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EZB-Entscheidung
"Griechenland bekommt die Quittung für den Troika-Rauswurf"

Der Forschungsdirektor des DIW Berlin, Alexander Kritikos, hat Verständnis für die Entscheidung der EZB geäußert, die Sonderregelungen für griechische Banken auszusetzen. Die Zentralbank mache der Regierung in Athen deutlich, wer am längeren Hebel sitze, sagte Kritikos im DLF. An den griechischen Reformen führe kein Weg vorbei.

    Die griechische und die europäische Flagge wehen am 06.03.2014 vor dem Parlamentsgebäude in Athen. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
    Die EZB-Entscheidung hat den Finanzmarkt in Griechenland in Aufruhr versetzt. (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Nach Ansicht von Kritikos hätte die neue Regierung mitsamt Finanzminister Gianis Varoufakis bedachter handeln müssen. Im Prinzip habe man Griechenland die Quittung für die Ankündigung gegeben, die sogenannte Troika, die die Reformen überwachen soll, aus dem Land werfen zu wollen, erklärte Kritikos.
    Dies sei eine unüberlegte Äußerung gewesen. Wenn Athen die eingeleiteten Reformen sogar zurücknehmen wolle, dann müsse man darauf reagieren, sagte Kritikos. Die griechische Regierung wäre nun gut beraten, zu verhandeln, statt sich in den Medien zu äußern.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Entscheidung in Frankfurt hat alle Beteiligten noch einmal so richtig wach gerüttelt: Von wegen große Zugeständnisse an die neue Regierung in Athen machen, denn Mario Draghi spricht ja heute ganz anders, spricht mal wieder Klartext. Danach bieten die Staatsanleihen aus Hellas keine Sicherheit mehr für Kredite.
    Das heißt, dass nun auch die griechischen Banken viel weniger Spielraum haben, sich Geld zu leihen und sich auch Geld zu borgen. Keine guten Nachrichten für Finanzminister Jannis Varoufakis, der just in diesen Stunden, in diesen Minuten mit Wolfgang Schäuble in Berlin redet.
    Wie reagieren jetzt die Finanzmärkte nach der Entscheidung der EZB?
    Wir haben es gerade gehört: Athen ist empört, Athen ist entsetzt. Die EZB sagt nein zu griechischen Staatsanleihen. Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Alexander Kritikos ist bei uns am Telefon, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Guten Tag.
    Alexander Kritikos: Guten Tag Ihnen.
    Müller: Wie groß ist der Schlamassel jetzt?
    Kritikos: Ich denke, der Schlamassel ist letztlich so etwas wie die Vorbereitung auf das heutige Gespräch..
    Müller: ... zwischen den Finanzministern Varoufakis und Schäuble in Berlin?
    Kritikos: Genau, zwischen den beiden Finanzministern. So ist es.
    Und man hat im Prinzip Griechenland die Quittung für den letzten Freitag gegeben, als Varoufakis sagte, er schmeiße die Troika raus aus Griechenland. Damit hat er letztlich implizit auch die Vereinbarung aufgekündigt, dass griechische Staatsanleihen, obwohl sie fast nichts wert sind, als Sicherheit bei der EZB genutzt werden können.
    "Es ist kein Racheakt"
    Müller: Also eine Art Racheakt von Mario Draghi?
    Kritikos: Das würde ich so nicht nennen. Das ist kein Racheakt, sondern das ist einfach die nur Antwort auf eine sehr bedachte Äußerung, denn mit der Troika sollte schlichtweg ja auch sichergestellt werden, dass die Vereinbarungen über weitere Reformen kontrolliert werden, und man hat damit inplizit auch diese Vereinbarung gekündigt. Ich glaube, die Verantwortung dafür ist schon eher auf griechischer Seite zu sehen und man hätte einfach etwas bedachter im Umgang mit seinen Partnern sein müssen.
    Müller: Aber wenn die Griechen schon nicht bedacht sind, diese neue griechische Regierung – das ist in diesen Tagen ja so gut wie in jeder Zeile auch nachzulesen, dass rhetorisch heftige Geschütze aufgefahren wurden und dass man hinterher wieder zurückgerudert hat -, warum sind die Europäer, die Westeuropäer, die Eurozonen-Länder, vor allen Dingen auch Mario Draghi, die Europäische Zentralbank da nicht etwas cooler und warten einfach ab?
    Kritikos: Ich denke, cool sind sie ja letztlich trotzdem. Sie machen derzeit der griechischen Regierung einfach deutlich, wer am längeren Hebel sitzt, und das hat auch eine gute Berechtigung aus meiner Sicht, denn letztlich führt einfach kein Weg daran vorbei, dass die griechische Regierung die Reformen, die ihre Vorgängerregierung nicht gemacht hat, fortsetzen und umsetzen muss.
    Wenn sie signalisiert, dass sie sogar die zuletzt gemachten Reformen der letzten fünf Jahre zurückdrehen will, dann muss man darauf irgendwie reagieren, und ich denke, die Europäische Zentralbank wird ihren Kurs auch überdenken, sobald die griechische Regierung anfängt, etwas vernünftiger zu handeln.
