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Exxon Valdez

Am Abend des 23. März 1989 verlässt die Exxon Valdez ihren Heimathafen und steuert in den Prinz William Sund hinaus - beladen mit etwa 200 Millionen Litern Öl. Keine drei Stunden später beginnt die Katastrophe. Das Schiff läuft auf ein Riff, die Tanks schlagen leck, mehr als 40 Millionen Liter laufen aus und verseuchen 2000 Kilometer Küste. Hunderttausende von Vögel, Seeottern und Fischen verenden qualvoll.

Von Monika Seynsche |
    Es ist ein ruhiger, fast windstiller Abend. Leichter Schnee fällt aufs Wasser. Ein schwarzes Schiff trennt sich vom Kai und steuert südwestwärts. In der Ferne schimmern die dicht bewaldeten Hänge und verschneiten Gipfel der Chugach Ranges. In den folgenden Stunden bessert sich das Wetter, die Sicht wird klarer, der Schnee geht in sanften Nieselregen über. Später wird es heißen, es sei ein fast perfekter Abend gewesen, für eine Fahrt durch eines der schönsten Gewässersysteme Alaskas. Diese Fahrt aber endet neun Minuten nach Mitternacht, am Karfreitag des Jahres 1989.

    Patience Anderson Faulkner: "Meine Schwägerin rief mich an, und sagte: 'Wir haben diesen Ölunfall hier.' Sie war völlig hysterisch am Telefon. Ich sagte: 'Beruhige Dich! Ich habe es gerade in den Nachrichten gehört. Was ist passiert?' Darauf sie: 'Es ist eine riesige Ölkatastrophe, ich kann Dir gar nicht sagen, wie groß! Es geht immer weiter und weiter und weiter!' Ich fragte: 'OK, was soll ich tun?' Und sie antwortete: 'Du musst heimkommen!'"

    14. November 2011: Es ist noch dunkel im Hafen von Cordova und so kalt, dass vom warmen Wasser weißer Dampf aufsteigt. Zwischen kleinen Fischerbooten geht Scott Pegau den schmalen Steg entlang, bleibt stehen und schaut ins Hafenbecken.

    "Ich habe Fische gesehen. Da ist einer. Und dort, zwei Meter vor Ihnen ist ein kleiner Schwarm."

    Der Meeresforscher holt ein feines Netz aus einem Eimer und wirft es in einem großen Bogen aufs Wasser. Langsam sinkt es zu Boden. Dann zieht er es vorsichtig wieder an Land. Auf dem verschneiten Steg landen etwa 50 winzig kleine, zappelnde Fische.

    Pegau: "Das haben wir gesucht: ein Haufen kleiner Heringe. Die meisten hier sind etwa sieben bis acht Zentimeter lang."

    Nach dem Unfall der Exxon Valdez sind die großen Heringsschwärme im Prinz-William-Sund an der Südküste Alaskas zusammengebrochen. Sie haben sich bis heute nicht erholt. Scott Pegau und seine Kollegen vom Prinz-William-Sund-Forschungszentrum in Cordova müssen herausfinden, warum nicht.

    "Heute bringen wir sie nur in den Gefrierschrank, um sie dann später zu wiegen, zu messen und ihren Energiegehalt zu bestimmen. Das gibt uns ganz gute Anhaltspunkte darüber, wie gesund die Fische in den Winter hinein gehen."

    Joe Banta: "Ich lag im Bett als mein Radiowecker anging. Jemand erklärte, es habe einen Ölunfall im Prinz-William-Sund gegeben. Ein Tanker war auf das Bligh Riff aufgelaufen. Ich war ja als Fischer im Sund aufgewachsen und kannte dieses Riff natürlich. Ich dachte nur: 'Oh mein Gott, der Kerl muss betrunken gewesen sein!'"

