Drei Themen bestimmen die politische Diskussion in Mailand, die durchaus an der Theke der Frühstücksbar stattfinden kann. Zwischen einem Schluck Cappuccino und einem Bissen Marmeladen-Croissant diskutieren die Italiener die Reform des Senates, die bevorstehende Wahl des neuen Staatspräsidenten und den künftigen Kurs der Europäischen Zentralbank. EZB-Chef Mario Draghi genießt bei seinen italienischen Landsleuten viel Sympathie.
"Mario Draghi wäre mein Wunschkandidat für das Amt des Staatspräsidenten, aber er hat ja keine Zeit, weil er schon so wichtige Arbeit leistet."
Worin genau diese "wichtige Arbeit" als EZB-Chef besteht, das interpretieren die Italiener anders als die Deutschen. Nicht die Stabilität des Geldes ist für sie die oberste Pflicht der Währungshüter, sondern die Stabilität der Euro-Zone. Ohne den Ankauf italienischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank werde die Eurokrise in die nächste Runde gehen und Länder wie Frankreich und Italien an den Rande des wirtschaftlichen Ruins gebracht, so die düsteren Prognosen des Mailänder Wirtschaftswissenschaftlers Tito Boeri:
"Das Problem ist, dass es immer noch an einer gemeinsamen Politik zur Lösung der Krise fehlt. Es gibt keine gemeinsame europäische Steuerpolitik. Versuche der Europäischen Zentralbank, Versuche von Mario Draghi, dieses politische Manko durch eine expansivere und unorthodoxe Geldpolitik zu kompensieren, hat es schon einige gegeben, aber ich bleibe, was die wirtschaftliche Zukunft Europas angeht, beunruhigt solange die Schulden einzelner Länder nicht zusammen von allen getragen werden."
Der Ankauf von Anleihen kriselnder Staaten durch die Europäische Zentralbank hat die Euro-Zone nach Meinung vieler Italiener bisher vor dem Auseinanderbrechen bewahrt, auch wenn das Vorgehen stets als Ausnahme und Notlösung dargestellt wurde. Langfristige Erfolge aber hat dieser Kurs nicht gebracht, denn Italiens Wirtschaft siecht weiter vor sich hin und die Regierung in Rom windet sich unter den Sparvorgaben aus Brüssel. Dieser Unternehmer aus Vimercate, dem Silicon-Valley Italiens, wünscht sich etwas anderes.
Wichtige Entscheidung auch für die politische Stabilität Italiens
"Wir selbst müssen unsere Staatsanleihen kaufen und zwar von unseren Ersparnissen. Dann müssen wir nicht darum betteln, dass andere sie kaufen."
Die anhaltende Krise und die Sparprogramme der vergangenen Jahre haben die Italiener demoralisiert. Die Forderungen der Troika werden von vielen als Diktat empfunden, sie kratzen am Stolz einer Nation, die sich als hoch entwickelte Industrienation begreift. Ministerpräsident Matteo Renzi weiß das. Deshalb bekräftigt er in Brüssel zwar immer wieder Italiens Reformwillen, aber er stellt auch klar, dass er sich keine Hausaufgaben aufzwingen lassen will. Er muss sich als souverän agierender Regierungschef präsentieren, sonst wird er von seinen politischen Gegnern als Hampelmann lächerlich gemacht. Oder als Marionette in den Händen einer Angela Merkel, die viele Italiener als die Gouvernante Europas betrachten.
Eine Passantin: "Sie und ihre Verbündeten treiben Völker wie das unsere in die Armut. Ich bin Lehrerin und hangle mich seit 13 Jahren von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Meine Hoffnung, irgendwann fest angestellt zu werden, ist dahin, meine Zukunftsaussichten sind düster und inakzeptabel."
Ein Passant: "In Europa entscheiden sie, wie die bankrotten Banken gerettet werden, Banken, die unserem Land nicht helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Eine Regierung wie die von Renzi darf sich nicht darauf beschränken, das zu machen, was Europa ihr vorschreibt. Renzi muss in Europa unsere Interessen verteidigen, oder er sollte mitsamt seiner Regierungsmannschaft abtreten."
Und so hat der künftige Kurs der Europäischen Zentralbank nicht nur auf das Schicksal der Eurozone Einfluss, sondern auch auf die politische Stabilität Italiens. EZB-Chef Mario Draghi sitzt am Schalthebel der Macht, auf seinen nächsten Schritt wartet Italien mit angehaltenem Atem.