    "So schlimm ist es nicht"
    Müller: Weil das auch kontraproduktiv sein könnte, was heute in Frankfurt entschieden worden ist? Denn die griechischen Banken haben jetzt ganz große, massive Schwierigkeiten, überhaupt Geld zur Verfügung zu stellen. Demnach könnte ja keine einzige neue Baustelle in Griechenland jetzt finanziert werden.
    Kritikos: So schlimm ist es nicht. Noch haben sie die Möglichkeit, letztlich diese Finanzierung sich zu holen über die sogenannten Notfallkredite. Auch da gibt es natürlich ein Limit und am Ende, würde ich sagen, wird man sich ohnehin über die nächsten Rettungspakete, die ohnehin anstehen, genau heute zwischen den beiden Finanzministern besprechen.
    Ich denke, die griechische Regierung und insbesondere ihr Finanzminister wären einfach gut beraten, in Zukunft direkt zu verhandeln und nicht über die Medien so polternd loszulegen. Das kann einfach nicht gut gehen.
    "Nach wie vor ist ein Ausweg möglich"
    Müller: Dann hört sich das doch so ein bisschen wie Strafmaßnahme an, weil man sich nicht gut benommen hat, wie in der Klasse?
    Kritikos: Nein, so würde ich das definitiv nicht zusammenfassen wollen. Die Frage ist ja letztlich zu Beginn eines solchen Verhandlungsmarathons, wie stellt man sich auf, und wenn die eine Seite Maximalforderungen stellt, dann ist es völlig klar und zu erwarten, dass die andere Seite auch Maximalforderungen aufstellen wird, und irgendwann wird man sich irgendwo in der Mitte treffen.
    Der Weg dahin ist nur jetzt durch die beiden Maximalforderungen etwas länger geworden, aber nach wie vor ist ein Ausweg möglich. Insofern sehe ich das nicht als Strafmaßnahme, sondern letztlich als die Aufmunitionierung des gegenseitigen Verhandlungsspielraums.
    "Griechenland ist so dermaßen überreguliert"
    Müller: Okay, Herr Kritikos. Vielleicht blicken wir noch einmal auf die Banken. Das ist ja ein relativ komplexes Geflecht. Ich habe gerade gesagt, ganz, ganz schwer, jetzt noch was zu finanzieren, jetzt noch was auf den Weg zu bringen in Griechenland. Investitionen werden in großer Höhe ja dringend gebraucht.
    Da sind sich ja fast alle einig. Dann sagen Sie, na ja kein Problem, die Banken können noch agieren, und zwar über diese Notfallfinanzierung, diese Notfallkredite. Das hat unser Korrespondent eben auch beschrieben. Aber wenn wir das richtig verstanden haben, sind die doch richtig teuer und damit wird alles noch schlimmer.
    Kritikos: Richtig teuer sind sie nicht und ich glaube, auch da ist, brutal gesagt, Geld jetzt erst mal nicht das allergrößte Problem. Das allergrößte Problem ist derzeit, dass das Vertrauen in die griechische Wirtschaft und in die griechische Politik so massiv erschüttert ist, dass ohnehin derzeit in Griechenland kaum jemand investieren möchte.
    Ich befürchte, das ist der allererste Themenkreis, der angegangen werden muss.
    Das zweite Problem ist: Griechenland ist so dermaßen überreguliert, dass auch das viele Investitionen hemmt.
    Da sind wir auch wieder bei den Reformen zurück. Wenn man möchte, dass in Griechenland investiert wird – und da sind wir uns in der Tat alle einig, dass das dringendst notwendig ist -, dann kann das die griechische Regierung insbesondere dadurch befördern und stark unterstützen, indem sie dieses überbordende Bürokratiesystem endlich abbaut.
    Griechische Unternehmer klagen darüber, dass sie 30 Prozent ihrer Zeit dafür verwenden müssen, um mit der Bürokratie sich auseinanderzusetzen. Märkte sind geschlossen, das Öffnen von Unternehmen ist schwierig. Das ist allenthalben Behinderung privater Aktivitäten und hier ist der Ansatzpunkt.
    Müller: Herr Kritikos, aber wie schädlich ist das? Die Europäische Zentralbank, die versucht, ja mit verschiedenen Maßnahmen auch Griechenland wieder zu helfen, wie auch die anderen europäischen Länder, mit einer neuen Regierung mit vielen Fragezeichen, zugegeben an diesem Punkt. Aber im Grunde sagt da jetzt Frankfurt, wir haben null Vertrauen zu euch und unsere Geduld ist am Ende. Wer soll denn sich jetzt noch mal engagieren zugunsten Athens, zugunsten Griechenlands?
    Kritikos: Ich denke, alle die, mit denen Griechenland jetzt verhandelt, und auch Frankfurt und die EZB wird sich da auch sicherlich wieder wenden, sobald die griechische Regierung signalisiert, dass sie bereit ist, ihren Teil beizutragen. Und ihr Teil wird heißen zu signalisieren, ja, wir wollen eure Investitionen und wir behindern sie nicht durch mehr Staat, sondern wir befördern sie durch diese Reformen.
    Ich glaube, wenn das passiert, wenn dieses Signal von griechischer Seite erfolgt, dann wird auch die EZB, denke ich, sehr schnell ihren Kurs wieder entsprechend anpassen.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW). Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Kritikos: Vielen Dank Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.