    Kurz vor Mitternacht übergibt der Kapitän der Exxon Valdez, Joseph Hazelwood, das Kommando an seinen übernächtigten und unterqualifizierten dritten Offizier, obwohl es eine schwierige Passage zu kreuzen gilt. Als der Unfall passiert, ist der Kapitän in seiner Kabine. Sprachanalysen des Notrufs sowie ein Alkoholtest am nächsten Morgen zeigen, dass der Kapitän am Abend des 23. März betrunken war. Drei Tage lang geschieht fast nichts. Mehr als 40 Millionen Liter Öl strömen ins Meer, die Ölbekämpfungsboote liegen an Land festgefroren und sind nicht einsatzbereit. Dann setzt ein gewaltiger Sturm ein, der den Ölteppich weit in den Sund hinaus treibt. 2000 Kilometer Strand enden ölbedeckt.

    "Das werde ich nie vergessen. Es war während meiner ersten Forschungsfahrt. Wir hatten vier Tage lang Wasserproben von unterhalb des Ölteppichs genommen und steuerten auf das nördliche Ende von Smith Island zu. Gerade vorher waren wir durch Gebiete ohne Öl gefahren, die voller Leben waren. Dann bogen wir um ein Kliff und plötzlich herrschte Totenstille. Hier war das Öl überall. Selbst 20 Meter hohe Bäume waren durch die Wucht des Sturms ölverschmiert. Es war unheimlich. Es fühlte sich an, als wären Sie auf einem großen natürlichen Friedhof."

    Jeffrey Short war damals ein junger Wissenschaftler, angestellt bei der Nationalen Ozean- und Atmosphärenforschungsorganisation der USA, der Noaa. Er hat fast sein gesamtes folgendes Berufsleben lang die Folgen dieses Ölunfalls untersucht.

    "Oil kills things in a number of different and distinct ways."

    Das Öl töte Lebewesen auf viele verschiedene Arten, sagt er. Einige Bestandteile lösen sich im Wasser und zerstören die Kiemen von Fischen und die sensiblen Membranen anderer Lebewesen. Die giftigen Dämpfe zersetzen die Lunge. Das Öl selbst verklebt das Fell von Meeressäugern und das Gefieder von Seevögeln, hemmt ihre Bewegungen und lässt sie erfrieren oder ertrinken. Es gelangt in die Nahrung und vergiftet die Tiere, die versuchen sich zu reinigen.

    "Der Ölteppich lag direkt über den Laichgründen der Heringsschwärme."

    Richard Thorne ist Fischforscher am Prinz-William-Sund-Forschungszentrum in Cordova.

    "Es gibt Berichte von Fischern, die Heringe direkt unter dem Öl beobachteten und die Tiere als sehr gestresst beschrieben. Heringe laichen im April, der Unfall war im März. Aber vor dem Laichen versammeln sich die Tiere in riesigen Schwärmen in den Laichgründen bevor sie an die Strände schwimmen."

    Auch für andere Meeresbewohner kam dieser Ölunfall zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. In einer Jahreszeit, in der die nahrungsreichen Gewässer des Prinz-William-Sunds nach dem langen Winter als erste wieder zum Leben erwachen und ausgehungerte Tiere aus dem ganzen Nordpazifikraum magisch anziehen. Auch die größten Jäger des Ökosystems, die Schwertwale, lockte das reiche Nahrungsangebot im Frühjahr 1989 in den Sund. Immer wieder sahen die Katastrophenhelfer sie durch das Öl schwimmen. Mitten in den giftigen Dämpfen tauchten die Tiere auf, um zu atmen. Sie fraßen ölverschmierte Robben. Mit verhängnisvollen Folgen: ein Drittel der Schwertwale starb. In einer Gruppe traf es alle geschlechtsreifen Weibchen. Dort ist seit dem Unfall kein Junges mehr zur Welt gekommen. In wenigen Jahren wird diese Gruppe ausgelöscht sein.

    Joe Banta: "Ich nahm an einem Trainingsprogramm teil und fuhr dann mit meinem Vater und einer Gruppe weiterer Fischer hinaus, um Wildtiere zu retten. Ich kann Ihnen sagen, das war eine wirklich traurige Sache. Überall um uns herum waren ölverschmierte, tote Vögel und tote Seeotter. Auf dem Wasser trieben tote Fische. Und dann waren da die Tiere, die zwar noch lebten, aber so stark ölverklebt waren, dass man nicht wusste, ob sie lebendig besser dran waren als tot."

