein kalter Winter nicht wenigstens so eine Art Atempause fürs Weltklima? Es wird doch auch im Frühjahr länger dauern, bis die Böden dann wieder aufgeheizt sind.
Tiersch: Ja, aber jetzt gucken Sie mal nach Osteuropa: Irgendwo muss ja wieder … Wenn die Kälte hier runterkommt, dann kommt ja irgendwo die Wärme wieder nach Norden, und dann gucken Sie zum Nahen Osten, der hatte in diesem frühen Winter eine Hitzeperiode, dann gucken Sie ans Schwarze Meer, wo es wesentlich milder ist. Dort haben Sie Tauwetter und das reicht dann hoch bis zum Ural, wo es relativ mild ist. Das wird sich jetzt ändern, weil die Wetterlage sich jetzt Ende Dezember umstellen wird, aber bisher war das so. Und Sie haben ganz genauso über den Osten Amerikas eher die Warmluft, die nach Grönland geführt wurde, Grönland war teilweise sehr viel wärmer bisher. Also das sind die Zusammenhänge, insofern kann man überhaupt nicht davon sprechen, dass so ein kalter Winter hier Auswirkungen auf das Weltklima hat.
Bieck: Was bedeutet der kalte Winter – und wenn wir jetzt mal davon ausgehen, dass wir auch in Zukunft kältere Winter hier in Mitteleuropa haben werden – für die Vegetation? Wird sich unsere Pflanzen- und Tierwelt am Ende sogar verändern?
Tiersch: Na ja, sie wird größeren Belastungen ausgesetzt, sie muss ja mehr Extreme aushalten. Das heißt: Auf der einen Seite haben wir in den letzten 20 Jahren sehr milde Winter gehabt und auch, sagen wir mal, warme Sommer. Wenn wir die weiterhin hätten, dann würden sie auch die Pflanzen ändern, weil natürlich bestimmte Pflanzenarten ganz bestimmte Wasserzufuhr brauchen, die Fichten, die wir ja angebaut haben in den Wäldern, die haben es ja jetzt schon schwer, leiden unter Stress. Das wird natürlich größer werden dadurch. Auf der einen Seite sind diese Bäume, die wir haben, natürlich an kalte Winter auch in gewisser Weise angepasst, das ist ja gar keine Frage, aber wenn dazu dann im Sommer meinetwegen auch Trockenperioden kommen oder Hitzewellen, dann bedeutet das natürlich wesentlich mehr Stress, und dann weiß ich nicht, wie sich die Vegetation hier ändert, weil das muss man natürlich dann auch erst mal rausfinden. Das ist ja noch alles spekulativ, ob jetzt, sagen wir mal, kalten Winter häufiger sind. Das ist auch sehr schwierig dann zu sagen. Es ist nur mehr Stress für die Pflanzen und auch für die Tiere bei uns, das ist keine Frage, ja.