    In Cordova und den anderen Städten am Sund drängen sich Tausende Freiwilliger, darunter viele Fischer, die ihre Existenzgrundlage vernichtet sehen, einer von ihnen: Joe Banta. Er und die anderen Helfer sammeln Tausende toter Säugetiere ein, Hunderttausende toter Vögel und ungezählte Fische. Trotz aller Bemühungen konnten nur zehn Prozent des ausgelaufenen Öls geborgen werden. Dutzende von Forschern begannen, die Auswirkungen der Ölkatastrophe zu untersuchen. Immer mehr Annahmen gerieten ins Wanken. Das Öl zersetzte sich nicht ansatzweise so schnell, wie erhofft. Und es sollte verheerender und länger wirken, als prognostiziert. Jeffrey Short entdeckte, dass selbst minimale Konzentrationen noch fatale Folgen hatten.

    "Ein Beispiel dafür ist die Embryonentoxizität. Schon sehr geringe Konzentrationen der im Öl enthaltenen Giftstoffe können die Entwicklung des Kreislaufsystems von Fischembryonen stören. Konzentrationen, die 100 bis 1000 Mal geringer sind als die Konzentrationen, die akute Vergiftungserscheinungen verursachen."

    Noch viele Jahre nach dem Ölunfall fanden die Forscher im Prinz-William-Sund Fische mit zusätzlichen Flossen, verkrümmten Wirbelsäulen, ohne Kiefer, ohne Augen oder einfach Fische, die langsamer schwammen oder sich schlechter fortpflanzen konnten als ihre gesunden Artgenossen. Gerade Lachse waren davon betroffen. Heringe dagegen schienen sich in den ersten Jahren ganz gut zu erholen. Bis 1993. Da brachen die Bestände auf einmal ein, scheinbar wie aus heiterem Himmel. Scott Pegau:

    "Die erwachsenen Tiere wurden drei bis vier Jahre nach dem Ölunfall von einem Krankheitsausbruch dahin gerafft. Wahrscheinlich hatte das giftige Öl ihr Immunsystem angegriffen und sie anfällig gemacht. Die Jungtiere waren schon 1989 verschwunden. Aber das entdeckten wir erst 1993, als diese Tiere hätten erwachsen sein sollen. Denn von den Überwachungssystemen werden standardmäßig nur die großen Fische erfasst. Es gibt immer mal wieder Jahre mit wenigen Jungfischen. Aber 1989 waren es weniger als wenige."

    Bis heute, 23 Jahre nach der Katastrophe, sind die großen Heringsschwärme nicht zurückgekommen. Und dabei seien gerade die Heringe von enormer Bedeutung für das gesamte Ökosystem, sagt Scott Pegau vom Prinz-William-Sund-Forschungszentrum.

    "Es sind Futterfische und zwar sehr fette Futterfische. Also wirklich gute Nahrung. Fast jedes Lebewesen im Sund frisst Hering zu irgendeinem Zeitpunkt im Lebenszyklus der Fische. Die kleineren Vögel schnappen sich die jungen Fische, die Wale jagen die erwachsenen Tiere und auch während der gesamten Spanne dazwischen gibt es immer jemanden, der Hering verspeist."

    Auch Scott Pegaus Kollege Richard Thorne versucht herauszufinden, warum die Heringe nicht zurückkommen. Bis 1989 war die Heringsfischerei eine der wichtigsten Einnahmequellen der Menschen im Sund. Damals lagen die Bestände bei fast 100.000 Tonnen Biomasse. Jetzt sind es in guten Jahren zwischen 8000 und 18.0000 Tonnen. Viel zu wenig, als dass die kommerzielle Fischerei wieder eröffnet werden dürfte.

    Im Hafen von Cordova steuert Kapitän David Janka die Auklet näher an den Kai heran. Es ist ein kleines, zum Forschungsschiff umgebautes Fischerboot. Kisten voller Ausrüstung landen an Bord. Darunter ein etwa zwei Meter langes flugzeugförmiges Metallgefährt, an dessen Unterseite ein schwarzer Kasten hängt. Zweimal im Jahr – vor und nach dem Winter - fahren die Forscher damit in den Sund hinaus. Nach eineinhalb Stunden Fahrt hat die Auklet einen Seitenarm des Prinz-William-Sunds erreicht: die Simpson Bay. Die Männer und Frauen an Bord lassen das flugzeugförmige Gerät ins Wasser und ziehen es neben dem Schiff her, das langsam weitertuckert. In der Kajüte drängen sich Richard Thorn und seine Kollegin Michelle Buckhorn vor einem Laptop, auf dessen Display bunte Striche auf- und abflackern.

    Buckhorn: "Das Gerät sendet ähnlich wie ein Echolot Schallwellen ins Wasser und wir registrieren die Wellen, die zurückkommen."

    Je nachdem, worauf diese Wellen treffen, senden sie unterschiedliche Schallwellen zurück - Gestein sieht so anders aus als etwa die luftgefüllten Schwimmblasen von Heringen.

    Buckhorn: "So you can see, what looks like a big school right there."

    Die vielen blauen Striche dort deuteten auf einen großen Heringsschwarm hin, sagt Michelle Buckhorn. Vermutlich seien das erwachsene Tiere, ergänzt Richard Thorne.

    "Sie sind viel größer, deshalb schicken sie auch ein stärkeres Signal zurück. Die Jungfische sind in kleineren Schwärmen unterwegs und erzeugen schwächere Echos."

    Die hydroakustischen Untersuchungen sind aufwändig, aber nur mit ihrer Hilfe können die Forscher herausfinden, wie viele Tiere noch in der Bucht leben.

    Joe Banta: "Wir merkten, dass wir morgens sehr früh los mussten, um die Vögel zu retten, bevor die Adler aktiv wurden. Denn sobald sich die ölverschmierten Vögel an den Strand hievten, um sich zu säubern, stürzten sich die Greifvögel auf sie. Das sah man an den zerfressenen Kadavern, aber auch an den Adlern selbst. Ihr langer weißer Schwanz war nicht mehr weiß, sondern ölverschmiert und schwarz. Es war eine wirklich traurige Situation."

    Im Wasser des Prinz-William-Sunds findet sich seit wenigen Jahren kein Öl mehr. Das zeigen regelmäßige Untersuchungen an Muscheln, die das Wasser filtern und Schadstoffe anreichern. Der Nachhall der Katastrophe aber klingt fort. Kathy Kuletz fürchtet bis heute um viele Seevogelarten.

    "Gegen Ende der 90er Jahre sahen wir, dass gerade die fischfressenden Vögel sich nicht erholten. Anders als die Arten, die sich von Muscheln und anderen Meeeresbodenbewohnern ernähren, wurden sie immer weniger. Das deutet darauf hin, dass es neben den direkten Auswirkungen des Ölunfalls auch Langzeitfolgen gibt, da die Fische als Nahrungsquelle fehlen."

    Die Vogelforscherin arbeitet beim US Fish and Wildlife Service in Anchorage. Hering sei eine der Hauptnahrungsquellen für diese Vögel. Für einige Arten konnten die Forscher nachweisen, dass sie ohne fette Futterfische weniger Küken bekommen. Besondere Sorgen macht sich Kathy Kuletz um die Taubenteiste, denn ihr fehlt nicht nur der fette Fisch.

    "Taubenteisten stochern auf der Suche nach kleinen Fischen oft im Seegras und zwischen den Felsen herum. Dabei kommen sie immer wieder in Kontakt mit Öl, das noch im Sediment steckt. Darüber hinaus war diese Art wahrscheinlich auch direkt von der Ölpest stark betroffen, denn die Taubenteisten verbringen viel Zeit im Gezeitenbereich der Strände, also dort, wo das meiste Öl landete. Sie hatten also den ganzen Sommer 1989 direkten Kontakt mit dem Öl, den viele andere Vogelarten nicht hatten."

    Die Zahl der Taubenteisten im Prinz-William-Sund ist seit mehr als 20 Jahren rückläufig. Lange Zeit waren die schwarz-weißen Vögel zumindest auf einigen abgelegenen Inseln im Sund noch relativ häufig. Bis Anfang der 90er-Jahre auf diesen Inseln Nerze auftauchten und die Bodenbrüter fast ausrotteten. David Irons vom US Fish and Wildlife Service vermutet, dass auch das eine indirekte Folge des Ölunfalls ist. Nerze sind zwar im Prinz-William-Sund heimisch, aber nicht auf den abgelegenen Inseln, die sie aus eigener Kraft nicht erreichen können.

    "Nach dem Ölunfall waren 600 Boote im Sund unterwegs, um die Strände zu reinigen. Gerade im Winter gehen Nerze im Gezeitenbereich auf Nahrungssuche, also genau in dem Bereich, der damals unter einer zehn Zentimeter dicken Ölschicht begraben war. Die Tiere hungerten also. Viele Fischer haben mir erzählt, dass die Nerze ihre Ankerleinen hochkletterten, um an Bord nach Futter zu suchen. Wir wissen nicht, wie die Nerze auf die abgelegenen Inseln kamen, aber wenn sie auf viele Boote geklettert sind, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass eines sie zu den Taubenteisten brachte."

    Um die Taubenteiste zu retten, wollen David Irons und seine Kollegen in den kommenden Jahren versuchen, die Nerze zumindest auf einigen der Inseln wieder auszurotten. Andere Vogelarten sind mittlerweile von der Ölkatastrophe genesen. Und dann gibt es noch solche wie den Marmelalk und den Kurzschnabelalk. Bei ihnen weiß man es einfach nicht. Das ist eines der Grundprobleme. Verlässliche Aussagen gebe es nur für die Tierarten, die auch vor dem Ölunfall schon unter Beobachtung standen, sagt Scott Pegau vom Prinz-William-Sund-Forschungszentrum.

    "Sehr wahrscheinlich sind noch andere Arten betroffen, ohne dass sie uns aufgefallen wären."

    Jedes Ökosystem der Welt birgt zahlreiche unbekannte Variablen. Ein Ölunfall wie die Exxon Valdez zerstört also ein System, das der Mensch nicht versteht.

    Stephen Barnes: "Wir hörten von dem Unfall durch die Gewerkschaft der Fischer. Früh am Morgen bekam ich einen Telefonanruf. Wir trafen uns dann alle in der Versammlungshalle der Gewerkschaft. Da waren ganz schön viele, sehr wütende Leute. Später kamen die Ölfirmen und erklärten uns, sie würden alles wieder in Ordnung bringen. Das ist natürlich nie passiert."

    Betroffene wie der Fischer Stephen Barnes verklagen Exxon wegen des Ölunfalls. Das Gerichtsverfahren zieht sich über 19 Jahre durch die Instanzen und endet 2008 vor dem obersten Gerichtshof der USA, dem Supreme Court. Statt der eingeklagten fünf Milliarden Dollar erhalten alle Betroffenen zusammen nur 500 Millionen.

    "Im Sommer 2001 haben wir eine groß angelegte Studie durchgeführt, um festzustellen, wie viel Öl noch in den Stränden des Prinz-William-Sunds liegt. Wir kamen auf etwa 100 Tonnen. Danach untersuchten wir, wie lange dieses Öl braucht um sich zu zersetzen. Wir ermittelten eine Zersetzungsrate von null bis drei Prozent pro Jahr. Das Öl wird also noch viele Jahrzehnte lang dort bleiben, es sei denn man versucht, die Zersetzung zu beschleunigen."

    Jeffrey Short führte in den folgenden Jahren weitere Studien durch. Das Öl ist immer noch da. Bis heute kann man an vielen Stränden des Prinz-William-Sunds ein Loch buddeln, das sich in kürzester Zeit mit Öl füllt. Es vergeht so langsam, weil es zwischen den Steinen und Kieseln der Strände vom Sauerstoff abgeschlossen ist. So behält es seine Giftigkeit. Untersuchungen des US amerikanischen Geologischen Dienstes haben gezeigt, dass selbst zwanzig Jahre altes Öl noch genauso giftig ist, wie elf Tage altes. Das Öl steckt im Gezeitenbereich der Strände, genau dort also, wo Seeotter nach ihrer Nahrung graben. In den vom Ölunfall betroffenen Gebieten haben sich die Populationen bis heute nicht vollständig erholt. Und das, obwohl Nahrung reichlich vorhanden ist und die Tiere sich genauso erfolgreich fortpflanzen wie in anderen Gebieten, sagt der Biologe Dan Monson vom US amerikanischen Geologischen Dienst in Anchorage.

    "Damit bleibt als Erklärung nur eine höhere Sterblichkeit übrig. In den betroffenen Gebieten sind sie dem Öl immer noch ausgesetzt, sei es durch Öl das in ihre Nahrung gelangt, oder durch Öl, mit dem sie beim Graben in Kontakt kommen."

    In den Lebern der Seeotter finden die Forscher bis heute Enzyme, die nur dann entstehen, wenn ein Organismus versucht, sich gegen Kohlenwasserstoffe zu Wehr zu setzen. Die Tiere leiden unter dem Öl. Gleichzeitig dienen sie als unfreiwillige Reinigungstrupps des Ökosystems.

    Monson: "Indem sie die Strände umgraben, tragen sie zur Sanierung der Ufer bei. Sie legen das noch verbliebene Öl frei. Es kommt in Kontakt mit Sauerstoff und zersetzt sich leichter. Damit tragen sie erheblich dazu bei, das Öl unschädlich zu machen."

    Immerhin: Für die Seeotter ist Dan Monson optimistisch. Die Belastung der Tiere durch Kohlenwasserstoffe gehe immer weiter zurück und in einigen Jahren sollten sich die Seeotter erholt haben, schätzt er. Doch das Gleichgewicht hat sich verschoben. Die Heringe sind das deutlichste Symptom. Vor einigen Wochen kehrten Scott Pegau und Richard Thorne von der zweiten Forschungsfahrt in diesem Winter zurück. Sie hatten so gut wie keine Jungfische gefunden. Pegau:

    "Es scheint eine ganze Reihe von Faktoren zu geben, die die Rückkehr der großen Heringsschwärme verhindern und wir wissen nicht, welcher der ausschlaggebende ist. Es gibt heute mehr Buckelwale im Sund, also werden mehr Heringe gefressen. Wir vermuten außerdem, dass es mehr Krankheitsausbrüche in den Heringsschwärmen gibt. Da fehlen uns allerdings Daten aus der Vergangenheit. Dann haben sich die Ozeanbedingungen vor einigen Jahrzehnten verändert, und damit eventuell auch das Nahrungsangebot. Das alles spielt möglicherweise eine Rolle."

    Das Öl selbst hat den Niedergang ausgelöst, sei heute aber bedeutungslos sagt Scott Pegau, da es zwar noch an den Stränden vorkomme, nicht mehr aber im Wasser.

    Richard Thorne: "Das Ökosystem humpelt vor sich hin. Es ist nicht so gesund, wie wir es gern hätten und nicht so gesund wie es wäre, hätten wir doppelt so viele Heringe."

    Mark Hoover: "Es war ein langsamer Prozess. Ich war ja in der Gegend aufgewachsen, und mit anzusehen was geschah – das konnte ich nicht ertragen. Ich wollte das alles nicht mehr sehen. Also konzentrierte ich mich darauf, im Copper River zu fischen, der in den Sund mündet. Aber auch da gingen die Preise in den Keller, da die Leute keinen Fisch aus ölverseuchten Gebieten kaufen wollen. Ich kam in Schwierigkeiten mit meiner Kreditkarte, hatte einen ganzen Haufen Schulden. Irgendwann kam dann eine Depression dazu. Es war ein schlechtes Ende einer schlechten Geschichte."

    Der Ölunfall der Exxon Valdez hat nicht nur das Ökosystem des Prinz-William-Sunds auf immer verändert und die großen Heringsschwärme vernichtet, er hat auch Mark Hoover aus Cordova und vielen anderen Menschen die Lebensgrundlage entzogen. Das hatte gravierende soziale Folgen für die Region, sagt Joe Banta. Der ehemalige Fischer arbeitet heute beim Prince William Sound Regional Citizens Advisory Council, einer Organisation, die im Auftrag der Anwohner die Folgen des Ölunfalls untersucht und die Katastrophenpläne der Ölgesellschaften überprüft.

    "Wenn Sie nicht nur Ihr Einkommen verlieren, sondern auch nicht wissen, wann Sie wieder eines haben werden, ist das ein sehr großer Stressfaktor. Wir alle wollen schließlich wissen, wo unser nächster Gehaltscheck herkommt. Die Fischer und Touristenführer hier sind schon recht hartgesotten, aber auch sie müssen von irgendetwas ihre Rechnungen bezahlen. Und die Ungewissheit bringt eine ganze Reihe weiterer Probleme mit sich. Eheprobleme, Streitereien, Alkohol und Drogen. Sie alle erheben ihren hässlichen Kopf und häufen sich."

    Am Prinz-William-Sund wohnen viele Ureinwohner Alaskas, die bis heute einen relativ traditionellen Lebensstil führen. Für ihre Kultur sei der Sund von enormer Bedeutung, sagt Patience Anderson Faulkner vom Volk der Supiaq.

    "Bei uns ist es Tradition, dass ein junger Mensch, der seinen ersten Fisch fängt, ihn mit jemandem teilt, seiner Großmutter oder seiner Tante zum Beispiel. Sie dürfen ihn nicht selbst behalten und damit angeben, sondern sie müssen lernen, das es ihre Aufgabe ist, für die Gemeinschaft zu sorgen. Das ist sehr wichtig. Aber wenn keine Fische da sind, können die jungen Leute diese Grundregel nicht lernen, sie lernen nicht, was es bedeutet zu teilen."

    Der Ölunfall der Exxon Valdez hat das Leben im Prinz-William-Sund durcheinandergebracht. Einige tierische und menschliche Bewohner sind darüber hinweggekommen. Andere bis heute nicht. Für den Ölpestforscher Jeffrey Short bleibt der Sund eine Mahnung für andere Regionen, in denen der Mensch nach Öl giert.

    "Ich denke, man kann aus dem Exxon Valdez-Desaster sehr klare Schlussfolgerungen für die geplante Ölsuche in der Arktis ziehen. Es war extrem schwierig, das Öl im Prinz-William-Sund zu bekämpfen. Und das obwohl wir die Küstenwache direkt vor Ort hatten. 100 Meilen von hier liegt die größte Küstenwachenstation der USA. Es waren also Ressourcen verfügbar im Fall der Exxon Valdez. Und es gab enorme Ressourcen im Golf von Mexiko. In der Arktis gibt es nichts dergleichen."

    Die Arktis sei eine im wörtlichen Sinne wilde Region. Das Wetter und die Eissituation: völlig unberechenbar, Häfen so gut wie nicht existent und wenn, dann sehr primitiv ausgestattet. Dazu kämen fehlende Straßen und riesige Entfernungen. Short:

    "Wenn da ein Ölunfall passiert, können Sie im Prinzip nichts weiter tun als zuschauen. Die Ölbekämpfungstechniken die wir haben, bringen selbst unter optimalen Bedingungen wie im Golf von Mexico so gut wie nichts. In der Arktis sind die Bedingungen alles andere als optimal. Ihnen bliebe nichts anderes übrig, als am Strand ein Zelt aufzustellen und zu beobachten, wie das Öl vorbei schwimmt."

    Mark Hoover: "Ich wünschte, die Geschichte hätte eine Art Ende. Aber das gab es nie. Und dann mussten wir zuschauen, wie es im Golf von Mexiko wieder passierte. Nachdem alle gesagt hatten: 'Wir sind jetzt klüger, so etwas wird nicht noch einmal vorkommen!' Da war es. Und es wird wieder passieren."

    Der Kapitän der Exxon Valdez, Joseph Hazelwood, wird zu 50.000 Dollar Strafe und 1000 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Sein Kapitänspatent dagegen verliert er nur vorübergehend. Er findet allerdings keine langfristige Anstellung mehr als Kapitän und arbeitet heute als Berater für eine Seerechtskanzlei in New York. Die Exxon Valdez selbst wird repariert und ist seit Herbst 1990 wieder im Einsatz. Um auch die letzte Erinnerung an die Katastrophe auszulöschen, wechselt der Tanker mehrfach den Namen. 2010 kommt es im südchinesischen Meer zu einem Zusammenstoß mit einem maltesischen Containerschiff, bei dem beide Frachter schwer beschädigt werden. Im März 2012 tritt die Exxon Valdez ihre letzte Reise an: zu einer Abwrackwerft in Indien.